Die stille Last der Kinder |
Säuglinge mit FASD sind oft sehr unruhig, schreien viel, schlafen schlecht und gedeihen nur langsam. Viele haben Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse zu regulieren, reagieren panisch auf Berührungen oder Blickkontakt und haben Probleme beim Füttern, etwa durch einen gestörten Saug-Schluck-Reflex oder mangelndes Hungergefühl. Die Symptome können denen anderer Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Entwicklungsverzögerungen ähneln und zu Fehldiagnosen verleiten.
Die S3-Leitlinie »Fetale Alkoholspektrumstörungen bei Kindern und Jugendlichen: Diagnose & Intervention« (Stand März 2025) empfiehlt eine interdisziplinäre Diagnostik, die sowohl körperliche als auch neuropsychologische Untersuchungen umfasst. Bei FASD müssen gemäß Leitlinie vier Kriterien erfüllt sein:
Die pränatale Alkoholexposition ist zwar ein wichtiges Kriterium zur Abgrenzung von anderen Störungen, ist jedoch oft nicht bekannt oder wird nicht erfragt/dokumentiert. Das erschwert die Zuordnung der Symptome zu einer FASD (3, 4, 5).
Eine ausbleibende oder falsche Diagnose, aber auch Unkenntnis und Scham der Eltern haben zur Folge, dass Kinder mit FASD oft nicht oder nicht optimal therapiert werden. Angesichts der Entwicklungsverzögerungen in Sprache, Motorik und Sozialverhalten ist eine möglichst frühe Förderung jedoch besonders wichtig.
Heilbar sind FASD nicht. Therapeutische Ansätze sind vor allem symptomorientiert und umfassen pädagogische, psychologische und soziale Unterstützung. Ziel der multimodalen Therapie ist es, die neuropsychologische Funktionsfähigkeit (die Fähigkeit des Gehirns, verschiedene kognitive und psychische Funktionen auszuführen) zu verbessern, sekundäre Störungen zu verhindern und den Betroffenen sowie ihren Familien zu mehr Lebensqualität zu verhelfen (3, 4, 6).
Zentral sind die Aufklärung und Beratung der Familie, des sozialen Umfelds und aller beteiligten Fachkräfte, um ein gemeinsames Verständnis der Störung und ihrer Auswirkungen zu schaffen. Es werden individuelle Förderpläne erarbeitet, die die kognitiven, motorischen, sprachlichen und sozialen Bedürfnisse des Kindes berücksichtigen. Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie unterstützen die motorische und sprachliche Entwicklung, während heilpädagogische Maßnahmen gezielt auf die Stärkung von Alltagskompetenzen und Selbstständigkeit ausgerichtet sind.
In der Physiotherapie kommen bei neurologischen Entwicklungsstörungen bewährte Verfahren, beispielsweise nach Bobath und nach Vojta, zum Einsatz. Bei Menschen mit FASD können sie Muskeltonus, Bewegungsabläufe oder Koordination verbessern und möglichst normale Bewegungsmuster und Alltagsfunktionen fördern.
Das Bobath-Konzept geht davon aus, dass das Gehirn sich ein Leben lang neu organisieren kann (Neuroplastizität). Durch gezielte Bewegungsanregungen sollen Kinder lernen, Muskelspannung, Haltung und Bewegungsabläufe besser zu steuern. Die Übungen werden in den Alltag integriert und die Eltern aktiv einbezogen, damit sie die Aktivitäten zu Hause fortführen.
Bei der Vojta-Therapie sollen angeborene Bewegungsmuster (Reflexlokomotion), die im Gehirn gespeichert sind, aktiviert werden, um so Motorik, Haltung und Koordination zu verbessern. Das Konzept geht davon aus, dass bestimmte Körperlagen, zum Beispiel Bauch-, Rücken- oder Seitenlage, und gezielter Druck auf definierte Zonen automatische, unwillkürliche Bewegungsabläufe ähnlich dem Krabbeln oder Drehen auslösen. So kann zum Beispiel ein Kleinkind mit FASD, das mit 18 Monaten noch nicht frei sitzt oder sich kaum fortbewegt, durch Vojta grobmotorische Grundlagen schaffen.
Kinder mit FASD brauchen eine umfassende Therapie. Manchen helfen tiergestützte Therapien, zum Beispiel mit Hunden oder Pferden. / © Shutterstock/Jordi Mora
Psychotherapeutische Interventionen – oft verhaltenstherapeutisch orientiert – helfen, emotionale Regulation, Impulskontrolle und soziale Kompetenzen zu fördern. Tiergestützte Therapien mit Therapiehunden oder eine Reittherapie zeigen positive Effekte auf das Sozialverhalten und das Selbstbewusstsein der Kinder, auch wenn die Evidenzlage noch begrenzt ist.
Eine enge Kooperation mit Schulen und Kindertagesstätten soll eine angepasste Lernumgebung schaffen und Überforderung vermeiden. Langfristig sind Kontinuität, klare Strukturen, vorhersehbare Abläufe und eine stabile Bezugsperson entscheidend, um sekundäre Probleme wie Schulabbrüche, Suchtentwicklung oder Delinquenz zu verhindern.
Die Therapieplanung sollte regelmäßig überprüft und an neue Entwicklungsphasen angepasst werden, um die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu maximieren.