Entzündung mit Fernwirkung |
Der systemische Entzündungszustand kann zudem die Gesundheit der Blutgefäße beeinträchtigen. In einer US-amerikanischen Studie mit mehr als 6000 Teilnehmenden und einer Nachbeobachtungszeit von 25 Jahren verringerte sich das Risiko für ischämischen Schlaganfall und Vorhofflimmern durch die regelmäßige Verwendung von Zahnseide signifikant: für ischämischen Schlaganfall um 22 Prozent, für kardioembolischen Schlaganfall um 44 Prozent, für Vorhofflimmern um 12 Prozent (12). Erstautor Professor Dr. Souvik Sen führte dies darauf zurück, dass die regelmäßig angewandte Zahnseide entzündliche orale Infektionen und Zahnfleischerkrankungen reduzieren kann.
Belastend für den gesamten Organismus ist auch der ständige Eintrag von Bakterien in die Blutbahn. Die Bakteriämie kann zu einer Endokarditis (Herzinnenhautentzündung) führen. Vor allem Menschen mit künstlichen Herzklappen sowie mit künstlichen Hüft- oder Kniegelenken scheinen gefährdet zu sein (13).
Die Häufigkeit von Parodontitis und Zahnlosigkeit nimmt mit dem Alter zu (14). Das gilt insbesondere für Personen, die in Heimen leben, da hier im Vergleich zu selbstständig wohnenden Menschen weniger zahnärztliche Kontrollen stattfinden und oft nur bei Zahnschmerzen behandelt wird.
Ein fortschreitender kognitiver Abbau geht meist mit einer schlechteren Zahnpflege und abnehmender Mundgesundheit einher. In einer umfassenden Registerstudie aus Taiwan entwickelten Personen mit (Alzheimer-)Demenz signifikant häufiger eine Parodontitis als kognitiv gesunde Menschen der gleichen Altersgruppe (15).
Ist also die Parodontitis dafür verantwortlich, dass sich eine Demenzerkrankung entwickelt oder eine vorhandene Demenz schneller voranschreitet? Die Frage der Kausalität ist noch nicht geklärt. Es werden jedoch mögliche Zusammenhänge diskutiert (16). Dazu zählen die Auswirkungen einer chronischen Entzündung mittels Entzündungsmediatoren wie CRP, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden können.
Im Alter nehmen Mund- und Zahnerkrankungen zu. Zusammenhänge mit demenziellem Abbau werden diskutiert. / © Adobe Stock/Ingo Bartussek
Möglich wäre auch eine Infektion des Gehirns durch Mundkeime wie Porphyromonas (P.) gingivalis, der als Hauptverursacher der Parodontitis gilt und mit systemischen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz in Zusammenhang gebracht wird. Bei Menschen mit Alzheimer-Demenz wurde P. gingivalis selbst, aber auch dessen toxische Stoffwechselprodukte, die Gingipaine, in erhöhter Konzentration im Gehirn nachgewiesen. Gingipaine wirken neurotoxisch und schädigen das Tau-Protein (17). Möglicherweise nutzt P. gingivalis einen neu entdeckten Mechanismus, um das Immunsystem zu manipulieren und der Immunabwehr zu entkommen (18).
Eine europäische Beobachtungsstudie deutet ebenfalls darauf hin, dass Parodontitis ursächlich mit Demenz verbunden sein könnte (19). Hier waren eine schlechte parodontale Gesundheit sowie Zahnverlust mit einem erhöhten Risiko für kognitiven Abbau und Demenz assoziiert.
Könnte umgekehrt eine parodontale Therapie den kognitiven Abbau vermindern? Mit dieser Frage befasste sich eine epidemiologische Studie in Deutschland, in der 177 behandelte, parodontal Erkrankte mit 409 unbehandelten Kontrollpersonen verglichen wurden (20). Die Behandlung der Parodontitis hatte einen moderaten Effekt und verbesserte das »Gehirnalter« um etwa zwei bis drei Jahre. Jedoch scheint sich die Parodontaltherapie eher bei jüngeren Menschen positiv auf das Demenzrisiko auszuwirken (22).
Welche Folgen es für die Kognition hat, wenn der Keim P. gingivalis oder dessen Gingipaine medikamentös blockiert werden, untersuchte eine US-amerikanische Studie in In-vitro-Versuchen und in Mausmodellen (17). Die Blockade mit niedermolekularen Gingipain-Inhibitoren verringerte unter anderem die Infektionsrate von P. gingivalis im Gehirn sowie die Neuroinflammation; die Autoren schließen daraus auf eine geringere Neurodegeneration. Die Übertragung des Behandlungsansatzes auf den Menschen brachte jedoch nicht die gewünschten Effekte. Einerseits erwies sich das Medikament als lebertoxisch, andererseits gab es kaum Verbesserungen hinsichtlich des kognitiven Abbaus (21).