Avacopan im Handel |
Sven Siebenand |
02.03.2022 07:00 Uhr |
Der cANCA-Test ist für die Diagnostik der Granulomatose mit Polyangiitis wichtig. Zur Diagnose der mikroskopischen Polyangiitis dient der pANCA-Test. Beide Erkrankungen zählen zu den ANCA-Vaskulitiden. / Foto: Adobe Stock/Arif Biswas
ANCA steht für antineutrophile zytoplasmatische Antikörper. Die ANCA-assoziierte Vaskulitis ist eine systemische Erkrankung, bei der eine Überaktivierung des Komplementwegs Neutrophile weiter aktiviert, was zur Entzündung und Zerstörung kleiner Blutgefäße führt. Dies hat Organschäden und -versagen zur Folge. Insbesondere die Nieren sind davon betroffen. Derzeit werden zur Behandlung neben Glucocorticoiden zum Beispiel auch Immunsuppressiva wie Cyclophosphamid oder Rituximab eingesetzt.
Avacopan (Tavneos® 10 mg Hartkapseln, Vifor Pharm) ist bei zwei Formen der ANCA-Vaskulitis im Erwachsenenalter zugelassen: bei der schweren und aktiven Granulomatose mit Polyangiitis und bei der schweren und aktiven mikroskopischen Polyangiitis. Kombiniert wird der neue Arzneistoff immer mit Rituximab oder Cyclophosphamid. Deutschland ist das erste Land in Europa, in dem das neue Medikament eingeführt wurde.
Das Avacopan-haltige Präparat Tavneos® wurde Mitte Februar 2022 auf dem deutschen Markt eingeführt. / Foto: Vifor Pharma
Avacopan ist ein selektiver Antagonist des humanen Komplement-5a-(C5a-)Rezeptors. Die Blockade dieses Rezeptors reduziert die entzündungsfördernden Wirkungen von C5a, einschließlich Neutrophilen-Aktivierung, Migration und Adhärenz an Endothel-Oberflächen von Gefäßen. Mit Eculizumab und Ravulizumab gibt es zwei Antikörper mit einem ähnlichen Wirkprinzip. Sie binden jedoch an den Komplementfaktor C5, nicht an den Rezeptor der Untereinheit C5a. Zudem sind sie bei anderen Erkrankungen zugelassen und nicht oral verfügbar.
Avacopan ist oral bioverfügbar. Die empfohlene Dosis beträgt 30 mg zweimal täglich zu den Mahlzeiten. Bei Auftreten bestimmter schwerer Nebenwirkungen ist die Behandlung möglicherweise zu unterbrechen oder abzubrechen. Regelmäßig sind Leberparameter zu bestimmen. Bei schwerer Leberfunktionsstörung wird Avacopan nicht empfohlen. Auch die Leukozytenzahl muss im Blick behalten werden. Patienten sollten angewiesen werden, jedes Anzeichen einer Infektion, unerwartete Blutergüsse oder Blutungen unverzüglich zu melden. Impfungen sind vorzugsweise vor Einleitung einer Avacopan-Therapie oder während einer Ruhephase der Erkrankung durchzuführen.
Auch hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen ist bei Avacopan einiges zu beachten. Grapefruit und Grapefruitsaft können die Konzentration von Avacopan erhöhen und sind daher von Patienten, die Tavneos erhalten, zu vermeiden. Grundsätzlich ist Vorsicht geboten bei der gleichzeitigen Einnahme von starken CYP3A4-Inhibitoren. Andersherum könnte Avacopan nicht ausreichend wirken, wenn gleichzeitig starke CYP3A4-Induktoren eingenommen werden, was daher zu vermeiden ist.
Avacopan wurde in der randomisierten und doppelblinden Phase-III-Studie Advocate bei 330 Patienten mit ANCA-Vaskulitis untersucht. Die Patienten erhielten in einem Arm zweimal täglich 30 mg Avacopan über 52 Wochen in Kombination mit »Prednison-Placebo« über 20 Wochen. Im anderen Arm nahmen die Probanden »Avacopan-Placebo« über 52 Wochen in Kombination mit Prednison (mit Ausschleichen von 60 mg/d auf null über 20 Wochen) ein. Alle Patienten erhielt zudem eine immunsuppressive Standardtherapie.
Ziel der Studie war es, festzustellen, ob Avacopan eine wirksame Behandlung darstellt und gleichzeitig eine Reduzierung des Einsatzes von Glucocorticoiden ermöglicht. Nach 26-wöchiger Behandlung mit Avacopan befanden sich 72 Prozent der Patienten in vollständiger Remission, verglichen mit 70 Prozent der Patienten, die 20 Wochen lang das Corticoid erhalten hatten. Daten der Studie zeigen ferner eine Überlegenheit bei der Aufrechterhaltung der Remission nach 52 Wochen in der Avacopan-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (66 versus 55 Prozent).
Sehr häufige Nebenwirkungen von Avacopan sind Übelkeit (24 Prozent), Kopfschmerzen (21 Prozent), erniedrigte Leukozytenzahl (19 Prozent), Infektionen der oberen Atemwege (15 Prozent), Durchfall (15 Prozent), Erbrechen (15 Prozent) und Nasopharyngitis (15 Prozent).
Für Schwangere und Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird Avacopan nicht empfohlen, denn tierexperimentelle Studien haben eine Reproduktionstoxizität gezeigt. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob das Stillen unterbrochen wird oder auf die Einnahme von Tavneos verzichtet wird.
Die ANCA-assoziierte Vaskulitis ist eine seltene, aber schwere und oft tödliche Erkrankung. Medizinischer Bedarf für weitere Therapieoptionen ist gegeben. Mit Avacopan steht Betroffenen nun ein Arzneistoff mit neuem Wirkmechanismus zur Verfügung, der zudem sehr gute Studienresultate vorweisen kann. Avacopan ist daher vorläufig bei den Sprunginnovationen einzugruppieren.
Es wird angenommen, dass Avacopan selektiv nur C5aR und nicht C5aR2 hemmt und damit nützliche C5a-Funktionen nicht blockiert. Für die Betroffenen wichtig: Der Wirkstoff hilft offenbar, Glucocorticoide einzusparen. Das ist hinsichtlich zahlreicher Nebenwirkungen der Corticoide natürlich eine gute Nachricht. Insgesamt kam es unter Avacopan im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer stärkeren Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und der Nierenfunktion. Sehr gespannt darf man auf weitere Studiendaten sein. Längere Studien sind sicher erforderlich, um die Dauer des Effekts und die Langzeitsicherheit von Avacopan bei Patienten mit ANCA-assoziierter Vaskulitis zu untersuchen.
Positiv ist abschließend zu erwähnen, dass der neue Wirkstoff auch bei anderen Erkrankungen, bei denen ein Eingriff in das Komplementsystem offenbar nützlich ist, untersucht wird, etwa zur Behandlung der Nierenerkrankung C3-Glomerulopathie. Daher wird zukünftig vermutlich noch mehr von Avacopan zu hören sein.
Sven Siebenand, Chefredakteur