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Hilfe zum assistierten Suizid

Eine persönliche Entscheidung

Assistierter Suizid ist ein emotionales und konfliktreiches Thema, zu dessen Regulierung es noch in diesem Jahr eine neue gesetzliche Regelung geben soll. Diese könnte auch eine Änderung des Berufsrechts für Apotheker nach sich ziehen. 
Christina Hohmann-Jeddi
30.05.2022  09:00 Uhr

Gerade Heilberufler bringe das Thema assistierter Suizid in ein Dilemma, machte Professor Dr. Helmut Frister, Direktor des Instituts für Rechtsfragen in der Medizin, beim Fortbildungskongress Pharmacon in Meran deutlich. Menschen, die sich dem Leben als Wert an sich verpflichtet fühlten, würden mit Menschen konfrontiert, die das eigene Leben als nicht mehr als lebenswert empfinden. »Dabei hat jeder Mensch Letztverantwortung für sein eigenes Leben«, sagte der Jurist, der auch dem Deutschen Ethikrat angehört. Das umfasse auch die Entscheidungsbefugnis über einen Suizid und darüber, sich hierfür professionelle Hilfe zu erbitten. Diese müsse aber niemand gegen seinen Willen gewähren. »Das ist eine persönliche Entscheidung«, sagte Frister. So könne sich eine Berufsgruppe wie die Ärzte- oder Apothekerschaft  weder dafür noch dagegen entscheiden, sondern nur jeder Einzelne.

In diesem Herbst solle der assistierte Suizid gesetzlich neu geregelt werden, da es momentan eine rechtlich unbefriedigende Situation gebe. Zum Hintergrund: Bis 2015 sah das deutsche Strafgesetzbuch keine Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid vor. Dann führte der Gesetzgeber mit §217 StGB den neuen Straftatbestand »geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung« ein, wobei geschäftsmäßig auf Wiederholung angelegt bedeute, berichtete Frister. Im Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Straftatbestand allerdings für verfassungswidrig. Die Begründung: Das Persönlichkeitsrecht umfasse auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, was auch die Bitte um Hilfe beim Suizid miteinschließe. Anders als in anderen europäischen Ländern sei dies nicht auf schwere Krankheits- oder Leidenszustände beschränkt, erklärte der Jurist. Es gelte aber nur für freiverantwortliche Suizide.

Laut dem Bundesverfassungsgerichtshof könne der Gesetzgeber den assistierten Suizid regulieren und etwa Warte- und Beratungsfristen einführen, berichtete Frister. Jede Regulierung müsse aber der Selbstbestimmung des Individuums Rechnung tragen. Das erfordere »eine konsequente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und Apotheker«, wie es im Urteil heißt. Die Ärzteschaft hatte die Beihilfe zum Suizid 2011 in einer Musterberufsordnung ausdrücklich verboten, wie der Referent berichtete, nach dem Urteil aber wieder zurückgenommen. Möglicherweise müsse auch das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Gemäß § 13 setzt eine ärztliche Verschreibung von bestimmten Betäubungsmitteln voraus, dass deren »Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist«. Seit dem Urteil ist die Beihilfe zu freiverantwortlichen Suiziden wieder erlaubt, auch durch Organisation. Liegt die Freiverantwortlichkeit nicht vor, wird die Beihilfe als Fremdtötung geahndet.

Doch was ist »freiverantwortlich«? Das Recht auf Selbstbestimmung kann eingeschränkt sein, etwa durch schwere psychische Erkrankungen wie Depression, aber auch durch Unkenntnis von Auswegen aus der Notsituation, wenn etwa eine final erkrankte Person nicht über die Möglichkeiten der Palliativmedizin informiert sei. »Dann kann sie nicht freiverantwortlich entscheiden«, so Frister. Auch Druck aus der Umgebung der Person stelle diese Freiverantwortlichkeit infrage. »Die Freiverantwortlichkeit muss streng geprüft werden«, sagte der Jurist.

Für eine gesetzliche Regulierung des assistierten Suizids lägen derzeit drei verschiedene Entwürfe vor, die sich etwa hinsichtlich der ärztlichen Prüfung dieser Freiverantwortlichkeit unterscheiden. Seiner Ansicht nach sollte es hierfür ein »schlankes Verfahren« geben, um der Selbstverantwortung des Individuums, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, Rechnung zu tragen. 

Der Jurist stellte klar, dass selbst pharmazeutische Ratschläge dazu, welche Arzneimittel für einen Suizid geeignet und in welcher Menge ausreichend seien, schon Suizidassistenz seien. Hierfür müsste der Apotheker vorher die Freiverantwortlichkeit geprüft haben. »Das kann der Apotheker nicht zwischen Tür und Angel«, so Frister. Für die Prüfung sei ein langes Gespräch mit einem Arzt nötig. So ein Ansinnen sollten Apotheker immer zurückweisen. Falls es bei einem ärztlichen Rezept konkrete Hinweise auf einen assistierten Suizid gebe, müsse der Pharmazeut es nicht beliefern. Der Kontrahierungszwang sei hier aufgehoben.

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