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Leistungsdruck

Die toxische Mischung heißt Alltag

Leistungsdruck, Zukunftsängste, Erwartungen von Familie, Schule, Ausbildung oder Job erzeugen oft Stress. Mit der PZ sprach die junge Autorin Lisa Sophie Laurent darüber, welcher gesellschaftliche Druck auf ihrer Generation lastet. Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie wichtig mentale Gesundheit ist.
Jennifer Evans
08.10.2019  11:00 Uhr

PZ: Burnout trifft immer häufiger auch junge Menschen. Sie haben neben dem Psychologie-Studium in den Medien gearbeitet, einen YouTube-Kanal gestartet und sich für soziale Projekte engagiert. Wann haben Sie gemerkt, dass der Tag nicht mehr genug Stunden hatte?

Laurent: Dass mein Terminkalender immer voller wurde, war ein schleichender Prozess. Mir fiel es früher sehr schwer, neue Projekte und Aufgaben abzulehnen. Einerseits, weil ich ein sehr wissbegieriger Mensch bin und weil es mir Spaß macht, vielseitig gefordert zu werden. Andererseits, weil ich die Erwartungen der Menschen in meinem Umfeld nicht enttäuschen wollte. Das Resultat war, dass ich als 21-Jährige regelmäßig 70 Stunden-Wochen hatte und nicht mehr zur Ruhe kam. Als ich erfuhr, dass ein wichtiger Abgabetermin plötzlich zwei Wochen vorgezogen wurde, fiel dieses ganze Termin-Konstrukt in sich zusammen. Und ich fand mich kurz darauf mit einem Burnout auf dem Sofa wieder.

PZ: Haben Ihnen der Zeit- oder der Leistungsdruck am meisten zu schaffen gemacht? Oder waren die eigenen Ansprüche zu hoch?

Laurent: Ich denke, dass diese drei Faktoren stark zusammenwirken. Ich habe das Gefühl, dass ein hoher gesellschaftlicher Druck auf meiner Generation lastet. Wenn ich mich in meinem Umfeld umhöre, haben viele das Gefühl, verschiedene Lebensbereiche immer weiter optimieren zu müssen. Es scheint immer weniger Platz für Fehler zu geben. Daraus resultiert natürlich eine hohe Anspruchshaltung an sich selbst.

PZ: Das klingt, als ob viele Menschen der Generation Z, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurde, mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.

Laurent: Ich kann natürlich nicht für meine komplette Generation sprechen, aber im Leben scheint alles immer schneller gehen zu müssen. Das Gymnasium in acht Jahren, das Bachelor-Studium in sechs Semestern Regelstudienzeit. Dabei werden gleichzeitig Bestnoten erwartet. Parallel soll man möglichst mehrere Praktika machen, am besten direkt den perfekten Job finden, rund um die Uhr für Vorgesetzte erreichbar sein und sich politisch engagieren. Auch privat will man den überhöhten Erwartungen an etwa den eigenen Körper, Beziehungen und Freundschaften entsprechen. Kombiniert mit dem Druck, der durch die sozialen Medien entsteht, ergibt das eine ganz schön toxische Mischung.

PZ: Wie sind Sie aus Ihrem Loch wieder herausgekommen?

Laurent: Das war ein Prozess, der nicht einfach mal nebenbei passieren konnte, sondern der meine komplette Aufmerksamkeit erfordert hat. Ich habe mich intensiv mit meinen Werten, Zielen und Zukunftswünschen auseinandergesetzt und mich gefragt, was davon in meinem Leben eigentlich Priorität hat.

PZ: Wie gönnt man dem Kopf eine Auszeit und stoppt das Gedanken-Karussell?

Laurent: Mir persönlich hilft es, bewusst meinen gewohnten Arbeitskontext zu verlassen. Als Selbstständige gestaltet sich das ein bisschen kompliziert, da ich von zu Hause aus arbeite und sich meine Wohn- und Arbeitsräume stark überschneiden. Meinen Gedanken hilft es, wenn ich all meine elektronischen Geräte ausschalte und Zeit mit Freunden und Familie verbringe oder Sport mache. Das sorgt für eine gesunde Art der Ablenkung.

PZ: Sie haben irgendwann aufgehört, perfekt sein zu wollen. Wie gelingt das?

Laurent: Wenn ich ehrlich bin, ist das ein Prozess, den ich noch nicht ganz abgeschlossen habe. Doch es gelingt zunehmend besser, mir Fehler zuzugestehen. Niemand von uns ist perfekt, auch wenn das gerade meiner Generation in den sozialen Medien oft anders vermittelt wird. Ich nutze deswegen regelmäßig den Hashtag #fürmehrrealitätaufinstagram unter meinen Bildern und zeige dort neben den vorteilhaften Fotos auch Schnappschüsse für einen realistischen Blick aufs Leben.

PZ: Wie lernt man Entspannung und Glücksgefühle wieder zu spüren?

Laurent: Für mich war damals die komplette Auszeit richtig, in der ich alle äußeren Impulse reduziert habe. Dann habe ich versucht, alle Gefühle zu registrieren, die sich in meinem Inneren abgespielt haben und auch die schlechten nicht weggeschoben oder mich von ihnen abgelenkt. Denn erst nachdem ich mich ausführlich damit auseinandergesetzt hatte, gab es wieder Platz für Entspannung und Glücksgefühle.

PZ: Auf welche Weise können Tagträume dabei helfen?

Laurent: Sie haben mir geholfen herauszufinden, wie ich mir mein Leben langfristig vorstelle. Ich habe mir dabei erlaubt, die Filter beiseite zu schieben, die mich einschränken. Also typische Sätze wie: »Das schaffe ich doch eh nicht«, »Dafür bin ich zu jung oder zu alt«, »Was würden denn die Leute denken, wenn ich das tun würde?«. Die Ergebnisse dessen habe ich mit der Realität abgeglichen und überlegt, an welchen Stellschrauben ich drehen muss, um meinen Vorstellungen und Wünschen näher zu kommen.

PZ: Oft werden sogenannte Vision-Boards empfohlen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Was halten Sie davon?

Laurent: Mir hilft Visualisierung sehr. Ein Vision-Board erstelle ich mir beispielsweise einmal pro Jahr. Dafür klebe ich Fotos auf ein großes Plakat, die Dinge symbolisieren, auf die ich mich im nächsten Jahr konzentrieren möchte. Das Plakat hänge ich im Schlafzimmer auf. Dort sehe ich es jeden Tag und orientiere so auch unterbewusst meine Handlungen daran. Es ist quasi eine tägliche kleine Erinnerung an meine Werte, Ziele und meine aktuelle Priorität.

PZ: Wie lässt sich das eigene Energielevel steigern?

Laurent: Meiner Erfahrung nach ist es essenziell, mehr Pausen zu machen. Je häufiger mein Gehirn durchatmen darf, desto mehr schaffe ich an einem Tag. In den Pausen telefoniere ich mit Freunden oder mache auch mal für 20 Minuten ein Mittagsschläfchen. Danach habe ich wieder neue Energie für die nächste Aufgabe.

PZ: Welche Rolle spielt ein gutes Zeitmanagement, um nicht in Stress zu geraten?

Laurent: Ich habe viel Zeit investiert, um ein Organisationssystem zu finden, das für mich gut funktioniert. Das ist nicht auf die maximale Menge an Terminen ausgelegt, sondern auf Stressvermeidung. Ich habe inzwischen ein recht gutes Gefühl dafür, welche Aufgabenmenge ich an einem Tag schaffen kann. Das war eine sehr wertvolle Erkenntnis. Denn selbst das beste Zeitmanagement hilft nichts, wenn man sich utopische Ziele setzt.

PZ: Was geben Sie Schülern und Studierenden mit auf den Weg, um mental gesund zu bleiben?

Laurent: Auch wenn der Leistungsdruck hoch ist: Hört auf euren Körper. Ich habe mich beispielsweise nach meinem Burnout dazu entschieden, gewisse Dinge langsamer angehen zu lassen. Für mein Bachelor-Studium habe ich 12 Semester gebraucht, also das Doppelte der Regelstudienzeit. Ich habe mir irgendwann eingestanden, dass es im vorgegebenen Tempo parallel zu all den anderen Projekten, die mir am Herzen liegen, nicht auf einem gesunden Weg machbar ist. Jetzt habe ich meinen Abschluss in der Tasche und bin damit absolut zufrieden. Auch wenn ich nicht den konventionellen Weg gegangen bin, geht es mir mental gut und das ist die Hauptsache. Die Welt geht nicht unter, wenn man mal durch eine Prüfung fällt, mehrere Anläufe für den Führerschein braucht oder eine Ausbildung abbricht.

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