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Auch außerhalb Indiens

B.1.617 breitet sich rasant aus

Derzeit ist die indische Variante B.1.617 in Deutschland selten zu finden, doch ihr Anteil wächst. Sehr viel stärker ist der Anstieg der Infektionen in Großbritannien. Experten sehen die Zunahme mit Sorgen.
Christina Hohmann-Jeddi
14.05.2021  16:46 Uhr

Die SARS-CoV-2-Variante B.1.617 wurde zuerst in Indien im Bundesstaat Maharashtra entdeckt, wo sie sich stark verbreitete. »Es muss im Augenblick davon ausgegangen werden, dass diese Variante wesentlich zum Infektionsgeschehen und der dadurch ausgelösten Katastrophe in Indien beiträgt«, sagte Professor Dr. Joachim Schultze, Koordinator der Deutschen Covid-19 OMICS Initiative, gegenüber dem Science Media Center Germany. Inzwischen wurde B.1.617 in 40 Ländern auf der Welt nachgewiesen. »Eine weitere weltweite Ausbreitung muss angenommen werden«, so Schultze.

Vor Kurzem stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) B.1.617 von einer »Variant of Interest« zu einer »Variant of Concern« hoch. Dabei handelt es sich bei B.1.617 nicht bloß um eine Variante, sondern es existieren drei Untergruppen: B.1.617.1, B.1.617.2 und B.1.617.3. Diese haben Mutationen an den Positionen 452 und 681 des Spike-Proteins gemeinsam, ansonsten unterscheiden sie sich aber genetisch deutlich.

Im Vergleich zu den zwei anderen Unterkladen verbreitet sich B.1.617.2 auffällig schnell, aktuell zum Beispiel auch in Großbritannien. Wie Sequenzierungsdaten des britischen Sanger-Instituts zeigen, hat sich ihr Vorkommen dort in den vergangenen Wochen bei sinkender Gesamtinzidenz wöchentlich etwa verdoppelt. Ende April wurden etwa 220 Infektionen in einer Woche nachgewiesen. Bei dem beobachteten Anstieg könnte B.1.617 schon Ende Mai oder Anfang Juni in London die dominierende Variante sein, sagte die Epidemiologin Dr. Deepti Gurdasaniim von der Queen Mary University in London am 6. Mai gegenüber der Zeitung »The Guardian«.

Auf sehr niedrigem Niveau beobachtet auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in Deutschland einen wachsenden Anteil der in Indien entdeckten Corona-Variante. Die Mutante B.1.617 sei bisher nur in wenigen Proben nachgewiesen, »aber ihr Anteil stieg in den letzten Wochen stetig an«, heißt es in einem RKI-Bericht vom Mittwochabend. B.1.617 macht derzeit weniger als 2 Prozent der untersuchten Proben aus (Untervariante B.1.617.1: 0,6 Prozent; B.1.617.2: 0,9 Prozent). Das RKI betont, dass die absoluten Zahlen der Nachweise in der Woche vom 26. April bis 2. Mai lediglich im zweistelligen Bereich lägen: bei gut 30. In Deutschland wird ein deutlich kleinerer Teil der Proben auf Varianten untersucht als in Großbritannien.

Schultze sagte zur Situation in Deutschland: »In den vergangenen drei Wochen kam es zu einem starken Anstieg, der ähnlich steil wie im Vereinigten Königreich erscheint.« Mit 2 Prozent sei der Anteil von B.1.617 bereits höher als der der Varianten, die zunächst in Südafrika oder Brasilien nachgewiesen worden waren.

Doch was ist belang über die neue Variante bekannt? »Erste, noch nicht durch ein Peer-Review überprüfte, wissenschaftliche Berichte deuten darauf hin, dass für die zugelassenen Impfstoffe kein Immune Escape besteht«, sagte Schultze. Das ergab zum Beispiel eine Untersuchung indischer Forscher mit Seren von Genesenen und Geimpften. Eine Studie von Forschern aus Göttingen ließ aber eine gewisse Immunflucht erkennen und wies zudem auf eine erhöhte Infektiosität der Variante hin. »Gleichzeitig deuten erste funktionelle Untersuchungen auf eine höhere Pathogenität der Variante B.1.617 hin«, sagte Schultze. Dies müsse noch weiter abgeklärt werden.

Professor Dr. Richard Neher von der Universität Basel erklärte, dass die aktuellen Zahlen Grund dazu gäben, das Geschehen genau zu beobachten und Versuche zu unternehmen, die Infektionen einzudämmen. »Allerdings sind die Daten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so belastbar, wie sie Ende Dezember und Anfang Januar für B.1.1.7 waren.« Er wäre nicht überrascht, wenn sich am Ende herausstelle, dass diese Variante nicht so besorgniserregend sei, wie das manche im Moment befürchteten, so Neher.

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