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Psychologie und Pharmakologie

Depressive Herzpatienten richtig behandeln

Eine somatische chronische Erkrankung stellt oft auch eine große psychische Belastung dar. So leiden etwa Herzpatienten vermehrt auch unter Depressionen. Bestimmte Medikamente sind dann weniger gut geeignet.
Annette Rößler
10.03.2023  11:00 Uhr

Chronisch Kranke blicken zumeist weniger optimistisch in die Zukunft als körperlich gesunde Menschen. Nicht selten münden die negativen Gedanken schließlich in einer Depression. Das trifft auch auf Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen zu: »Etwa ein Drittel der Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen leidet auch unter Depressionen«, sagte Professor Dr. Kai Kahl von der Medizinischen Hochschule Hannover im vergangenen November beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin.

Betroffene Patienten seien typischerweise in Grübeleien gefangen, beschäftigten sich ständig mit ihrer körperlichen Erkrankung und malten sich Katastrophenszenarien aus, berichtete Kahl. In dieser Situation habe sich die sogenannte metakognitive Therapie (MCT) bewährt, die von Professor Dr. Adrian Wells an der Universität Manchester entwickelt wurde. Sie will dem Patienten die Einsicht vermitteln, dass das ständige Problemwälzen nicht zur Besserung seiner Situation beiträgt, sondern vielmehr ein Teil des Problems ist. Studien hätten gezeigt, dass die MCT bei Herzpatienten in der Reha Ängstlichkeit und Depressivität verringern könne, so Kahl (»Frontiers in Psychiatry« 2022, DOI: 10.3389/fpsyt.2022.886407).

Menschen, die sich von negativen Gedanken nicht herunterziehen lassen, werden als resilient bezeichnet. »Man geht heute davon aus, dass Resilienz eine erlernbare Eigenschaft ist«, sagte Kahl. Um die Resilienz zu stärken, sei Bindung von grundlegender Bedeutung. Gemeint sei hier nicht die frühkindliche Bindung, sondern soziale Interaktion »im Hier und Jetzt«, also zum Beispiel auch das Engagement in einem Verein.

Besonderheiten der Pharmakotherapie

Besteht ein Behandlungsbedarf mit Antidepressiva, sind bei Patienten mit bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankung einige Besonderheiten zu beachten. »Insbesondere Patienten mit koronarer Herzerkrankung sollten nicht mit trizyklischen Antidepressiva behandelt werden«, informierte Kahl. Der Grund sei die anticholinerge Wirkung der Trizyklika, die zu einer Einschränkung der Herzratenvariabilität führe.

Beim Einsatz eines selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) ist bei Herzpatienten auf eine potenzielle QT-Zeit-Verlängerung zu achten. 2011 wurden zwei Rote-Hand-Briefe verschickt, die bei Citalopram und Escitalopram auf dieses Risiko hinweisen. Allerdings ist in diesem Zusammenhang SSRI nicht gleich SSRI. So habe bereits 2002 eine Studie im Fachjournal »JAMA« ergeben, dass Sertralin diese Nebenwirkung nicht hat, berichtete Kahl (DOI: 10.1001/jama.288.6.701).

Nach einem Herzinfarkt seien SSRI laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 sicher und hätten das Risiko für einen Zweitinfarkt sogar gesenkt (»Clinical Research in Cardiology«, DOI: 10.1007/s00392-020-01697-8). Zu beachten sei bei Patienten unter SSRI allerdings stets das Blutungsrisiko, insbesondere wenn gleichzeitig nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) gegeben würden (»Scientific Reports« 2022, DOI: 10.1038/s41598-022-18654-2).

Eine Zeit lang hätten Betablocker unter Verdacht gestanden, das Depressionsrisiko zu erhöhen. »Das ist aber mittlerweile widerlegt«, sagte Kahl. In einer Metaanalyse sei 2021 kein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Betablockern und Depressionen sowie anderen psychiatrischen Nebenwirkungen festgestellt worden (»Hypertension«, DOI: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.120.16590). Generell sei ab dem Einsatz von zwei Arzneistoffen auf ein mögliches Interaktionspotenzial zu achten.

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