Durchseuchung in Afrika höher als angenommen |
Christina Hohmann-Jeddi |
21.10.2021 10:00 Uhr |
In Äthiopien ist in etwa die Hälfte des medizinischen Personals bereits mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen. / Foto: Adobe Stock/DisobeyArt
Nach bisherigen Angaben fallen auf die Bevölkerung Afrikas etwa 3 Prozent aller Covid-19-Erkrankungen weltweit. Schon früh in der Pandemie waren medizinische Gründe diskutiert worden, warum der afrikanische Kontinent von Covid-19 verschont sein könnte. Aber auch geringe Testkapazitäten in den Ländern und eine mögliche Untererfassung der Fälle waren diskutiert worden. Eine Untersuchung einer äthiopisch-deutschen Forschungskooperation zeigt nun, dass wohl eine Untererfassung in dem Land bei einer starken Durchseuchung zu verzeichnen ist. Deutlich mehr Menschen als offiziell gemeldet hatten bereits Kontakt mit SARS-CoV-2. Das berichtet das Team um Professor Dr. Esayas Kebede Gudina von der Universität Jimma in Äthiopien im Journal »The Lancet Global Health«.
In ihrer Studie in Äthiopien analysierten die Forscher Blutproben von medizinischem Personal mit hohem Expositionsrisiko (frontline healthcare workers) sowie von Bewohnern aus städtischen und ländlichen Gemeinden in Jimma und Addis Abeba. Ziel war es, mit der Kohortenstudie erstmals epidemiologische Daten zur Seroprävalenz (Häufigkeit spezifischer Antikörper im Blutserum) und Seroinzidenz (Anstieg des Anteils Antikörper-positiver Individuen über die Zeit) in Afrika im zeitlichen Verlauf zu erhalten. Hierfür werteten die Forschenden Blutproben in drei Runden von August 2020 bis April 2021 aus.
Die Ergebnisse zeigen, dass die SARS-CoV-2-Seroprävalenz unter dem medizinischen Personal während des Studienzeitraums dramatisch angestiegen war: Im Klinikum in Addis Abeba verzeichnete das Forschungsteam einen Anstieg von 10,9 Prozent im August 2020 auf 53,7 Prozent im Februar 2021, was auf eine Sieben-Tage-Inzidenz von 2223 pro 100.000 Einwohner schließen lässt. In Jimma stiegen die Zahlen von 30,8 Prozent im November 2020 auf 56,1 Prozent im Februar 2021, dies legt eine Inzidenzrate von 3810 pro 100.000 Einwohnern nahe. In den städtischen Gemeinden zeigte sich Anfang 2021 ein deutlicher Anstieg der Seroprävalenz auf fast 40 Prozent. Die Seroprävalenz in ländlichen Regionen stieg von 18 Prozent im November 2020 auf 31 Prozent im März 2021.
Damit liegen die Zahlen zur vermuteten Seroprävalenz weit über den gemeldeten Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (290.000 Infektion bei 112 Millionen Einwohnern – dies entspricht einer Prävalenz von 0,26 Prozent). In Äthiopien wurde eine gezielte Teststrategie implementiert, bei der ausschließlich Symptomatische, Kontaktpersonen von diagnostizierten Corona-Infizierten und Personen aus Risikogruppen getestet werden. Dadurch erhielten etwa 3 Prozent der Bevölkerung bislang einen SARS-CoV-2-Test, heißt es in der Publikation.
»Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Immunität – durch durchgemachte SARS-CoV-2 Infektionen – in der afrikanischen Bevölkerung viel höher ist als angenommen«, kommentiert Mitautor Professor Dr. Michael Hoelscher, Direktor des Tropeninstituts am LMU Klinikum in München, in einer Mitteilung der LMU. Daraus leitet er die Forderung ab, die Impfstrategie anzupassen: »So könnte zum Beispiel vor einer Impfung der Antikörperstatus ermittelt und gegebenenfalls nur eine Dosis als Auffrischung verimpft werden. Zudem ermöglicht dies einen gezielten Einsatz des Impfstoffes, insbesondere bei Risikogruppen und bei älteren Menschen.«
Auch Studien aus anderen afrikanischen Ländern deuten auf eine hohe Durchseuchung hin: So hätte die Seroprävalenz bei Mitarbeitern des Gesundheitswesens in der Demokratischen Republik Kongo bei 41 Prozent und in Nigeria bei 45 Prozent gelegen, heißt es in der Publikation. Blutspender in Südafrika wiesen zu 60 Prozent Antikörper gegen SARS-CoV-2 auf.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.