Der kleine Unterschied |
Das α4β7-Integrin, die Zielstruktur von Vedolizumab, kommt überwiegend in der Darmschleimhaut vor. Es ist somit ein darmselektiver Integrin-Antagonist. / Foto: Fotolia/yodiyim
Über viele Jahre wurden chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) eskalierend, aber dennoch eher stereotyp mit einer kombinierten Gabe von topischer und oraler 5-Aminosalicylsäure, dann mit oralen Glucocorticoiden und Immunsuppressiva (Azathioprin, 6-Mercaptopurin) und bei blutigen Stühlen auch mit intravenösen Gaben von Glucocorticoiden behandelt. Einen großen Fortschritt brachten dann ab dem Jahr 2000 die TNF-α-Inhibitoren wie Infliximab, Adalimumab und Golimumab. Allerdings wirken diese bei CED-
Patienten nicht immer zuverlässig.
Vor diesem Hintergrund kam eine Innovation im Jahr 2014 äußerst willkommen. Vedolizumab hieß diese Innovation, die viele zunächst als Natalizumab-Analogon wahrnahmen. Das MS-Therapeutikum Natalizumab ist ein Integrin-Antagonist, der verhindert, dass T-Helferzellen aus dem Blut ins Gehirn eindringen, um dort gefährliche Entzündungen zu befeuern. Im Prinzip wirkt Vedolizumab ganz ähnlich, im Detail jedoch nicht. Und gäbe es diesen Unterschied nicht, wäre Vedolizumab auch nicht mit dem PZ-Innovationspreis ausgezeichnet worden.
Während Natalizumab an die α4-Untereinheit der α4β1- und α4β7-Integrine bindet, wirkt Vedolizumab deutlich selektiver. Vedolizumab ist spezifisch gegen das α4β7-Integrin gerichtet. Diese Integrine befinden sich bevorzugt in der Darmschleimhaut. Durch die Bindung von Vedolizumab an α4β7 kann das Integrin nicht mehr mit dem mukosalen Adressin Zelladhäsionsmolekül-1 (MAdCAM-1) interagieren, das auf den Endothelzellen der Darmgefäße exprimiert wird und in entzündeten Darmbereichen in erhöhten Konzentrationen vorkommt. Über diese Bindung kommt es zur Einwanderung von T-Lymphozyten in das Darmgewebe und damit zur Gewebsentzündung. Vedolizumab ist also ein darmselektiver Integrin-Antagonist, der sich in idealer Weise zur Behandlung von CED-Erkrankungen eignet, da er kausal in den gastrointestinalen Entzündungsprozess eingreift, ohne eine systemische Immunsuppression zu verursachen.
Bei der intravenösen Gabe der Standarddosis von 300 mg Vedolizumab (Woche 0 und 2, dann alle vier oder acht Wochen) sind mehr als 95 Prozent der α4β7-Integrinrezeptoren gesättigt. Die mittlere Eliminationshalbwertzeit beträgt 15 bis 22 Tage.
Vedolizumab wurde in zwei relativ großen Studien bei CED-Patienten nach erfolgloser Behandlung mit Glucocorticoiden, Immunsuppressiva oder TNF-Antagonisten getestet. In der ersten Studie an Patienten mit Colitis ulcerosa erhielten die Studienteilnehmer zunächst eine Induktionstherapie mit Vedolizumab (300 mg intravenös in Woche 0 und Woche 2) oder Placebo. Nach sechs Wochen hatten 47,1 Prozent Patienten auf Vedolizumab und 25,5 Prozent auf Placebo angesprochen. In einer zweiten, unverblindeten Kohorte zeigten 44,3 Prozent der mit Vedolizumab behandelten Patienten ein klinisches Ansprechen. Unter den Respondern beider Kohorten lag der Anteil an Patienten mit Remission nach 52 Wochen einer wöchentlicher Applikation von Vedolizumab bei 45 Prozent.
Das Ansprechen der Behandlung bei Morbus Crohn war deutlich schlechter. Das scheint darin begründet zu sein, dass die Colitis ulcerosa eine lokalisierte Erkrankung ist, die auf die oberflächlichen Schichten des Kolons beschränkt ist, wo der Integrin-Antagonismus besonders gut greift. Bei Morbus Crohn erstreckt sich die Entzündung auf den gesamten Gastrointestinaltrakt, sodass der lokalisierte Effekt von Vedolizumab in diesem Fall für durchschlagende Effekte nicht ausreicht.
Seit fast einem Vierteljahrhundert vergibt die Pharmazeutische Zeitung den PZ-Innovationspreis und würdigt damit das jeweils innovativste Arzneimittel eines Jahres. Beim diesjährigen Pharmacon-Kongress in Meran wird der Preis zum 25. Mal verliehen. Das Jubiläum nimmt die PZ zum Anlass, alle bisherigen Preisträger Revue passieren zu lassen und sie kritisch zu beleuchten. Ließen sie sich in den Therapiealltag integrieren? Haben sie neue Therapierichtungen induziert? Als Autoren fungieren die beiden PZ-Chefredakteure Professor Dr. Theo Dingermann und Sven Siebenand sowie Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Mitglied der externen PZ-Chefredaktion.