Pharmazeutische Zeitung online
Gicht

Eine Sache der Veranlagung

Wer unter Gicht leidet, ist selber schuld? So einfach ist es nicht. Über Irrtümer und Mythen rund um die vermeintliche »Krankheit der Könige« sowie praktische Tipps für Patienten und Apotheker ging es bei einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Niedersachsen.
Christiane Berg
28.02.2019  17:00 Uhr

Mag die bis heute oft noch als Wohlstandskrankheit gelten: »Gicht ist keine Ernährungs-, sondern eine genetisch bedingte Purin-Stoffwechselkrankheit, die zur verminderten Ausscheidung von Harnsäure und langfristig zur Ablagerung von Harnsäurekristallen vorzugsweise in den Gelenken führt«. Das betonte Matthias Bastigkeit bei einer Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Niedersachsen in Hannover.

Entgegen der noch immer bestehenden traditionellen Auffassung ist übermäßiger Fleisch- und Alkoholkonsum nicht Ursache, sondern Auslöser von Gichtattacken, erklärte der Apotheker aus Geschendorf . Betroffene sollten somit Purinkörper tierischen Ursprungs und hier insbesondere Innereien sowie Bier und Hefe auch in anderer Form meiden, betonte er.

Durch eine purinreiche pflanzliche Kost werde das Gichtrisiko nicht erhöht. Im Gegenteil: Insbesondere Lebensmittel wie Nüsse, Hülsenfrüchte, Spinat, Pilze, Haferflocken und Kohl seien nicht nur unproblematisch, sondern vielmehr lebenswichtig, da sie ausgezeichnete Quellen für Proteine, Faserstoffe, Vitamine und Mineralien sind und das Gichtrisiko sogar reduzieren. Dieses gelte auch und gerade für Purine in Milchprodukten. Die frühere Annahme, dass eine purinreiche pflanzliche Kost ungünstig sei, habe sich somit als Irrtum und Mythos erwiesen.

Dringend warnte Bastigkeit hingegen vor fructosehaltigen Smoothies sowie vor Sirup aus Maisstärke als Fructoseersatz beziehungsweise vor Cola-Getränken und Diätschokolade. »Fructose hebt den Harnsäurewert dramatisch«, so der Fachdozent für Pharmakologie. Ein Smoothie pro Tag könne das Gichtrisiko laut Studien um 45 Prozent steigern. Regelmäßiger Kaffeekonsum jedoch könne insbesondere Männer vor akuter und chronischer Gicht schützen.

Da das Gichtrisiko mit zunehmendem Body Mass Index (BMI) ansteigt, ist eine Gewichtsreduktion sinnvoll. Dabei, so Bastigkeit, müssen überflüssige Pfunde allerdings langsam abgebaut werden. Eine zu strenge Diät verbunden mit Hunger könne zu einer katabolen Stoffwechsellage und Ketoazidose mit sinkendem pH-Wert und somit einer verminderten renalen Harnsäure-Ausscheidung führen. Die dann einsetzende Freisetzung körpereigener Purine berge die Gefahr eines akuten Gichtanfalls.

Harnsäurewert reduzieren

Ob akut oder chronisch: Circa zwei Prozent der erwachsenen westlichen Bevölkerung sind von einer mit Arthritis urica und/oder Gichttophi unter anderem an Händen, Fingern, Füßen und Ellenbogen einhergehenden, also symptomatischen Hyperurikämie betroffen. »Obwohl Gicht bei vielen Erwachsenen auftritt, wird sie häufig fehldiagnostiziert, zu spät erkannt oder bagatellisiert«, kritisierte der Lehrbeauftragte der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Dieses sei besonders fatal angesichts der Tatsache, dass Gicht mit zahlreichen Komorbiditäten wie Hypertension, chronischer Niereninsuffizienz, Adipositas, Diabetes mellitus oder Herzinsuffizienz bis hin zum Herzinfarkt und Schlaganfall einhergehen kann. »Gicht ist nicht nur der dicke rote Zeh, sondern eine Systemerkrankung, die sehr ernst genommen werden muss«, so der Referent mit Verweis auf die Notwendigkeit einer konsequenten Therapie.

Zur Linderung der Schmerzen, Entzündungen und Schwellungen kommen im akuten Gichtanfall NSAR und Corticoide in Mono- oder Kombinationstherapie beziehungsweise Colchicin zum Einsatz. Die Einnahme von Acetylsalicylsäure hob Bastigkeit als kontraproduktiv hervor. Diese wirke zwar antiinflammatorisch. Sie könne jedoch die Ausscheidung von Harnsäure hemmen und somit das Krankheitsgeschehen weiter forcieren.

»Weniger ist mehr«: Als »Ultragift« besitzt Colchicin nur eine geringe therapeutische Breite. Aufgrund der hohen Toxizität des Herbstzeitlosen-Alkaloids ist es in der Vergangenheit zu zahlreichen unbeabsichtigten Überdosierungen mit teils tödlichem Ausgang gekommen. Patienten und Therapeuten müssten daher mit Blick auf die Applikations- und Einnahmemodalitäten besondere Vorsicht walten lassen und entsprechende Medikamente auch kindergesichert lagern, sagte Bastigkeit.

Zudem könne Colchicin als Substrat des Transportproteins p-Glykoprotein und des Cytochrom-Isoenzyms CYP3A4 zu gefährlichen Interaktionen unter anderem mit Makrolid-Antibiotika, Ciclosporin und Statinen führen. Immer müsse daher bei Begleitmedikation in der Apotheke auch ein Interaktions-Check vorgenommen werden.

Der Referent machte des Weiteren deutlich, dass eine harnsäuresenkende Behandlung mit Allopurinol oder Febuxostat frühestens zwei Wochen nach Beginn des akuten Gichtanfalls begonnen werden sollte. »Dagegen kann eine bereits bestehende harnsäuresenkende Therapie im akuten Gichtanfall fortgesetzt werden«, erläuterte er.

Allopurinol geht aufgrund von Nebenwirkungen und oft schlechter Compliance häufig mit Therapieversagen einher. Auch kann es zu seltenen, aber lebensbedrohlichen Sensitivitätserkrankungen wie einem Stevens-Johnsons-Syndrom oder Toxisch Epidermaler Nekrolyse (TEN) kommen. Die Gefahr schwerer Hautreaktionen steigt bei einer begleitenden Niereninsuffizienz. Gleiches gilt für die Kombination mit Medikamenten wie ACE-Hemmern und NSAR.

Febuxostat als Alternative geht zwar mit einem geringeren Risiko toxischer Hautreaktionen oder Interaktionspotenziale einher. Doch muss bei seinem Einsatz die Gefahr kardialer Komplikationen bei Patienten mit diagnostizierter, bekannter KHK oder dekompensierter Herzinsuffizienz berücksichtigt werden. Dennoch sei Febuxostat für zahlreiche Patientengruppen eine sinnvolle Therapiealternative, die besonders dann indiziert ist, wenn Allopurinol nicht ausreichend wirkt, Nebenwirkungen wie Hautreaktionen auftreten oder Interaktionen zum Beispiel mit ACE-Hemmern zu befürchten sind.

Ob Febuxostat oder Allopurinol: Eindringlich hob Bastigkeit abschließend die große Bedeutung der strikten Reduktion des Harnsäure-Zielwerts auf 6,0 mg/dl (360 µmol/l) hervor. »Bei Gicht muss der Harnsäurewert geschlechtsunabhängig bis zu dieser Marke gesenkt und hier auch gehalten werden«, betonte er.

Mehr von Avoxa