Die Rolle des Darmmikrobioms |
Christina Hohmann-Jeddi |
15.06.2022 09:00 Uhr |
Das Zellgift Ethanol kann den gesamten Gastrointestinaltrakt schädigen, vor allem die Darmschleimhaut und die Mikrobiota. / Foto: Adobe Stock/Syda Productions
In Deutschland konsumieren laut Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit etwa 6,7 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Etwa 1,6 Millionen Menschen dieser Altersgruppe gelten als alkoholabhängig. Analysen gehen von jährlich etwa 74.000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus.
»In 29 Prozent der Fälle sind Krebserkrankungen die Todesursache«, berichtete Dr. Ralf Hardenberg, niedergelassener Internist aus Nürnberg, beim Internistenkongress Anfang Mai in Wiesbaden. Mit insgesamt 32 Prozent sind Unfälle, Suizide und Verletzungen die häufigsten Todesursachen bei Alkoholabusus, auf Lebererkrankungen gehen insgesamt 27 Prozent der Todesfälle zurück.
Alkohol könne den gesamten Magen-Darm-Trakt schädigen, berichtete Hardenberg: »Das fängt im Mund mit schlechten Zähnen und Mundhöhlenkrebs an und endet im Rektum mit Rektalkrebs.« Dabei könne das Zellgift direkt toxisch auf die Mukosa wirken und eine lokale Entzündung verursachen, aber auch zusätzlich Mikrozirkulationsstörungen im Dünn- und Dickdarm verursachen, die dann die Permeabilität der Darmbarriere störten.
Durch Ödeme in der Schleimhaut könne es dann auch zu Absorptionsstörungen kommen, sagte der Internist. Zudem fänden sich zunehmend großmolekulare Stoffe wie Endotoxine im Blut, die für einen Großteil der alkoholbedingten Leberschäden verantwortlich seien. Klinisch führten die Mukosaschäden etwa zu Refluxösophagitis, gastrointestinalen Blutungen, Mangelernährung und Fettleber. Zudem könne Alkohol auch über Schäden am enterischen Nervensystem die Motilität des Magen-Darm-Trakts stören, was etwa zu einer gestörten bakteriellen Besiedlung im Dünndarm oder auch zu chronischen Durchfällen führen könne.
»In den vergangenen Jahren ist zunehmend klarer geworden, dass Alkohol die Darmmikrobiota und deren Stoffwechsel durcheinanderbringt«, berichtete Hardenberg. Gut untersucht seien hier die Auswirkungen auf die Leber. Denn wie sich ein Alkoholabusus auf das Organ auswirke, sei interindividuell sehr unterschiedlich. Während einige Menschen trotz übermäßigen Konsums keine Leberschäden entwickelten, trete bei anderen eine Fettleber, eine Leberzirrhose, -fibrose oder letztlich ein Leberkarzinom auf. Neben genetischen Faktoren und dem Ausmaß des Konsums sei der entscheidende Faktor für diese Folgeerkrankungen die Dysbiose im Darm, sagte der Mediziner.
Ein 2019 im »International Journal of Molecular Sciences« veröffentlichter Review von Dr. Marica Meroni von der Universität Mailand und Kollegen sei zu dem Schluss gekommen, dass Veränderungen des Darmmikrobioms der Schlüsselfaktor für die Entstehung von Lebererkrankungen und für jegliche alkoholbedingte Mortalität seien. Demnach führe übermäßiger Alkoholkonsum in Kombination mit der westlichen Ernährungsweise zu einer Dysbiose, also einer charakteristisch veränderten Zusammensetzung der Mikrobiota, die eine Störung der Darmbarriere mit darauf folgender Malabsorption, dem vermehrten Auftreten von Entzündungszellen und Endotoxinen im enterohepatischen Kreislauf mit sich bringe. Dass vermehrt bakterielle Stoffwechselprodukte über das Blut die Leber erreichen, sei der Hauptfaktor für alkoholbedingte Lebererkrankungen, schrieben auch Gabriele Vassallo von der Universität Rom und Kollegen 2015 im Fachjournal »Alimentary Pharmacology & Therapeutics«.