Die Leiden der jungen Frau |
Carolin Lang |
12.12.2021 08:00 Uhr |
Es gibt viele Gründe für unerfüllten Kinderwunsch. Mitunter liegen eine Endometriose oder ein polyzystisches Ovarsyndrom zugrunde. Eine sorgfältige Beratung beim Gynäkologen oder im Kinderwunschzentrum kann dies klären. / Foto: Adobe Stock/Kzenon
Es ist eine klassische Situation im Apothekenalltag: Eine junge Frau klagt über Regelschmerzen (Dysmenorrhö) und bittet um ein Schmerzmittel. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich, denn die meisten Mädchen und Frauen haben während der Menstruation zeitweise Schmerzen, Unter-20-Jährige meist stärker als ältere Frauen. Die primäre Dysmenorrhö entsteht durch das Zusammenziehen der Gebärmutter, wobei Prostaglandine zur Schmerzentstehung beitragen. Mit einem geeigneten Schmerzmittel oder der Beratung zu nicht medikamentösen Maßnahmen ist der Betroffenen oftmals gut geholfen.
Was aber, wenn mehr dahintersteckt? Schätzungsweise bis zur Hälfte der Frauen mit stark schmerzhaften Regelblutungen leiden an einer Endometriose. Hier liegt den Schmerzen eine organische Pathologie zugrunde, daher ist nun die Rede von sekundärer Dysmenorrhö. Endometriose ist eine der häufigsten Erkrankungen bei Frauen im gebärfähigen Alter; etwa 10 bis 15 Prozent sind betroffen, genaue Angaben fehlen jedoch.
Das Problem: Die Krankheit wird oft erst sehr spät erkannt. In Deutschland vergehen bis zur korrekten Diagnose meist sechs bis zehn Jahre. Das liegt unter anderem daran, dass Frauen und ihr Umfeld mangelnde Kenntnis über die chronische Krankheit haben und starke Menstruationsbeschwerden für normal halten. Eine zunehmende Sensibilisierung sowohl von Frauen als auch dem Gesundheitspersonal könnte helfen, diese Situation zu verbessern. Hier kommt auch pharmazeutisches Personal ins Spiel. Als häufige Anlaufstelle bei Regelschmerzen kann das Apothekenteam Patientinnen aufklären und Rückfragen stellen und sollte bei bestimmten Anzeichen hellhörig werden.
Die Symptomatik der Endometriose ist umfangreich und teilweise sehr unterschiedlich, was die Diagnose erschwert. Die Krankheit kann auch völlig symptomfrei verlaufen. Die Beschwerden sind zunächst meist zyklusabhängig und/oder zunehmend zyklusunabhängig.
Zu den Endometriose-spezifischen Leitsymptomen gehören laut der aktuellen S2k-Leitlinie »Diagnostik und Therapie der Endometriose« (Stand September 2020) Dysmenorrhö, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie) und Sterilität. Auch gastrointestinale oder urologische Beschwerden wie eine Störung der Defäkation (Dyschezie) oder eine schmerzhafte oder unangenehme Blasenentleerung (Dysurie) sind charakteristisch, wenn auch seltener. Ferner können unregelmäßige Monatsblutungen, Schmerzen bei gynäkologischen Untersuchungen sowie Rücken- und Flankenschmerzen, Depressionen, Fatigue, Müdigkeit und Erschöpfung sowie Übelkeit, Erbrechen und ein Blähbauch (Endo-Belly) auftreten.
Die heterogene Symptomatik lässt sich teilweise durch die Pathogenese erklären. Bei der Endometriose bildet sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, auch außerhalb der Gebärmutterhöhle. Wie das physiologische Endometrium unterliegen auch solche Endometrioseherde den Veränderungen des hormonellen Zyklus. Sie können zyklisch wachsen und bluten, was Verklebungen, Verwachsungen und Entzündungen bedingen kann. Je nach Lokalisation der Herde variiert die Symptomatik. Es werden drei Formen unterschieden (Tabelle 1).
Formen der Endometriose | Lokalisation der Endometrioseherde | Geschätzte Häufigkeit (in Prozent) |
---|---|---|
Endometriosis genitalis interna oder Adenomyosis uteri | innerhalb der Gebärmuttermuskulatur (Myometrium) | 40 bis 60 |
Endometriosis genitalis externa | im kleinen Becken außerhalb der Gebärmutter, zum Beispiel auf dem Bauchfell, den Eierstöcken oder Eileitern | 60 bis 95 |
Endometriosis extragenitalis | außerhalb des kleinen Beckens, beispielsweise in Harnblase, Darm, Lunge, Zwerchfell oder am Bauchnabel | 5 |
Um mögliche Anzeichen für eine Endometriose bei der Beratung in der Apotheke zu erkennen, können gezielte Rückfragen an die Patientin hilfreich sein. Wie diese konkret aussehen könnten und worauf im Gespräch zu achten ist, erklärt Professor Dr. Sylvia Mechsner, medizinische Leiterin des Endometriosezentrums an der Charité Berlin, gegenüber der PZ. »Apotheker spielen eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Diagnose Endometriose«, stellt sie klar.
Typisch für Endometriose sind sehr starke Regelschmerzen. Laut Mechsner geben die meisten Frauen an, dass ihre Unterbauchschmerzen kurz vor der Monatsblutung moderat einsetzen und sich dann intensivieren. »Betroffenen fällt es jedoch häufig schwer zu differenzieren, was ›normale‹ Schmerzen sind und was nicht. Schmerzempfinden ist subjektiv«, schildert die Gynäkologin. »Deshalb frage ich zur Einschätzung meist, ob die Patientinnen noch zur Arbeit, zur Schule oder zum Sport gehen können oder ob sie nur zusammengekrümmt im Bett liegen.«
Zur Einschätzung der Schmerzintensität sei es außerdem sinnvoll, die Betroffenen zu fragen, welche Medikamente ihren Schmerz lindern, rät die Expertin. »Butylscopolaminiumbromid hilft bei Endometriose-Schmerzen in der Regel nicht. Typisch ist auch, dass selbst 600 mg Ibuprofen nicht zur kompletten Schmerzlinderung führen, sondern Betroffene nur den Tag überstehen lassen.« Wenn Frauen eine Antibabypille nehmen und die Abbruchblutung trotzdem schmerzhaft ist, könne dies ebenfalls auf eine Endometriose hindeuten.
Infolge starker Schmerzen könne es parallel zum Zyklus zu vegetativer Begleitsymptomatik in Form von Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall kommen. »Das hat man nicht bei ›normalen‹ Regelschmerzen«, so Mechsner. Grundsätzlich seien alle mit dem Zyklus auftretenden Beschwerden verdächtig, besonders aber Schmerzen beim Wasserlassen, Stuhlgang und Geschlechtsverkehr oder auch der Endo-Belly. Seltener komme es zum Beispiel zu Rücken- oder Schulterschmerzen. Im weiteren Krankheitsverlauf könnten Schmerzen zunehmend unabhängig vom Zyklus auftreten. »Das muss nicht zwangsweise bedeuten, dass die Krankheit fortschreitet, sondern kann auch dadurch bedingt sein, dass die Schmerzschwelle des umliegenden Gewebes mit der Zeit sinkt.«
Starke Menstruationsblutung, begleitet von Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, können auf eine Endometriose hindeuten. / Foto: Adobe Stock/New Africa
»Die Annahme, dass typische Endometriose-Patientinnen erst nach langer Beschwerdefreiheit Symptome entwickeln, ist falsch«, macht Mechsner deutlich. Sie machen den kleineren Anteil aus. Etwa 80 bis 90 Prozent der Frauen geben an, dass die Schmerzen etwa mit dem Einsetzen der Regel begonnen haben und stetig schlimmer werden. »Für die Apotheke bedeutet das: Auch wenn Mädchen oder deren Mütter in die Apotheke kommen und von Regelschmerzen berichten, sollte das Apothekenpersonal wachsam sein und aufklären.«
Stellt das pharmazeutische Personal Hinweise auf Endometriose fest, könne es die Frauen an einen Gynäkologen oder an ein Endometriosezentrum verweisen, rät die Expertin. Hilfreich ist hier die Website der Endometriose-Vereinigung Deutschland (www.endometriose-vereinigung.de).
Die Ätiologie der Endometriose ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt jedoch verschiedene Entstehungstheorien. So besagt beispielsweise die Sampson-Hypothese aus den 1920er-Jahren, dass eine retrograde Menstruation zu einer Verschleppung vitaler Endometriumzellen über die Eileiter in die Bauchhöhle führt. Der Schwachpunkt dieser Theorie: Bei einem Großteil aller Frauen läuft Menstruationsblut auch nach innen.
Heute gehen Wissenschaftler eher davon aus, dass die Kontraktion der Gebärmutter zu kleinsten Verletzungen in der Übergangsschicht von der Schleimhaut zur Muskelschicht führt. Aus diesen Mikrotraumata herausgelöste Endometriumzellen könnten dann verschleppt werden. Nachfolgende Reparaturmechanismen sollen die Kontraktion weiter verstärken und so zu einem Teufelskreis mit weiterer Absiedelung von Endometriumzellen beitragen.
Endometriose ist zwar eine gutartige Erkrankung, verursacht aber »eine bemerkenswerte Morbidität«, heißt es in der Leitlinie. Vielfältige Beeinträchtigungen von Alltag, Beruf und Lebensqualität wurden belegt. Diese können unter anderem die psychische Gesundheit sowie Sexualität und Partnerschaft betreffen. Eine zentrale Rolle spielen die unterschiedlichen Schmerzzustände. Auch unerfüllter Kinderwunsch bedeutet eine erhebliche Belastung. Bei 40 bis 60 Prozent der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, ist eine Endometriose die Ursache.
Die Erkrankung neigt zu häufigen Rezidiven. Nach einer Schwangerschaft bessern sich die Beschwerden bei einigen Frauen dauerhaft. Mit Sistieren des Estrogen-Einflusses nach der Menopause hören sie in der Regel auf.
Wegen der unklaren Ätiologie sind weder eine Prävention noch eine kausale Therapie möglich. Die Chronizität macht ein Langzeitkonzept unter Berücksichtigung individueller Beschwerden und der Familienplanung erforderlich. Behandlungsziele sind eine möglichst lange Beschwerdefreiheit, Reduktion funktioneller Beschwerden, Vermeidung von Organdestruktionen und Verbesserung der Lebensqualität.
Als Basis der Therapie gelten konservative (hormonelle und/oder medikamentöse) sowie operative Maßnahmen. Alle Therapieformen können Schmerzen reduzieren, aber nur eine Operation kann die Fruchtbarkeit beeinflussen.
Orale Kontrazeptiva werden bei Endometriose ohne Pause eingenommen. Sie sind Mittel der zweiten Wahl. / Foto: Adobe Stock/Karyna
Das Prinzip der hormonellen Therapie ist die Induktion einer therapeutischen Amenorrhö. Zum Einsatz kommen Gestagene, kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) und GnRH-Analoga. Über die Hypothalamus-Hypophysen-Achse führen sie, systemisch verabreicht, zu einem generellen Hypoestrogenismus und sollen so das Wachstum und die Neuansiedlung von Endometrioseherden hemmen. Sämtliche Formen der Hormontherapie reduzieren laut Leitlinie Endometriose-assoziierte Beschwerden.
Als Erstliniensubstanz gilt laut Leitlinie ein »geeignetes Gestagen«; als Beispiel ist Dienogest aufgeführt. Der Wirkstoff ist in Deutschland in einer Dosierung von 2 mg zur Behandlung der Endometriose zugelassen und muss ohne Unterbrechung täglich möglichst zur gleichen Zeit eingenommen werden. Dienogest löst wenig unerwünschte Wirkungen wie Zwischenblutungen aus, kann aber langfristig eine Abnahme der Knochendichte bedingen.
Das Gestagen Levonorgestrel kann als Intrauterinpessar im Rahmen eines individuellen Therapieversuchs zur Schmerzkontrolle und Rezidiv-Prävention zum Einsatz kommen. Besonders bei Adenomyosis uteri könnte der Einsatz nützlich sein. Dies fällt genau wie andere Gestagene unter die Zweitlinientherapie.
Ferner sind KOK Mittel der zweiten Wahl (off Label). Eine Langzeiteinnahme ohne Pause ist auch hier zu favorisieren. Die Datenlage ist laut Leitlinie von geringer Qualität und reicht nicht aus, um Unterschiede zwischen verschiedenen KOK oder zu anderen hormonellen Behandlungen zu zeigen.
Bei unerfülltem Kinderwunsch hilft oft nur eine operative Entfernung der Endometrioseherde. / Foto: Adobe Stock/Kzenon
GnRH-Analoga wie Leuprorelin, Goserelin oder Nafarelin sind weitere zugelassene Optionen, aber wegen ihres Nebenwirkungsspektrums mit klimakterischen Beschwerden und einer Verringerung der Knochendichte nur zweite Wahl. Auch aus dem Grund ist die Anwendung in der Regel auf drei bis sechs Monate beschränkt, kann aber durch eine »Add-Back-Therapie« mit einer Estrogen-Gestagen-Kombination verlängert werden. Dies soll Estrogen-bedingte Nebenwirkungen reduzieren. Es gibt Präparate zur subkutanen, intramuskulären und intranasalen Anwendung.
Zur Schmerzlinderung werden außerdem nicht steroidale Antirheumatika wie Ibuprofen oder Naproxen eingesetzt.
Eine Entfernung von Endometrioseherden per Laparoskopie (Bauchspiegelung) sollte immer dann erfolgen, wenn das individuelle Therapieziel medikamentös nicht erreicht wird und/oder Organschädigungen bevorstehen oder bereits vorhanden sind. Ein weiterer Grund kann ein unerfüllter Kinderwunsch sein.
Zudem ermöglicht die Operation auch eine histologische Diagnostik. Experten sind sich jedoch uneinig, ob diese zur Diagnosesicherung grundsätzlich vor einer medikamentösen Therapie nötig ist. Klar ist jedoch, dass eine postoperative Hormontherapie die Rezidivrate senken kann.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen teilte kürzlich mit, dass nicht medikamentöse oder operative Maßnahmen bei Endometriose nicht ausreichend gut untersucht seien, um verlässliche Aussagen zu Vor- und Nachteilen zu treffen.
Laut der Gynäkologin Mechsner profitieren jedoch viele Patientinnen von supportiven Maßnahmen. Ihrer Erfahrung nach gehört dazu eine antientzündliche vegane Ernährung mit Meidung von Fertigprodukten. Sie rät den Frauen, diese über vier Monate auszutesten. In Ergänzung seien antientzündliche Nahrungsergänzungsmittel, beispielsweise mit Curcumin oder Omega-3-Fettsäuren, sinnvoll. Regelmäßiges Yin Yoga könne Muskelverspannungen lösen – genauso eine osteopathische Behandlung. Selbsthilfegruppen können laut Mechsner unter Umständen eine Stütze sein, vor allem, wenn regelmäßige schwere Schmerzzustände die Betroffene psychisch stark belasten.
Ein deutlich augenfälligeres Krankheitsbild junger Frauen ist das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS). Mit einer Prävalenz von 15 Prozent ist es die häufigste endokrinologische Erkrankung bei Frauen im fertilen Alter. Typischerweise liegt der Erkrankungsbeginn zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr. Ähnlich wie bei der Endometriose ist der Leidensdruck für Betroffene häufig sehr hoch.
Das Problem hier liegt weniger in der Diagnose und mehr in der Therapie: Es gibt hierzulande kein zugelassenes Medikament für PCOS, eine deutschsprachige Leitlinie fehlt bislang ebenfalls. Das kann Unsicherheit bei den Patientinnen begünstigen. »Aufklärung ist bei PCOS sehr wichtig. Und diese kann sehr gut durch Apothekerinnen und Apotheker erfolgen«, sagt Dr. Susanne Reger-Tan, PCOS-Spezialistin am Universitätsklinikum Essen, im Gespräch mit der PZ. Zudem komme der nicht medikamentösen Therapie eine bedeutende Rolle zu. Apotheken können auch hierzu umfangreich beraten.
Das PCOS ist durch einen Hyperandrogenismus, also einen Überschuss an männlichen Hormonen (Androgenen) charakterisiert. Dieser manifestiert sich einerseits äußerlich durch ein männliches Behaarungsmuster (Hirsutismus), Haarausfall (androgenetische Alopezie) und Akne vulgaris. Andererseits führt die Dysbalance der Geschlechtshormone innerlich zu Zyklusstörungen, Sub- oder Infertilität und geht mit einer Insulinresistenz bis hin zum Diabetes mellitus einher.
Schwere Akne und ein vermehrter Haarwuchs im Gesicht können bei Frauen auf einen Androgen-Überschuss hinweisen. / Foto: Adobe Stock/Nikolay
Die Symptome sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Mehrheit der Betroffenen leidet hierzulande an einem metabolischen Syndrom mit Adipositas, Insulinresistenz und Dyslipoproteinämie. Das Risiko, einen Typ-2-Diabetes zu entwickeln, ist deutlich erhöht. Das PCOS aggraviert sich häufig mit der Insulinresistenz in einem Teufelskreis: Die Insulinresistenz führt zu hartnäckigem Übergewicht. Da die Körperzellen träge auf Insulin reagieren, schüttet die Bauchspeicheldrüse mehr Insulin aus und es kommt zu einer Hyperinsulinämie. Der Überschuss an Insulin im Blut stimuliert wiederum eine weitere Gewichtszunahme und verstärkt den Überschuss männlicher Hormone, da Insulin Nebennieren und die sogenannten Thekazellen der Eierstöcke zur Androgenproduktion anregt.
Aktuelle populationsbasierte Daten (DOI: 10.1210/clinem/dgab392) deuten darauf hin, dass Frauen mit PCOS ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Herzinfarkten im späteren Leben aufweisen. Unter den in dieser Studie beschriebenen Einflussfaktoren finden sich eine Gewichtszunahme und das Auftreten eines Typ-2-Diabetes; das Apothekenpersonal kann hier entsprechend beraten. Eine Untersuchung auf kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Erstdiagnose und regelmäßig im Verlauf ist empfehlenswert. Frauen mit PCOS haben im Vergleich zu Frauen ohne PCOS außerdem ein erhöhtes Risiko für depressive und angstbedingte Symptome. Zur Unterstützung kann pharmazeutisches Personal auf die »PCOS Selbsthilfe Deutschland« hinweisen (www.pcos-selbsthilfe.org).
Der Name des Krankheitsbilds rührt vom sonografischen Nachweis von kleinen Follikeln im Ovar, die irrtümlich als Zysten deklariert wurden. Die Diagnosestellung erfolgt nach der sogenannten Rotterdam-Definition. Demnach liegt ein PCOS vor, wenn zwei von drei Hauptkriterien erfüllt sind und andere Ursachen ausgeschlossen werden können. Die drei Hauptkriterien sind:
Eine deutschsprachige Leitlinie zu Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle beim PCOS existiert derzeit nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) erarbeitet mit anderen Fachgesellschaften aktuell eine SK2-Leitlinie mit geplanter Fertigstellung im Dezember 2023.
Eine Steigerung der körperlichen Aktivität gehört zur Basistherapie bei PCOS. / Foto: Adobe Stock/New Africa
Nach einer Publikation zur aktuellen Evidenz und zu praktischen Empfehlungen aus dem Jahr 2020 (DOI: 10.1055/a-0891-9131) stellt die Optimierung von Lebensgewohnheiten die Basis der Behandlung dar. Bei Übergewicht ist eine Gewichtsreduktion von 5 bis 10 Prozent innerhalb der nächsten sechs Monate anzustreben. Diese kann klinisch signifikante Verbesserungen bewirken. Abhängig von individuellem Energieverbrauch, Gewicht und Grad der körperlichen Aktivität ist eine Ernährungsumstellung mit Kalorienrestriktion um etwa um 500 kcal pro Tag angebracht.
Konkret ist eine Steigerung der körperlichen Aktivität empfehlenswert:
Es gibt keine PCOS-spezifischen Ernährungsempfehlungen. Die PCOS-Selbsthilfe Deutschland (www.pcos-selbsthilfe.org/pcos) hat einige Hinweise in einer Broschüre zusammengetragen. Dazu gehören:
Die Behandlungsstrategie beim PCOS sollte individuell erfolgen und sich an den für die Patientin relevanten Beschwerden orientieren, aber auch mögliche metabolische Komplikationen berücksichtigen. Abhängig davon ob Kinderwunsch vorliegt oder nicht, wird besonderes Augenmerk auf die Normalisierung der ovariellen Funktion oder die Behandlung von Hirsutismus, Alopezie und Akne gelegt.
Zur Zyklusregulierung bei chronischer Anovulation kommen orale Kontrazeptiva (Ethinylestradiol/Progesteron) oder Metformin zum Einsatz. Bei der Wahl zwischen den beiden Optionen spricht eine gewünschte Kontrazeption für ein KOK, ein erhöhtes Risiko für eine tiefe Beinvenenthrombose hingegen für Metformin. Ferner ist der zusätzliche Therapienutzen zu berücksichtigen. Bei Metformin liegt dieser in der Gewichtsreduktion; KOK lindern hingegen Hirsutismus und Alopezie.
Der Einsatz von Metformin erklärt sich wie folgt: In Ergänzung zur Optimierung der Lebensgewohnheiten kann Metformin beim PCOS hormonelle und metabolische Veränderungen günstig beeinflussen. Das Biguanid verbessert die Insulinsensitivität, was mit einer Abnahme des Insulinspiegels einhergeht. Die androgene Wirkung des Insulins an den Thekazellen des Ovars beim PCOS sinkt. Metformin scheint außerdem einen direkten inhibierenden Effekt auf die Androgenproduktion im Ovar zu haben.
Bei akutem Kinderwunsch muss die Frau das Kontrazeptivum zunächst absetzen. Das weitere Vorgehen ist individuell festzulegen. Eine Ovulation kann durch den Aromatasehemmer Letrozol als Erstlinientherapeutikum induziert werden. Eine Alternative stellt Metformin dar. Zusätzlich oder stattdessen kommt der selektive Estrogenrezeptor-Modulator Clomifen zum Einsatz. Verglichen mit Letrozol ist bei den Alternativen jedoch von geringeren Erfolgschancen auszugehen (Tabelle 2).
Zweite Wahl zur Ovulationsinduktion sind Gonadotropine, gegebenenfalls in Kombination mit Metformin. Erst in dritter Linie steht die In-vitro-Fertilisation.
Substanz | (Vermuteter) Wirkmechanismus | Anwendung und Besonderheiten |
---|---|---|
Letrozol | steigert die Sekretion des Follikel-stimulierenden Hormons (FSH) aus der Hypophyse, was die Follikelentwicklung und -reifung in den Eierstöcken stimuliertinhibiert die Umwandlung von Testosteron zu Estradiol | off Label: 2,5 mg Tag über fünf TageAnwendung auf etwa sechs Zyklen beschränktLebendgeburtenrate höher als bei Clomifen, seltener Mehrlingsgeburten und weniger Nebenwirkungen als Clomifen |
Clomifen | steigert die hypothalamische GnRH-Freisetzung, die ihrerseits die Sekretion von LH und FSH erhöht | Zulassung bei chronischer Anovulation50 mg über fünf TageAnwendung auf etwa sechs Zyklen beschränkt |
Metformin | wirkt Insulin-sensibilisierendInsulinresistenz erhöht bei PCOS die adrenale und ovarielle Androgensynthese, was wiederum zu vorzeitiger Follikelatresie und Anovulation führen kann | off Label: zweimal täglich 850 bis 1000 mg |
Zu Therapie von Hirsutismus, Alopezie und Akne finden primär KOK Anwendung. Auch die Antiandrogene Spironolacton, Finasterid und Flutamid können off Label in der Erstlinientherapie verwendet werden. Aufgrund ihrer Teratogenität muss dann eine sichere Kontrazeption gewährleistet sein. Bei Flutamid ist außerdem die potenzielle Hepatotoxizität zu berücksichtigen. Antiandrogene sind vergleichbar wirksam wie hormonelle Kontrazeptiva. Die beiden Wirkstoffklassen können auch kombiniert werden.
Zu guter Letzt stehen Lokaltherapeutika zur Verfügung. Eflornithin ist zugelassen zur Therapie des Hirsutismus im Gesicht. Es hemmt irreversibel die Ornithin-Decarboxylase, die an der Bildung des Haarschafts durch den Haarfollikel beteiligt ist. Somit wird das Haarwachstum verlangsamt.
Bei androgenetischer Alopezie kann Minoxidil das Keratinozyten- und Haarwachstum stimulieren. Der Wirkmechanismus ist nicht genau bekannt.
Privatdozentin Dr. Susanne Reger-Tan ist Leiterin des Diabeteszentrums der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen. Als Spezialistin für PCOS koordiniert sie die geplante Leitlinie PCOS. Im Gespräch mit der PZ beantwortet sie Fragen rund um die Schwangerschaft bei PCOS.
PZ: Wie wahrscheinlich ist es, mit PCOS schwanger zu werden?
Reger-Tan: Unterm Strich ist es für Frauen mit PCOS genauso wahrscheinlich, ein Kind zu bekommen, wie für gesunde Frauen. Sie haben es aber leider schwerer, schwanger zu werden. Dazu müssen sie mehr Zeit einplanen und häufiger medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
PZ: Zu welchen nicht medikamentösen Maßnahmen können Apotheker bei unerfülltem Kinderwunsch raten?
Privatdozentin Dr. Susanne Reger-Tan / Foto: Songyi Han
Reger-Tan: Der erste Schritt ist, den Partner abzuklären! Denn häufig wird vergessen: Nur weil bei der Frau eine möglicherweise die Fertilität einschränkende Erkrankung vorliegt, sollte man nicht den falschen Schluss ziehen, dass beim Partner alles in Ordnung ist und gegebenenfalls wertvolle Zeit verlieren. Bei etwa 50 Prozent der Paare mit unerfülltem Kinderwunsch liegt eine Fertilitätseinschränkung beider Partner vor. Zweitens ist es ratsam, Stressfaktoren im Alltag zu identifizieren und möglichst zu meiden. Zu guter Letzt ist die Optimierung von Lebensgewohnheiten eine sinnvolle Basismaßnahme.
PZ: Gibt es besondere Risiken für schwangere PCOS-Patientinnen?
Reger-Tan: Ja, das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes, Hypertonie und Präeklampsie ist erhöht. Ein Diabetes-Screening ist hier frühzeitiger als gewöhnlich, nämlich schon zu Beginn der Schwangerschaft zu empfehlen. Darauf sollten Apotheker hinweisen. Ansonsten gelten tendenziell die gleichen Vorsorge-Empfehlungen wie für alle Schwangeren.
PZ: Welchen Einfluss nimmt die Schwangerschaft auf den Krankheitsverlauf?
Reger-Tan: Akne und Haarausfall nehmen während der Schwangerschaft tendenziell ab, der Körperhaarwuchs stagniert. Das liegt am steigenden Estrogenspiegel, der die Effekte der männlichen Hormone konterkariert. Nach der Entbindung kommen die Beschwerden leider zurück. Erfahrungsgemäß ist in der Zeit nach der Entbindung aber ein gutes Zeitfenster, um erneut schwanger zu werden. Langfristig hat eine Schwangerschaft aber keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf.
Carolin Lang hat in Marburg Pharmazie studiert und ist seit dem Jahr 2019 approbierte Apothekerin. Nach ihrem anderthalbjährigen Volontariat bei der Pharmazeutischen Zeitung ist sie seit Juli als Redakteurin Teil des PZ-Teams.