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Alkohol

Die stille Last der Kinder

Wenn bei Alkohol das Limit überschritten wird, leidet das Umfeld mit. Kinder mit fetaler Alkoholspektrumstörung oder von suchtkranken Eltern brauchen Unterstützung, therapeutische Angebote und verlässliche Bezugspersonen. Aufmerksamkeit will der »Tag des alkoholgeschädigten Kindes« am 9. September wecken.
Nicole Schuster
31.08.2025  08:00 Uhr

Jeder Tropfen ist einer zu viel: So heißt die aktuelle Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Alkohol. Menschen, die übermäßig Trinkalkohol (Ethanol) konsumieren, schaden damit nicht nur sich selbst, sondern beeinträchtigen auch das Leben anderer Menschen, vor allem der eigenen Familie. Besonders leiden Kinder alkoholkranker Elternteile.

Irreparable körperliche und psychische Schäden können bereits vor der Geburt entstehen, wenn die werdende Mutter Alkohol trinkt. Selbst eine geringe pränatale Exposition kann fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) auslösen. Ethanol gelangt über die Plazenta zum ungeborenen Kind und wirkt toxisch auf die sich entwickelnden Organe, insbesondere das Gehirn. Irreversible Störungen in der Gehirnstruktur und -funktion führen zu Entwicklungsverzögerungen, kognitiven Defiziten, Verhaltensauffälligkeiten und körperlichen Fehlbildungen.

Alkohol geht über das Blut auch in die Muttermilch über und das sogar fast vollständig. So entspricht die Alkoholkonzentration in der Milch zu etwa 95 Prozent der mütterlichen Blutalkoholkonzentration. Belastbare Daten zu den Auswirkungen auf das Kind fehlen noch. Im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes wird dennoch geraten, während der Stillzeit ganz auf Alkohol zu verzichten (1, 2).

Hohe Dunkelziffer

Viele Frauen unterschätzen die Folgen, die Alkoholkonsum in der Schwangerschaft für das Kind bedeuten kann. FASD sind eine der häufigsten angeborenen Erkrankungen, bleiben aber oft unerkannt. Schätzungen zufolge liegt die Prävalenz weltweit bei etwa 1 bis 5 Prozent aller Neugeborenen, in Risikogruppen deutlich höher. In Deutschland kommen jährlich mehr als 10.000 Neugeborene mit alkoholbedingten Schädigungen zur Welt.

Die Kinder zeigen häufig Wachstumsstörungen und sind bei Geburt und im weiteren Verlauf oft kleiner und leichter als ihre Altersgenossen. Typische Gesichtsmerkmale wie kurze Lidspalten, eine verstrichene Rinne zwischen Nase und Oberlippe sowie eine schmale Oberlippe können auffallen. Fehlbildungen bei Organen wie Nieren oder Herz sind möglich.

Am schwerwiegendsten sind irreversible Schäden des zentralen Nervensystems. Das Gehirn kann unterentwickelt sein, was sich unter anderem in einem kleinen Kopfumfang (Mikrozephalie) bemerkbar macht. Die Betroffenen haben häufig Probleme mit Sprache, Lernen, Aufmerksamkeit, Verhalten, Feinmotorik und Koordination. Das Risiko für epileptische Anfälle ist erhöht. Häufige Infekte, Schlafprobleme und eine gestörte Sinneswahrnehmung, etwa Überempfindlichkeit oder fehlendes Schmerzempfinden, belasten im Alltag zusätzlich.

Der Begriff FASD umfasst verschiedene Krankheitsbilder, die sich in Schweregrad und Symptomen (Tabelle 1) unterscheiden.

  • Das fetale Alkoholsyndrom (FAS) ist die ausgeprägteste Form. Menschen mit schwerem FAS haben eine stark reduzierte Lebenserwartung und werden durchschnittlich nur rund 34 Jahre alt. Haupttodesursachen sind Suizid, Unfälle und Vergiftungen.
  • Beim partiellen fetalen Alkoholsyndrom (pFAS) liegen nur einige der charakteristischen Merkmale vor. Die Symptome können milder sein, dennoch ist die geistige und soziale Entwicklung auch hier merklich beeinträchtigt.
  • Die alkoholbedingte Neuroentwicklungsstörung (ARND) äußert sich vor allem in kognitiven und neurologischen Einschränkungen, die sich als Lern- und Verhaltensstörungen äußern können. Äußerlich sind die Kinder meist unauffällig, was die Diagnose erschwert (3, 4).
Bereich Mögliche Auffälligkeiten Mögliche Interventionen
Neuropsychologie Konzentrationsstörungen, Lern- und Gedächtnisprobleme, beeinträchtigte Exekutivfunktionen zielgerichtetes neurokognitives Training und strukturierte Lernumgebung
Verhalten Impulsivität, Hyperaktivität, oppositionelles Verhalten, emotionale Instabilität Verhaltenstherapie, Elterntraining, ggf. medikamentöse Unterstützung (Beispiel: Methylphenidat)
soziale Kompetenz eingeschränktes Einfühlungsvermögen, Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen Sozialkompetenztraining, tiergestützte Therapie, Elternberatung
Motorik fein- und grobmotorische Koordinationsprobleme Ergotherapie, spezifisches Motoriktraining
Sprache verzögerte Sprachentwicklung, eingeschränktes Sprachverständnis Logopädie, Förderung rezeptiver und expressiver Sprachfähigkeiten
körperliche Begleiterkrankungen Schlafstörungen, Epilepsie, somatische Beschwerden wie Magen-Darm-Probleme interdisziplinäre medizinische Abklärung, eventuell Medikamente
psychische Komorbiditäten ADHS, Angststörungen, Depressionen, Substanzmissbrauch Psychotherapie, medikamentöse Therapie gemäß Fachleitlinien
Familie & Umfeld Überforderung der Bezugspersonen, instabile Lebensverhältnisse Psychoedukation, sozialpädagogische Unterstützung, entlastende Maßnahmen
Schule & Alltag Schwierigkeiten im Klassenverband, geringe Selbstständigkeit Anpassung der Lernumgebung, Einzelfallhilfen, heilpädagogische Maßnahmen
Tabelle 1: FASD-Symptome und mögliche Interventionen (4)

Besondere Bedürfnisse von Anfang an

Säuglinge mit FASD sind oft sehr unruhig, schreien viel, schlafen schlecht und gedeihen nur langsam. Viele haben Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse zu regulieren, reagieren panisch auf Berührungen oder Blickkontakt und haben Probleme beim Füttern, etwa durch einen gestörten Saug-Schluck-Reflex oder mangelndes Hungergefühl. Die Symptome können denen anderer Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Entwicklungsverzögerungen ähneln und zu Fehldiagnosen verleiten.

Die S3-Leitlinie »Fetale Alkoholspektrumstörungen bei Kindern und Jugendlichen: Diagnose & Intervention« (Stand März 2025) empfiehlt eine interdisziplinäre Diagnostik, die sowohl körperliche als auch neuropsychologische Untersuchungen umfasst. Bei FASD müssen gemäß Leitlinie vier Kriterien erfüllt sein:

  • Wachstumsauffälligkeiten,
  • faziale Auffälligkeiten,
  • ZNS-Auffälligkeiten und
  • pränatale Alkoholexposition.

Die pränatale Alkoholexposition ist zwar ein wichtiges Kriterium zur Abgrenzung von anderen Störungen, ist jedoch oft nicht bekannt oder wird nicht erfragt/dokumentiert. Das erschwert die Zuordnung der Symptome zu einer FASD (3, 4, 5).

Therapie: multimodal und individuell

Eine ausbleibende oder falsche Diagnose, aber auch Unkenntnis und Scham der Eltern haben zur Folge, dass Kinder mit FASD oft nicht oder nicht optimal therapiert werden. Angesichts der Entwicklungsverzögerungen in Sprache, Motorik und Sozialverhalten ist eine möglichst frühe Förderung jedoch besonders wichtig.

Heilbar sind FASD nicht. Therapeutische Ansätze sind vor allem symptomorientiert und umfassen pädagogische, psychologische und soziale Unterstützung. Ziel der multimodalen Therapie ist es, die neuropsychologische Funktionsfähigkeit (die Fähigkeit des Gehirns, verschiedene kognitive und psychische Funktionen auszuführen) zu verbessern, sekundäre Störungen zu verhindern und den Betroffenen sowie ihren Familien zu mehr Lebensqualität zu verhelfen (3, 4, 6).

Zentral sind die Aufklärung und Beratung der Familie, des sozialen Umfelds und aller beteiligten Fachkräfte, um ein gemeinsames Verständnis der Störung und ihrer Auswirkungen zu schaffen. Es werden individuelle Förderpläne erarbeitet, die die kognitiven, motorischen, sprachlichen und sozialen Bedürfnisse des Kindes berücksichtigen. Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie unterstützen die motorische und sprachliche Entwicklung, während heilpädagogische Maßnahmen gezielt auf die Stärkung von Alltagskompetenzen und Selbstständigkeit ausgerichtet sind.

In der Physiotherapie kommen bei neurologischen Entwicklungsstörungen bewährte Verfahren, beispielsweise nach Bobath und nach Vojta, zum Einsatz. Bei Menschen mit FASD können sie Muskeltonus, Bewegungsabläufe oder Koordination verbessern und möglichst normale Bewegungsmuster und Alltagsfunktionen fördern.

Das Bobath-Konzept geht davon aus, dass das Gehirn sich ein Leben lang neu organisieren kann (Neuroplastizität). Durch gezielte Bewegungsanregungen sollen Kinder lernen, Muskelspannung, Haltung und Bewegungsabläufe besser zu steuern. Die Übungen werden in den Alltag integriert und die Eltern aktiv einbezogen, damit sie die Aktivitäten zu Hause fortführen.

Bei der Vojta-Therapie sollen angeborene Bewegungsmuster (Reflexlokomotion), die im Gehirn gespeichert sind, aktiviert werden, um so Motorik, Haltung und Koordination zu verbessern. Das Konzept geht davon aus, dass bestimmte Körperlagen, zum Beispiel Bauch-, Rücken- oder Seitenlage, und gezielter Druck auf definierte Zonen automatische, unwillkürliche Bewegungsabläufe ähnlich dem Krabbeln oder Drehen auslösen. So kann zum Beispiel ein Kleinkind mit FASD, das mit 18 Monaten noch nicht frei sitzt oder sich kaum fortbewegt, durch Vojta grobmotorische Grundlagen schaffen.

Psychotherapeutische Interventionen – oft verhaltenstherapeutisch orientiert – helfen, emotionale Regulation, Impulskontrolle und soziale Kompetenzen zu fördern. Tiergestützte Therapien mit Therapiehunden oder eine Reittherapie zeigen positive Effekte auf das Sozialverhalten und das Selbstbewusstsein der Kinder, auch wenn die Evidenzlage noch begrenzt ist.

Eine enge Kooperation mit Schulen und Kindertagesstätten soll eine angepasste Lernumgebung schaffen und Überforderung vermeiden. Langfristig sind Kontinuität, klare Strukturen, vorhersehbare Abläufe und eine stabile Bezugsperson entscheidend, um sekundäre Probleme wie Schulabbrüche, Suchtentwicklung oder Delinquenz zu verhindern.

Die Therapieplanung sollte regelmäßig überprüft und an neue Entwicklungsphasen angepasst werden, um die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu maximieren.

Medikamente bei Komorbiditäten

Eine standardmäßige Pharmakotherapie bei FASD gibt es nicht. Die Betroffenen haben jedoch ein erhöhtes Risiko für weitere körperliche oder psychische Erkrankungen, die medikamentös behandelbar sein können.

Zu den häufigen Komorbiditäten zählen unter anderem Sehstörungen, Epilepsie, eine veränderte Signalübertragung in peripheren Nerven, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Kopf- und Rückenschmerzen, chronische Mittelohrentzündung und Schlafstörungen. Psychiatrische Erkrankungen wie ADHS, oppositionelle Verhaltensstörungen, Angststörungen, Depressionen und Substanzmissbrauch im Jugendalter treten ebenfalls häufig auf; das Gleiche gilt für selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten sowie Suizidalität. Um Komorbiditäten möglichst früh zu erkennen und behandeln zu können, empfiehlt die Leitlinie, die Kinder regelmäßig medizinisch und entwicklungsdiagnostisch zu begleiten.

Bei ausgeprägten Aufmerksamkeits- und Verhaltensauffälligkeiten können neben nicht-medikamentösen Maßnahmen Stimulanzien wie Methylphenidat (bei ADHS) oder Antipsychotika wie Risperidon (bei aggressivem Verhalten) eingesetzt werden. Antipsychotika erfordern ein sorgfältiges Nebenwirkungsmonitoring.

Der selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin kann bei oppositionellen Symptomen eine Verbesserung herbeiführen. Bei Epilepsie sind Antikonvulsiva angezeigt.

Die Auswahl der Medikamente erfolgt in der Regel auf Basis der Leitlinien zu ADHS, Sozialverhaltensstörungen oder Epilepsie (4, 6, 7).

Erwachsensein mit FASD

Bei allen Maßnahmen gilt, dass sie lindern, aber nicht heilen. FASD können sich auch nicht »auswachsen«. Erwachsene mit FASD haben ein erhöhtes Risiko, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Etwa 60 Prozent haben rechtliche Probleme; fast die Hälfte war bereits in Haft oder stationär untergebracht.

Kommunikationsprobleme, inadäquates Sozialverhalten oder sexuelle Grenzüberschreitungen können zur Isolation führen. Nur ein kleiner Teil lebt dauerhaft selbstständig. Rund 70 bis 80 Prozent benötigen betreutes Wohnen oder leben in Einrichtungen. Und nur etwa 13 Prozent sind regulär berufstätig.

Neben einer geistigen Beeinträchtigung belasten körperliche Folgeschäden die Betroffenen ein Leben lang. Dazu gehören Fehlbildungen von Herz, Nieren oder Gelenken, hormonelle Störungen sowie eine erhöhte Anfälligkeit für chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Autoimmunleiden. Viele altern frühzeitig (8–15).

Unterstützung auf Augenhöhe

Menschen mit FASD brauchen eine persönliche und wertschätzende Begleitung auf Augenhöhe. Unterstützungsangebote sollten gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt und auf vorhandene Stärken statt auf Defizite fokussiert werden (3, 4).

Das Apothekenteam kann auf zusätzliche Hilfen hinweisen, etwa einen FASD-Pass oder ein Umhängeband mit Infokarte (anzufragen bei www.fasd-deutschland.de). Diese Materialien dienen dazu, die unsichtbare Behinderung für Außenstehende beispielsweise bei Behörden und der Polizei, im Gesundheitswesen oder im Alltag sichtbar und verständlich zu machen. Einige Betroffene können durchaus sprachlich gewandt auftreten und auf den ersten Blick »unauffällig« wirken. Ihre kognitiven, emotionalen und sozialen Einschränkungen werden dadurch übersehen, was zu Überforderung, Missverständnissen oder unangemessenen Erwartungen führen kann. Der FASD-Pass klärt über die Besonderheiten auf und enthält Kontaktdaten einer Vertrauens- oder Bezugsperson, die im Notfall unterstützen kann (16).

Das Handbuch »Fetale Alkoholspektrumstörung – und dann?« der Drogenbeauftragten der Bundesregierung richtet sich direkt an Jugendliche und junge Erwachsenen und behandelt auch Themen wie Gefühle, Sexualität oder den Umgang mit Geld oder Prüfungen (17).

Kinder aus Suchtfamilien

Eine Alkoholexposition in der Schwangerschaft kann den Fetus direkt und irreparabel bereits im Mutterleib schädigen. Andere Kinder erleiden Schäden, wenn sie in einer Suchtfamilie aufwachsen (Tabelle 2).

In Deutschland leben schätzungsweise fünf bis sechs Millionen Kinder und Jugendliche mit einer/m suchtbelasteten Mutter oder Vater und davon etwa eine Million mit einem zeitweise oder dauerhaft alkoholabhängigen Elternteil. Viele Kinder entwickeln im Lauf ihres Lebens psychische Probleme oder werden selbst suchtgefährdet. Eine Alkoholsucht eines Elternteils oder beider kann tiefe Spuren bei Kindern hinterlassen. Sie wachsen in einer emotional unsicheren und unberechenbaren Umgebung auf, da Zuneigung und Aufmerksamkeit der Eltern stark schwanken und von deren Alkoholkonsum abhängen können.

Viele Kinder übernehmen früh Verantwortung oder versuchen, das Familienleben zu stabilisieren, oft auf Kosten ihrer eigenen Kindheit und Entwicklung. Sie fühlen sich für die familiäre Situation mitverantwortlich und entwickeln Scham-, Schuld- und Angstgefühle. Oftmals ziehen sie sich sozial zurück und haben Schwierigkeiten, Vertrauen zu anderen Menschen und stabile soziale Netzwerke aufzubauen. Sie haben das Gefühl, »anders« zu sein. Die Unberechenbarkeit der Eltern beeinträchtigt das Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, eigene Gefühle zu erkennen und zu regulieren.

Vernachlässigung, inkonsistentes Erziehungsverhalten und im Extremfall Gewalt oder Missbrauch sind zusätzliche Risiken, die die emotionale und soziale Entwicklung stören. Viele Kinder sind chronisch überfordert und haben ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen (17–25).

Konzentrationsschwierigkeiten und emotionale Überlastung führen oft zu schlechteren schulischen Leistungen und erhöhter Abbruchquote und erschweren damit den Start ins Erwachsenenleben.

Bereich Risiken und Auffälligkeiten
körperlich FASD bei Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft: Wachstumseinschränkung, Mikrozephalie, Gesichtsfehlbildungen, motorische Probleme
psychisch, emotional Angst, Depression, geringes Selbstwertgefühl, emotionale Instabilität, frühe Parentifizierung
kognitiv, schulisch häufigere Fehlzeiten, möglicherweise schlechteres Betragen
bei FASD: Konzentrationsstörungen (ADHS),
Lern-, Sprach- und Intelligenzminderung,
exekutive Defizite
Verhaltensauffälligkeiten Hyperaktivität, Impulsivität, dissoziales Verhalten, möglicherweise frühe eigene Alkohol- und/oder Drogenerfahrungen
familiäres traumatisches Erleben emotionale Vernachlässigung, körperliche und/oder psychische Gewalt, sexueller Missbrauch, häufige Trennungen, Loyalitätskonflikte, instabile Bindungen
Sozial- und Beziehungsverhalten Schwierigkeiten in Beziehungen, geringes Vertrauen, sozialer Rückzug, Co-Abhängigkeit, Ersatzrollen (Beispiel »Hero-Kind«)
genetisch, familiär bedingt höheres Risiko für Alkohol- und Drogenabhängigkeit, genetische Vulnerabilität
Tabelle 2: Entwicklung von Kindern aus alkoholbelasteten Familien (23, 38)

Langfristige seelische Belastungen

Kinder alkoholkranker Eltern haben ein deutlich erhöhtes Risiko für langfristige psychische Folgen, die bis ins Erwachsenenalter persistieren. Das Risiko, selbst eine Alkoholabhängigkeit oder andere Suchterkrankungen zu entwickeln, ist bis sechsfach höher als bei Kindern aus nicht belasteten Familien. Viele beginnen früher mit Alkoholkonsum und zeigen häufiger riskantes Trinkverhalten als Gleichaltrige.

Emotionale Vernachlässigung und instabile Bindungen können zu chronischen Depressionen, generalisierten Ängsten und sozialen Phobien führen. Gewalt, Vernachlässigung oder chaotische Familienverhältnisse können Traumafolgestörungen wie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auslösen. Unsichere Bindungen und Parentifizierung (Rollenumkehr, bei der Kinder Elternaufgaben übernehmen) begünstigen die Borderline- oder abhängige Persönlichkeitsstörung. Betroffene haben oft Schwierigkeiten, ihre eigenen Gefühle zu erkennen, auszudrücken oder zu regulieren. Chronische Schuld- und Schamgefühle sowie Loyalitätskonflikte schwächen das Selbstbild. Häufig wiederholen sich die belastenden Muster, etwa durch Partnerschaften mit suchtkranken Personen oder Co-Abhängigkeit.

Trotz der Risiken entwickeln nicht alle Kinder langfristige Störungen. Resilienzfaktoren wie stabile Bezugspersonen in- und außerhalb der Familie, psychotherapeutische Frühinterventionen und Aufklärung über Suchtmechanismen können die Folgen abmildern (20, 26–32).

Frühzeitige und niedrigschwellige Hilfe

Apothekenteams können durch ihr Fachwissen und das Vertrauensverhältnis zu vielen Patienten einen Beitrag zur Früherkennung und Prävention, gerade auch in Familien, leisten.

Ein Ansatzpunkt kann die Beratung bei typischen Folgen eines übermäßigen Alkoholkonsums sein, etwa bei Schlafstörungen, Magenbeschwerden oder Nervosität. Wenn Kunden regelmäßig nach entsprechenden Präparaten fragen, kann dies auf ein tieferliegendes Problem hinweisen. Das Apothekenteam kann sensibel nachfragen, ob auch andere Beschwerden bestehen oder bereits ärztliche Abklärung erfolgt ist. Auch bei wiederholten Nachfragen nach Leberpräparaten, Vitamin B1, Magnesium oder Präparaten gegen Nervenschmerzen lohnt es sich, genauer hinzusehen. Das gilt besonders dann, wenn gleichzeitig Hinweise auf sozialen Rückzug, Erschöpfung oder psychische Belastung erkennbar sind.

In der Beratung zu Kinderwunsch oder zur Medikation in der Schwangerschaft oder Stillzeit kann Alkohol thematisiert werden. Ein kurzer Hinweis wie »in der Schwangerschaft gilt die Empfehlung: kein Alkohol und schon bei Kinderwunsch lohnt sich Vorsicht« weckt Bewusstsein und gibt Raum für Fragen. Auch bei Rezepturen mit Ethanol, bei Nahrungsergänzungsmitteln oder homöopathischen Präparaten können Apothekenteams alkoholbezogene Risiken ansprechen.

Informationsmaterial zur Alkoholprävention in der Schwangerschaft, etwa vom Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), oder Links zu verlässlichen Online-Angeboten geben niedrigschwellige Orientierung. Die Apotheke kann auch an regionale Beratungsangebote vermitteln. Wichtig ist immer, kein vorschnelles Urteil zu fällen, sondern eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen öffnen können.

Ebenso können Apotheken auf Kinder aus alkoholbelasteten Familien achten. Wenn ein Kind häufig wegen Bauchschmerzen oder kleinen Verletzungen in die Apotheke gebracht wird, sich auffällig zurückzieht oder ungewöhnlich angepasst verhält, kann das auf eine familiäre Belastung hindeuten. Auch hier gilt es, achtsam zu sein, ohne zu urteilen. Apotheken können als niedrigschwellige Anlaufstelle auf Hilfsangebote hinweisen, sensibel informieren und bei Bedarf weitervermitteln (30–36). Flyer und Aushänge zu Programmen wie »Trampolin«, zu lokalen Beratungsstellen oder Hotlines können ausgelegt werden.

»Trampolin« ist ein wissenschaftlich evaluiertes Gruppenangebot für Kinder von acht bis zwölf Jahren aus suchtbelasteten Familien. Entwickelt wurde es vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) und dem Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP). Es vermittelt kindgerecht Wissen über Suchterkrankungen sowie Strategien zur Stressbewältigung und fördert Selbstwirksamkeit und Problemlösefähigkeiten. Eine bundesweite Studie mit mehr als 200 Kindern zeigte, dass diese sich psychisch stabiler fühlten und besser mit belastenden Situationen umgehen konnten. Sie hatten auch ein größeres Verständnis für die elterliche Erkrankung als Vergleichsgruppen.

Hilfreich sind auch Telefonnummern und Webadressen, bei denen Kinder und Jugendliche anonym Hilfe erhalten können, etwa das bundesweite Nottelefon Sucht (0800 2802801). KidKit und NACOA Deutschland bieten Chatangebote, Informationen und Beratung speziell für Kinder aus suchtbelasteten Familien. Die bke-Jugendberatung kann mit Themenchats, Foren und professioneller Unterstützung eine Option für Jugendliche sein. Auch auf regionale Suchtberatungsstellen, Fachambulanzen und das Jugendamt kann das Apothekenteam hinweisen.

»Stabiles Umfeld ist entscheidend«

Die Diplom-Sozialpädagogin Gisela Michalowski, Mutter von FASD-Kindern und seit 2005 Vorsitzende von FASD Deutschland in Lingen, erklärt, welche Entwicklungsperspektiven Jugendliche mit FASD haben. 2023 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz am Bande für ihr soziales Engagement.

PZ: Viele Jugendliche mit FASD gelten als unsichtbar beeinträchtigt. Wie wirkt sich dies auf ihre psychosoziale Entwicklung und ihr Selbstbild aus?

Michalowski: Da FASD nicht immer sichtbar sind, werden unsere Jugendlichen häufig überschätzt. Sie fühlen sich in vielen Situationen überfordert und wertlos. Nur wenige Jugendliche haben ein positives Selbstbild. Viele bauen aber eine Fassade auf. Je mehr man die Jugendlichen kennenlernt, umso mehr stellt man fest, wie weit sie von ihren Altersgenossen abweichen. Lebens- und Entwicklungsalter weichen stark voneinander ab.

PZ: Welche Faktoren entscheiden am meisten darüber, ob ein junger Mensch mit FASD langfristig ein stabiles und erfülltes Leben führen kann?

Michalowski: Je früher der junge Mensch in einem verlässlichen stabilen Umfeld aufwachsen kann, umso besser seine Entwicklung. Verlässlichkeit und Sicherheit der Bezugspersonen sind dabei mitentscheidend. Zudem ist das Entwicklungsalter entscheidend: Je mehr man sich diesem in den Anforderungen anpasst, umso besser kann sich der Mensch mit FASD entwickeln.

PZ: Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen?

Michalowski: Meine erwachsenen Kinder mit FASD waren erst zwischen dem 27. und 32. Lebensjahr in der Lage, ihr Leben selbst mit passender Unterstützung zu leben. Meine Kinder ohne FASD haben sich dagegen mit Anfang 20 verselbstständigt.

PZ: Wie kommen öffentliche Institutionen mit den Bedürfnissen von Jugendlichen mit FASD klar?

Michalowski: Schulen, Einrichtungen der Jugend- und Behindertenhilfe sowie das medizinische System sind auf die komplexen Bedürfnisse der Jugendlichen meist gar nicht eingestellt. Persönlich stelle ich fest, dass es absolut an Wissen fehlt über die Entstehung, Auswirkungen und den Umgang mit Menschen mit FASD. Wenige Einrichtungen haben sich auf den Weg gemacht, aber erst nachdem durch Fortbildungsmaßnahmen zu FASD dort erkannt wurde, warum so viele Jugendliche gescheitert sind.

PZ: Wie kann man verhindern, dass Jugendliche mit FASD in psychiatrischen Fehldiagnosen »verloren gehen«?

Michalowski: Bisher erhalten die Kinder häufig eine ADHS- oder Autismus-Diagnose. Je älter die Menschen werden, umso häufiger sind psychiatrische Diagnosen wie Borderline-Störung. Eine frühe Diagnostik könnte gegensteuern und wäre wichtig für die langfristige Perspektive. Allerdings müssen Erziehende dann auch gute Kenntnisse über FASD und deren Auswirkungen haben, damit Menschen mit FASD richtig behandelt werden.

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