Die stille Last der Kinder |
Kinder alkoholkranker Eltern haben ein deutlich erhöhtes Risiko für langfristige psychische Folgen, die bis ins Erwachsenenalter persistieren. Das Risiko, selbst eine Alkoholabhängigkeit oder andere Suchterkrankungen zu entwickeln, ist bis sechsfach höher als bei Kindern aus nicht belasteten Familien. Viele beginnen früher mit Alkoholkonsum und zeigen häufiger riskantes Trinkverhalten als Gleichaltrige.
Emotionale Vernachlässigung und instabile Bindungen können zu chronischen Depressionen, generalisierten Ängsten und sozialen Phobien führen. Gewalt, Vernachlässigung oder chaotische Familienverhältnisse können Traumafolgestörungen wie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auslösen. Unsichere Bindungen und Parentifizierung (Rollenumkehr, bei der Kinder Elternaufgaben übernehmen) begünstigen die Borderline- oder abhängige Persönlichkeitsstörung. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, ihre eigenen Gefühle zu erkennen, auszudrücken oder zu regulieren. Chronische Schuld- und Schamgefühle sowie Loyalitätskonflikte schwächen das Selbstbild. Häufig wiederholen sich die belastenden Muster, etwa durch Partnerschaften mit suchtkranken Personen oder Co-Abhängigkeit.
Trotz der Risiken entwickeln nicht alle Kinder langfristige Störungen. Resilienzfaktoren wie stabile Bezugspersonen in- und außerhalb der Familie, psychotherapeutische Frühinterventionen und Aufklärung über Suchtmechanismen können die Folgen abmildern (20, 26–32).
Apothekenteams können durch ihr Fachwissen und das Vertrauensverhältnis zu vielen Patienten einen Beitrag zur Früherkennung und Prävention, gerade auch in Familien, leisten.
Apothekenteams können ihre Kunden auf vielen Wegen für das Thema Alkohol sensibilisieren. Damit tragen sie zur Früherkennung und Prävention bei. / © Adobe Stock/contrastwerkstatt
Ein Ansatzpunkt kann die Beratung bei typischen Folgen eines übermäßigen Alkoholkonsums sein, etwa bei Schlafstörungen, Magenbeschwerden oder Nervosität. Wenn Kunden regelmäßig nach entsprechenden Präparaten fragen, kann dies auf ein tieferliegendes Problem hinweisen. Das Apothekenteam kann sensibel nachfragen, ob auch andere Beschwerden bestehen oder bereits ärztliche Abklärung erfolgt ist. Auch bei wiederholten Nachfragen nach Leberpräparaten, Vitamin B1, Magnesium oder Präparaten gegen Nervenschmerzen lohnt es sich, genauer hinzusehen. Das gilt besonders dann, wenn gleichzeitig Hinweise auf sozialen Rückzug, Erschöpfung oder psychische Belastung erkennbar sind.
In der Beratung zu Kinderwunsch oder zur Medikation in der Schwangerschaft oder Stillzeit kann Alkohol thematisiert werden. Ein kurzer Hinweis wie »in der Schwangerschaft gilt die Empfehlung: kein Alkohol und schon bei Kinderwunsch lohnt sich Vorsicht« weckt Bewusstsein und gibt Raum für Fragen. Auch bei Rezepturen mit Ethanol, bei Nahrungsergänzungsmitteln oder homöopathischen Präparaten können Apothekenteams alkoholbezogene Risiken ansprechen.
Informationsmaterial zur Alkoholprävention in der Schwangerschaft, etwa vom Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), oder Links zu verlässlichen Online-Angeboten geben niedrigschwellige Orientierung. Die Apotheke kann auch an regionale Beratungsangebote vermitteln. Wichtig ist immer, kein vorschnelles Urteil zu fällen, sondern eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen öffnen können.
Ebenso können Apotheken auf Kinder aus alkoholbelasteten Familien achten. Wenn ein Kind häufig wegen Bauchschmerzen oder kleinen Verletzungen in die Apotheke gebracht wird, sich auffällig zurückzieht oder ungewöhnlich angepasst verhält, kann das auf eine familiäre Belastung hindeuten. Auch hier gilt es, achtsam zu sein, ohne zu urteilen. Apotheken können als niedrigschwellige Anlaufstelle auf Hilfsangebote hinweisen, sensibel informieren und bei Bedarf weitervermitteln (30–36). Flyer und Aushänge zu Programmen wie »Trampolin«, zu lokalen Beratungsstellen oder Hotlines können ausgelegt werden.
»Trampolin« ist ein wissenschaftlich evaluiertes Gruppenangebot für Kinder von acht bis zwölf Jahren aus suchtbelasteten Familien. Entwickelt wurde es vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) und dem Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP). Es vermittelt kindgerecht Wissen über Suchterkrankungen sowie Strategien zur Stressbewältigung und fördert Selbstwirksamkeit und Problemlösefähigkeiten. Eine bundesweite Studie mit mehr als 200 Kindern zeigte, dass diese sich psychisch stabiler fühlten und besser mit belastenden Situationen umgehen konnten. Sie hatten auch ein größeres Verständnis für die elterliche Erkrankung als Vergleichsgruppen.
Hilfreich sind auch Telefonnummern und Webadressen, bei denen Kinder und Jugendliche anonym Hilfe erhalten können, etwa das bundesweite Nottelefon Sucht (0800 2802801). KidKit und NACOA Deutschland bieten Chatangebote, Informationen und Beratung speziell für Kinder aus suchtbelasteten Familien. Die bke-Jugendberatung kann mit Themenchats, Foren und professioneller Unterstützung eine Option für Jugendliche sein. Auch auf regionale Suchtberatungsstellen, Fachambulanzen und das Jugendamt kann das Apothekenteam hinweisen.