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Palliativversorgung

Den Tagen mehr Leben geben!

Jeder Mensch mit einer schweren chronischen Krankheit, mit begrenzter Lebenserwartung oder starker Gebrechlichkeit hat einen Anspruch auf Palliativversorgung. Diese zielt darauf ab, die Lebensqualität von Patienten und ihren Zugehörigen durch frühzeitige Interventionen aktiv zu verbessern.
AutorKontaktKirsten Dahse
AutorKontaktUlla Mariam Hoffmann
Datum 02.10.2022  08:00 Uhr

Schmerzen

Schmerzen sind das »Erfolgssymptom« von Palliative Care und Schmerzmedizin: Mittlere bis starke Schmerzen (auf der Numerischen Rating-Skala, NRS, mehr als vier von zehn Punkten) treten bei 70 bis 80 Prozent aller Patienten mit fortgeschrittenem Stadium einer Krebserkrankung auf und können bei fast allen Patienten gelindert werden (Ventafridda et al., 1987). Dennoch erhält nur jeder zweite Tumorschmerzpatient eine ausreichende Therapie (Deandrea et al., 2008).

Vor diesem Hintergrund sollte bei übermäßigem Kauf von nicht-rezeptpflichtigen Schmerzmitteln beim Patienten oder dessen Zugehörigen nachgefragt werden. Eindrucksvoll war ein Patient, dem die Ehefrau täglich die gesamten Beine wegen unerträglicher Schmerzen mit Diclofenac-Gel eincremte. Die Nachfrage der Apothekerin und der Verweis ans SAPV-Team führten zur Diagnostik einer Tumor-Rückenmarks-Infiltration, die umgehend behandelt wurde.

Am Anfang steht die Anamnese. Dazu gehören das Erfragen der Lokalisation, mit/ohne Schmerzausstrahlung (gürtelförmig im Thorax/Abdomen, radikulär in den Extremitäten) und die Dynamik (Beginn der Schmerzen, mögliche Auslöser, tageszeitliche Rhythmik, Linderung/Verschlimmerung durch bestimmte Maßnahmen). Der Schmerzcharakter (nozizeptiv, neuropathisch oder mixed pain, zum Beispiel bei Knochenmetastasen) kann durch Fragebögen beurteilt werden (McGill-Pain Questionnaire oder bei Verdacht auf neuropathischen Schmerz durch painDETECT).

Die körperliche Untersuchung soll die Anamnese objektivieren und wird bei neu aufgetretener Schmerzlokalisation oder neuem Schmerzcharakter durch eine Bildgebung komplettiert. Dabei können Schmerzen sowohl Folge der Tumorerkrankung oder deren Therapie sein, aber auch unabhängig davon auftreten.

Behandelbare Ursachen sollten unter Abwägung von Belastung, Nutzen und Patientenwillen angegangen werden. Dabei können eine antineoplastische Therapie, Strahlentherapie bei Knochenmetastasen, Punktion von Ergüssen, Dexamethason bei Tumor-bedingter Nervenkompression oder Leberkapselschmerz sowie Antibiotika bei infizierten Wunden hilfreich sein. Oft reicht dies jedoch nicht aus, um die Schmerzen adäquat zu kontrollieren.

Die überarbeitete WHO-Leitlinie der Schmerztherapie (2/2019) unterscheidet nicht mehr zwischen Stufe-II- und –III-Opioiden, sondern nur mehr zwischen Nicht-Opioiden (nur bei schwachen Schmerzen) und Opioiden (bei moderaten und starken Schmerzen) (Tabelle 2). Auch bei moderaten Schmerzen kann ein starkes Opioid in einer niedrigen Dosis (Beispiel: Hydromorphon zweimal täglich 2 mg retard) angewendet werden. Die Substanzauswahl erfolgt nach Begleiterkrankungen und möglichen Interaktionen. Kombinationen aus Opioiden und Nicht-Opioiden (Beispiel: Codein/Paracetamol) sollten wegen möglicher Überdosierung der Nicht-Opioide bei der Dosissteigerung vermieden werden.

Substanzen Applikationsweg maximale Tagesdosis (bei intakter Leber- und Nierenfunktion) Anmerkungen
Nicht-Opioide (bei milden Schmerzen)
Paracetamol peroral (Tabl., Saft), rektal, intravenös 4 g/d nicht bei Leberinsuffizienz, maximale Dosis nur kurzfristig
Metamizol peroral (Tabl., Tropfen), rektal, subkutan (off Label), intravenös 4 g/d günstig bei abdominalen Koliken, Reduktion bei Leber- und Niereninsuffizienz,
cave: Leuko- und Thrombopenie
Ibuprofen peroral (Tabl., Saft), rektal 2,4 g/d cave: Nieren-, Leberinsuffizienz, KHK, gastrointestinale Blutung,
intramuskuläre Gabe vorhanden, aber nicht empfohlen
Diclofenac peroral (ret., unret.), rektal, (intramuskulär) 150 mg/d
schwache Opioide (bei moderaten oder starken Schmerzen)
Tramadol peroral, intravenös 600 mg/d zusätzlich serotonerge Wirkung, ggf. sinnvoll bei neuropathischem Schmerz,
cave: serotonerges Syndrom, vor allem in Kombination mit Antidepressiva
Tillidin/Naloxon peroral ret. und unret. 600/48 mg/d bei Leberinsuffizienz Gefahr der Kumulation von Naloxon und damit Wirkungslosigkeit,
unretardierte Tropfen sind BTM-pflichtig, retardierte Tabletten nicht
starke Opioide (bei moderaten oder starken Schmerzen)
Morphin peroral (Tabl., Tropfen), intravenös, subkutan (off Label), rektal starke Opioide haben in der Regel keine Maximaldosis,
bei Wirkungslosigkeit trotz Dosissteigerung: Opioidrotation erwägen
parenterales Morphin ist zwei- bis dreimal stärker als orales, daher in der Regel Umrechnung 1:3 (parenteral zu oral),
bei GFR <30 ml/min Hydromorphon, Fentanyl oder Buprenorphin als Alternative erwägen
Hydromorphon peroral, intravenös, subkutan (off Label) starke Opioide haben in der Regel keine Maximaldosis,
bei Wirkungslosigkeit trotz Dosissteigerung: Opioidrotation erwägen
bei moderaten Schmerzen Startdosis: 2×2 mg
Fentanyl transdermal
sublingual, buccal, intravenös
starke Opioide haben in der Regel keine Maximaldosis,
bei Wirkungslosigkeit trotz Dosissteigerung: Opioidrotation erwägen
sublinguales/buccales Fentanyl wirkt nur etwa 60 Minuten und ist nicht zur Dosistitration, sondern nur bei Durchbruchschmerzen indiziert,
bei Kachexie fehlt subkutanes Fettgewebe, die transdermale Resorption des lipophilen Wirkstoffs ist reduziert
Buprenorphin transdermal, sublingual starke Opioide haben in der Regel keine Maximaldosis,
bei Wirkungslosigkeit trotz Dosissteigerung: Opioidrotation erwägen
sublinguale Formulierung wirkt 6 bis 8 Stunden (entspricht fast einer retardierten oralen Arzneiform)
bei Kachexie: reduzierte transdermale Resorption
Oxycodon peroral, intravenös maximal 400 mg/d,
Oxycodon/Naloxon maximal 160/80 mg
Naloxon-Kombination (siehe Tilidin), daher Begrenzung der Höchstdosis
starkes Opioid mit Wirkung am NMDA-Rezeptor
Levomethadon peroral, intravenös, subkutan (off Label) nur von mit dieser Substanz erfahrenen Ärzten, bevorzugt stationär aufgrund individueller, unvorhersehbarer Halbwertszeiten nur von mit dieser Substanz erfahrenen Ärzten, bevorzugt stationär aufgrund individueller, unvorhersehbarer Halbwertszeiten
Tabelle 2: Übersicht zum Einsatz von Nicht-Opioiden und Opioiden in der Schmerzbehandlung

Bei der Dosistitration sollte die Anpassung der fest angesetzten Basismedikation etwa alle zwei Tage mit etwa 50 bis 75 Prozent (abhängig von der Schmerzintensität) der in den letzten 48 Stunden verabreichten Bedarfsmedikation erfolgen. Neben der fest angesetzten Basismedikation sollte eine Bedarfsmedikation (unretardiert) in Höhe von einem Sechstel bis einem Zehntel der Opioid-Tagesdosis zur Verfügung stehen, die bei Bedarf, in der Regel alle vier Stunden, verabreicht werden kann (Kasten).

Diese Regel gilt nicht für transmukosales Fentanyl (Nasenspray, Sublingual- oder Buccalapplikation). Dieses wird immer in der niedrigsten verfügbaren Dosis begonnen und bei Wirkungslosigkeit entsprechend der Herstellerangaben gesteigert. Transmukosales Fentanyl sollte nur bei Durchbruchschmerzen oder prophylaktisch vor stark schmerzhaften Ereignissen wie Verbandswechsel oder Toilettengang eingesetzt werden. Transdermale Anwendungen (Fentanyl und Buprenophin) kommen vor allem bei Schluckstörungen, aber auch zur Verbesserung der Versorgungssicherheit (Applikation durch den Pflegedienst) beziehungsweise nach Patientenpräferenz zum Einsatz. Begrenzt wird ihr Einsatz durch Kachexie (reduzierte Resorption), aber auch bei Wärmeanwendung/Sauna (erhöhte Resorption) und durch Schwitzen (Ablösen).

Kommen weder eine orale noch transdermale Opioid-Applikationsform infrage, ist aus palliativmedizinischer Sicht die subkutane Gabe (off Label) das Mittel der Wahl (S3-Leitlinie, Bausewein 2019), da sie am wenigsten Komplikationen (Blutung, Abszesse) hat. Auch Mischinfusionen, zum Beispiel mittels Medikamentenpumpe, können subkutan appliziert werden. Wenn eine schnelle Schmerzkontrolle (sehr starke Schmerzen) nötig ist, soll die Opioidtitration bei Tumorpatienten intravenös erfolgen (Bausewein 2019).

Alternativen zur oralen Gabe sind für Palliativpatienten wichtig – nicht nur für die Schmerztherapie. So sind Rezepturen wie Midazolam-Nasenspray gefragt, um Atemnot und epileptische Anfälle schnell behandeln zu können.

Ein Wechsel des Arzneistoffs (Opioidrotation) sollte immer bei unzureichender Symptomkontrolle trotz Dosissteigerung oder bei Nebenwirkungen erfolgen. Wichtige unerwünschte Wirkungen (UAW) sind Übelkeit/Erbrechen, Obstipation, Unruhe, Verwirrtheit, Delir, Myoklonie, Sedierung und Atemdepression.

Eine Opioidrotation erfolgt entsprechend eines spezifischen Umrechnungsfaktors, der die unterschiedlichen Wirkstärken der verschiedenen Opioide berücksichtigt und damit eine Umrechnung in äquipotente Dosierungen ermöglicht. Die Faktoren können aus Tabellen entnommen werden oder es können mithilfe entsprechender Apps (Beispiel: PalliativeCareTool) äquipotente Dosierungen berechnet werden. Diese äquipotente Dosierung sollte um 30 bis 50 Prozent reduziert werden, um der genetischen Variabilität und Bioverfügbarkeit Rechnung zu tragen.

Bei Schmerzzunahme und Ganzkörperschmerz unter höheren Opioiddosen sollte eine Opioid-induzierte Hyperalgesie erwogen und durch Opioidrotation und großzügige Dosisreduktion behandelt werden. Entzugssymptome sind möglich und zu behandeln. Bei Hyperalgesie oder therapierefraktären Schmerzen setzen Spezialisten häufig L-Polamidon ein.

In der Tumorschmerztherapie haben darüber hinaus Co-Analgetika im weitesten Sinn einen großen Stellenwert. Bei neuropathischen Schmerzen werden Antidepressiva wie Trizyklika (Amitritylin) und selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (Mirtazapin, Venlafaxin, Duloxetin) sowie Antiepileptika wie Calciumkanalblocker (Pregabalin und Gabapentin) oder Natriumkanalblocker (Carbamazepin) eingesetzt. Bisphosphonate (Pamidron-, Ibandron-, Zoledronsäure) und Denosumab werden bei Knochenmetastasen zur Knochenstabilisierung und Schmerzreduktion und Spasmolytika (Butylscopolamin) bei Darmkoliken eingesetzt. Dexamethason hat eine besondere Bedeutung, sollte jedoch so niedrig dosiert und so kurz und spät wie möglich eingesetzt werden (Tabelle 3).

Der regelhafte Einsatz einer begleitenden laxierenden und antiemetischen Therapie (als Bedarfs- oder als fest angesetzte Medikation oder als Kombination aus beidem) kann eine vermeintliche Opioid-Unverträglichkeit durch Übelkeit, Erbrechen (Prävalenz 40 Prozent; Campora et al., 1991) und Obstipation verhindern. Während die Antiemetika in der Regel nach einer bis zwei Wochen abgesetzt werden können, sind Laxanzien dauerhafte Begleiter jeder Opioidgabe.

Parameter Anmerkungen
Indikation und (orientierende) Dosierung bei Knochenmetastasen: 4 bis 8 mg
bei viszeraler, zum Beispiel gastrointestinaler Obstruktion, Leberkapselschmerz, Pleuritis/Pericarditis carzinomatosa: 8 bis 12 mg
bei Atemnot bei pulmonaler Lymphangiosis carzinomatosa: initial 8 mg morgens
bei neuropathischem Schmerz durch Tumorkompression: maximal 24 mg morgens
bei Hirndruck, Glioblastom: maximal 40 mg morgens
bei intraspinalem Tumorwachstum: maximal 100 mg kurzfristig
Anwendung mit der Maximaldosierung beginnen
einmal täglich morgens reicht aufgrund der 24-h-Wirksamkeit, idealerweise um 6 Uhr (circadiane Rhythmik)
bei Wirkungslosigkeit nach fünf Tagen: ersatzlos absetzen
bei Wirksamkeit nach fünf Tagen: schrittweise Reduktion (um 4 oder 2 mg) alle drei Tage bis zur minimal wirksamen Dosis
Nebenwirkungen Blutzucker-Entgleisung, vor allem bei bestehendem Diabetes
Appetitsteigerung, Aktivitätssteigerung
Delir, Infekte, Mundsoor
Steroid-Myopathie: kann Patienten erheblich einschränken und auch die Atemmuskulatur betreffen, abhängig von der kumulativen Dosis und vor allem bei fluorierten Steroiden (wie Dexamethason)
Anstieg des Augeninnendrucks
Tabelle 3: Dexamethason, der »Fast-Alles-Könner« der Palliativmedizin, als Ultima Ratio
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