Das Für und Wider zum Mundschutz |
Carolin Lang |
01.04.2020 10:26 Uhr |
Trotz umstrittenen Nutzens tragen hierzulande inzwischen zahlreiche Menschen selbst gebastelte Schutzmasken. / Foto: Adobe Stock/Lubo
In Österreich wurde kürzlich die Mundschutzpflicht beim Einkaufen angekündigt. In Deutschland ist solch eine Regelung bisher noch nicht angedacht, wird aber reichlich diskutiert. Trotz umstrittenen Nutzens tragen auch hierzulande viele Menschen einen Mund-Nasen-Schutz (MNS). Die Nachfrage in Apotheken ist groß, doch wegen des immer noch herrschenden Mangels kann ihr in der Regel nicht nachgekommen werden. Das pharmazeutische Personal sollte die Kunden darüber aufklären, wie sinnvoll die Masken sind, welche Nachteile sie eventuell mit sich bringen und wie sich die Kunden anderweitig schützen können.
Nach wie vor gibt es keine Evidenz dafür, dass das Tragen von MNS das Infektionsrisiko für Gesunde signifikant reduzieren kann. Vielmehr birgt das Tragen die Gefahr, ein falsches Sicherheitsgefühl zu vermitteln und dadurch andere Schutzmaßnahmen zu vernachlässigen.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) vertritt den Standpunkt (Stand 23. März 2020), dass in der normalen Bevölkerung das Tragen von MNS hauptsächlich für Infizierte geeignet ist, um das Risiko einer Ansteckung anderer Personen durch Tröpfchen zu minimieren. Dabei ist es wichtig, dass der MNS korrekt sitzt und bei Durchfeuchtung gewechselt wird. Das Tragen von MNS sollte aber in keinem Fall dazu führen, Abstandsregeln nicht mehr einzuhalten oder Händehygiene weniger akribisch zu betreiben. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät der Allgemeinbevölkerung nicht grundsätzlich zum Tragen einer Maske.
Das RKI ergänzte am 01. April seine Empfehlung zu der Frage: Wann ist das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Öffentlichkeit zum Schutz vor SARS-CoV-2 sinnvoll?
Der Virologe Professor Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité sagte Mitte März in seinem NDR-Podcast, man gehe davon aus, dass das Einatmen eines »mittelgroben Aerosols«, das nach dem Husten eines Gegenübers in der Luft stehe, durch das Tragen von MNS nicht verhindert werden könne. Er betonte, dass ein potenzieller Nutzen sich nur auf den Nahbereich beschränkt – also den nahen Kontakt zu Infizierten. Deshalb sind MNS insbesondere für medizinisches Personal so wichtig. Die Überlegung sei, dass das Aerosol immer feiner werde, je weiter man sich aus dem Nahbereich bewege. Ein feines Aerosol werde auch beim Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vor allem an den Seiten eingeatmet. Die Maske müsse möglichst nah an der Quelle sein, nicht am Empfänger.
Als infizierte Person ist es dagegen sinnvoll, einen MNS zu tragen, um die Umgebung zu schützen. Das erklärt Drosten dadurch, dass beispielsweise beim Niesen kleinste Tröpfchen in die Umgebung verteilt werden. Ist nun eine Barriere, in welcher Form auch immer, vor Mund und Nase, werden größere Tröpfchen dadurch abgefangen. Außerdem habe das Tragen positive psychologische Effekte. Da man nicht immer wisse, ob man infiziert sein könnte, symbolisiere man durch das Tragen von MNS in der Öffentlichkeit Höflichkeit und Engagement. Außerdem erinnere das Tragen andere Mitmenschen an den Ernst der Lage.
»Was eben nicht so einleuchtend ist, dass ich mich in der Öffentlichkeit mit einer Maske nicht selber schützen kann. Das ist einfach vielleicht ein bisschen schwer zu vermitteln. Aber es gibt einfach in der Literatur entweder keine oder – je nachdem, wie man es interpretieren will – fast keine Evidenz dafür, dass das helfen könnte«, sagte er.
Würde die gesamte Bevölkerung ausnahmslos MNS tragen, könnte das laut Drosten eine Infektionsausbreitung im Nahbereich möglicherweise etwas eindämmen. Allerdings bezweifelt er stark, dass so ein Verhaltenswechsel hierzulande möglich wäre. Deshalb müsse man genau überlegen, ob es sinnvoll sei, für diesen potenziell geringen Nutzen großen Aufwand zu betreiben. Durch die herrschende Knappheit an MNS wäre es ohnehin nicht möglich, die gesamte Bevölkerung ausreichend mit solchen Masken zu versorgen.
Auch wenn es keine Evidenz für einen persönlichen Schutz durch MNS gibt, werden die Stimmen lauter, die sich mit dem Argument »Ein schwacher Schutz ist besser als gar kein Schutz« dafür aussprechen. So sagte beispielweise der Infektiologe Professor Dr. Johannes Bogner vom Klinikum der Universität München gegenüber dem WDR, es sei logisch, dass ein Schutz vor Mund und Nase gegen das Einatmen eines Virus helfe. Selbst ein einfacher Papier- oder Textilschutz sei besser als nichts.
Ein weiterer Aspekt ist, dass das Tragen eines MNS verhindern kann, dass man sich unbewusst ins Gesicht fasst. Doch auch hier gibt es wieder ein Gegenargument: Es könne auch dazu führen, dass man sich in falscher Sicherheit fühlt oder sich gerade wegen der Maske, beispielsweise zum Zurechtrücken, vermehrt ins Gesicht greift.
Mehr und mehr Menschen werden aufgrund des Mangels an industriell hergestellten MNS kreativ und nähen sich Masken selber. Eine ganze Reihe von Anleitungen sind im Internet beispielsweise auf YouTube zu finden. Auch zahlreiche Firmen beginnen mit der Produktion von Stoffmasken, etwa der Bekleidungshersteller Trigema oder der Matratzenhersteller Breckle. Experten warnen allerdings wegen des geringen Schutzes vor dem Gebrauch, insbesondere im Gesundheitswesen.
Dass sie damit Recht haben, zeigt etwa eine Studie von Forschern um Raina MacIntyre aus Sydney, die im »British Medical Journal« veröffentlicht wurde. Das Team verglich den Nutzen von Masken aus Stoff mit dem medizinischer Masken im Gesundheitswesen (DOI: 10.1136/bmjopen-2014-006577). An der vierwöchigen Studie nahmen 1607 Krankenhausmitarbeiter aus 14 verschiedenen Krankenhäusern in Hanoi teil. Ein Teil der Probanden trug während der Arbeit medizinische MNS, und zwar zwei Stück pro Acht-Stunden-Schicht. Eine andere Gruppe der Teilnehmer erhielt insgesamt fünf Stoffmasken, die sie während der Studiendauer waschen und rotieren sollte. Außerdem gab es eine Kontrollgruppe, die der üblichen Praxis in der Klinik folgte, was das Tragen von Masken einschloss. Die primären Endpunkte der Studie waren das Auftreten klinischer Atemwegserkrankungen, grippeähnlicher Erkrankungen und im Labor bestätigter Virusinfektionen der Atemwege.
Die Raten aller Infektionsergebnisse waren bei den Teilnehmern, die Stoffmasken trugen, am höchsten. Verglichen mit denjenigen, die medizinische Masken trugen, hatten sie eine statistisch signifikant höhere Rate grippeähnlicher Erkrankungen. Eine Analyse nach Maskengebrauch zeigte, dass grippeähnliche Erkrankungen und laborbestätigte Virusinfektionen in der Stoffmasken-Gruppe im Vergleich zur Gruppe mit medizinischen Masken signifikant höher waren. Die Durchdringung der Stoffmasken mit Partikeln betrug fast 97 Prozent, die der medizinischen Masken 44 Prozent.
Angesichts dieser Ergebnisse warnen die Autoren vor der Verwendung von Stoffmasken. Die Rückhaltung von Feuchtigkeit, die Wiederverwendung von Stoffmasken und eine schlechte Filterung könnten zu einem erhöhten Infektionsrisiko führen. Es sei allerdings weitere Forschung erforderlich, um die Verwendung von Stoffmasken genauer zu untersuchen. Als Vorsichtsmaßnahme sollten Stoffmasken jedoch nicht für Krankenhaus-Mitarbeiter empfohlen werden.
Und für die Allgemeinbevölkerung? Hierzu äußerte sich RKI-Präsident Professor Dr. Lothar Wieler am Dienstag prinzipiell positiv. »Es hängt vom Material ab«, sagte er. Auch ein selbstgebauter Schutz halte Tröpfchen zurück, wenn man huste und niese. »Deswegen ist er für den Schutz von anderen von Relevanz.«
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) definiert selbstgemachte Masken als »Community-Masken« oder »DIY-Masken«, die beispielsweise in Eigenherstellung aus handelsüblichen Stoffen genäht und im Alltag getragen werden. Es weist darauf hin, dass Träger solcher Masken sich nicht darauf verlassen können, dass diese sie oder andere vor einer Übertragung von SARS-CoV-2 schützen, da für diese Masken keine entsprechende Schutzwirkung nachgewiesen wurde. Das Tragen könne lediglich die Geschwindigkeit des Atemstroms und Tröpfchen-Auswurfs reduzieren. Fest gewebte Stoffe seien in diesem Zusammenhang besser geeignet als leicht gewebte Stoffe. Außerdem könnten selbstgemachte Masken dazu beitragen, das Bewusstsein für »social Distancing« sowie gesundheitsbezogenen achtsamen Umgang mit sich und anderen zu stärken.
Anbieter sollten ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich weder um ein Medizinprodukt noch um persönliche Schutzausrüstung handelt. Die Beschreibung oder Bezeichnung der Maske darf laut BfArM nicht auf eine nachgewiesene Schutzfunktion hindeuten.
Den besten Schutz vor einer Virusübertragung bietet nach wie vor das konsequente Distanzieren von anderen, potenziell virustragenden Personen. Dennoch kann die physische Barriere, die das richtige Tragen einer Community-Maske darstellt, eine gewisse Schutzfunktion vor größeren Tröpfchen und Mund-/Nasen-Schleimhautkontakt mit kontaminierten Händen bieten. Dabei sollte der Träger einige Regeln berücksichtigen:
Für medizinisches Personal eignet sich der MNS zum Fremdschutz und FFP2- sowie FFP3-Masken auch zum Eigenschutz, denn das Personal arbeitet täglich nah am Patienten. Die allgemeine Bevölkerung kann für den privaten Gebrauch selbstgemachte Masken verwenden. Auch wenn keine Schutzwirkung für solche Masken nachgewiesen ist, kann zumindest die physische Barriere einen gewissen Schutz vor größeren Tröpfchen und Mund-/Nasen-Schleimhautkontakt mit kontaminierten Händen bieten. Außerdem können sie das Bewusstsein für die notwendige soziale Distanzierung stärken.