Topische NSAR bei akuten Schmerzen |
15.12.2015 13:48 Uhr |
Von Judith Günther und Iris Hinneburg / Gegen akute Muskel- und Gelenkschmerzen hält die Selbstmedikation zahlreiche topische Präparate mit nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAR)bereit. Lindern sie nachweislich die Schmerzen? Ist ihre Wirksamkeit vergleichbar mit der oralen Anwendung der Wirkstoffe? Und unterscheiden sich die Applikationsformen im Nebenwirkungsprofil?
Gegen schmerzhafte Sportverletzungen und andere akute Muskel- und Gelenkbeschwerden stehen rezeptfreie Cremes, Gele, Sprays oder Pflaster mit antientzündlichen Wirkstoffen wie Diclofenac, Ibuprofen oder Piroxicam zur Verfügung. Diese Mittel gehörten viele Jahre zu den meistverordneten Mitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Arzneimittelverordnungs-Report verzeichnete noch 1995 mehr als 650 Millionen ärztlich veranlasste Tagesdosen (DDD) in der Wirkstoffgruppe der topischen NSAR. Damals lagen die Verordnungsmengen äußerlich anzuwendender NSAR mit denen der NSAR zum Einnehmen gleich auf. Gleichzeitig wurde das Ausmaß des therapeutischen Effektes der Topika als uneinheitlich und im Mechanismus als unklar beschrieben. 20 Jahre später – mehr als zehn Jahre nach Ausschluss rezeptfreier Mittel aus der GKV-Erstattungspflicht bei Erwachsenen – ist die Verordnungsmenge topischer NSAR zulasten der GKV nahezu unbedeutend. In der Selbstbehandlung spielen die Mittel hingegen nach wie vor eine große Rolle.
Von topischen Schmerzmitteln wurden Markterhebungen zufolge im vergangenen Jahr mehr als 30 Millionen Packungen verkauft, die meisten enthielten Diclofenac und Ibuprofen. Wie stellt sich aber die Evidenz dieser Mittel bei akuten Muskel und Gelenkbeschwerden dar?
Die PZ-Serie »Evidenzbasierte Selbstmedikation« bereitet einmal im Monat für eine konkrete Frage aus der Selbstmedikation eine Zusammenstellung der besten verfügbaren Evidenz auf, die mithilfe einer strukturierten Literatursuche gefunden und auf ihre methodische Qualität beurteilt wurde. Suchstrategie und Bewertung sind dokumentiert und in der Online-Ausgabe der PZ hinterlegt. Jede Folge enthält zudem ein Szenario aus der Apothekenpraxis. Die Szenarien laden ein zu einer Diskussion um die Anwendung und Anwendbarkeit der Evidenz und können für die nächste Teambesprechung, das Treffen im Qualitätszirkel oder zur Diskussion über die Kommentar-Funktion der Pharmazeutischen Zeitung genutzt werden. Machen Sie mit!
Bereits erschienen ist der Beitrag »Evidenzbasierte Selbstmedikation: Vitamin C bei Erkältungen« (PZ 48/2015).
Cochrane-Review dient als Evidenz-Grundlage
Bei der Suche nach brauchbaren Informationen zu den Beratungsfragen liefert eine offene Recherche nach klinischen Studien eine unüberschaubare Menge an Einzelstudien: Der Markt topischer Schmerzmittel ist breit gefächert und entsprechende Mittel werden bereits seit vielen Jahren eingesetzt. Einen raschen Überblick zur besten verfügbaren, aktuellsten Evidenz liefert in diesem Fall eine valide systematische Übersichtsarbeit.
Sportverletzungen können sehr schmerzhaft sein. Vor allem Gele mit NSAR scheinen hier zu helfen.
Foto: Shutterstock/Martin Novak
Die spezifische Literatursuche zu den Effekten von äußerlich anzuwendenden NSAR bei Sportverletzungen oder akuten Muskel- und Gelenkbeschwerden ergibt als beste verfügbare und aktuellste Evidenz eine systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration aus dem Jahr 2015 (Topical NSAIDs for acute musculoskeletal pain in adults. CD007402). Der Review – ein Update einer früheren Version – schließt Studien bis Februar 2015 ein. Mit der festgelegten Suchstrategie konnte eine weitere relevante klinische Studie neueren Datums gefunden werden.
Die methodische Qualitätsbewertung der systematischen Übersichtsarbeit endet zufriedenstellend. Sie kann daher als Grundlage für die Zusammenfassung der Evidenz zu der Fragestellung dienen. Auch die methodische Qualität der Einzelstudie ist gut. Die Autoren finden für ein Diclofenac- Natrium-Pflaster eine bessere schmerzstillende Wirkung als für ein Placebopflaster. Die Einzelstudie unterstützt damit die Aussagen des Reviews. Deshalb werden im Folgenden nur die Ergebnisse des Cochrane-Reviews im Detail diskutiert. Weitere Informationen zur Literatursuche und der Qualitätsbewertung sind in der Online-Ausgabe der Pharmazeutischen Zeitung hinterlegt.
Der Cochrane-Review fasst die Ergebnisse von 61 Studien zu verschiedenen topischen NSAR mit rund 9000 Studienteilnehmern zusammen, davon wurden 14 Studien neu in die Analyse aufgenommen. Akzeptiert wurden ausschließlich randomisiert kontrollierte und doppelblinde Studien, um das Risiko für Ergebnis-Verzerrungen zu minimieren. Dennoch fehlen in vielen Studien wichtige Angaben zu Verblindung und Randomisierung, was eine Einschätzung der Studienqualität erschwert. Zudem schließen einige Studien weniger als 50 Teilnehmer ein, was mit einer Überschätzung des Wirkeffektes einhergehen kann. Bei 27 von 61 Studien wird hierin ein hohes Verzerrungspotenzial gesehen.
Als patientenorientierte Zielgröße für die therapeutische Wirksamkeit wurde die Anzahl der Patienten mit einer relevanten Schmerzlinderung um den siebten Tag der Anwendung festgelegt. Als relevant gilt eine Schmerzreduktion um mehr als 50 Prozent nach Selbsteinschätzung des Patienten. Die kurze Zeitspanne bis zur Ergebniserhebung ist angemessen, da es sich um eine selbstlimitierende Erkrankung handelt. Je mehr Zeit seit der Läsion vergeht, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich die Beschwerden auch ohne Behandlung bessern und sich in der Folge behandlungsbedingte Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen verlieren.
Untersucht werden die Therapieeffekte in Abhängigkeit vom Wirkstoff und der Applikationsform. Ergebnisse zu einer Fragestellung werden nur dann in einer Metaanalyse zusammengefasst, wenn Daten für mindestens 200 Teilnehmer vorhanden sind.
Anzahl Patienten mit relevanter Schmerzlinderung | Ergebnis | Interpretation für die Praxis |
---|---|---|
Wirksamkeit topischer Anwendung im Vergleich zu Placebo, Diclofenac (alle Zubereitungsformen) | ||
2050 Patienten aus elf Studien | RR: 1,60 (95% KI 1,49 bis 1,72) | Äußerlich anzuwendende Diclofenac-Zubereitungen wirken bei akuten Muskel- und Gelenkbeschwerden sieben Tage nach einer Prellung, Zerrung oder Verstauchung besser schmerzstillend als eine Behandlung mit einem Scheinmedikament. Wie groß dieser Effekt ist, lässt sich aufgrund der starken Unterschiede zwischen den Studienergebnissen nicht sicher beziffern. |
Wirksamkeit topischer Anwendung im Vergleich zu Placebo, Diclofenac (als Emulgel) | ||
314 Patienten aus zwei Studien | RR: 3,84 (95% KI 2,68 bis 5,50). ARR: Die Schmerzen nehmen nach sieben Tagen bei 78 von 100 Patienten um mindestens die Hälfte ab, unter Scheinbehandlung sind es nur 20 von 100. | Diclofenac Emulgel lindert akute Muskel- und Gelenkschmerzen nach Prellungen, Verzerrungen und Verstauchungen deutlich. Nach sieben Behandlungstagen profitiert einer von zwei Patienten, der unter Placebo noch Schmerzen gehabt hätte. |
Wirksamkeit topischer Anwendung im Vergleich zu Placebo, Ibuprofen (alle Zubereitungsformen) | ||
436 Patienten aus fünf Studien | RR: 1,64 (95% KI 1,33 bis 2,01) | Äußerlich anzuwendende Ibuprofen-Zubereitungen wirken bei akuten Muskel- und Gelenkbeschwerden sieben Tage nach einer Prellung, Zerrung oder Verstauchung besser schmerzstillend als eine Behandlung mit einem Scheinmedikament. Wie groß dieser Effekt ist, lässt sich aufgrund der starken Unterschiede zwischen den Studienergebnissen nicht sicher beziffern. |
Wirksamkeit topischer Anwendung im Vergleich zu Placebo, Ibuprofen (als 5-prozentiges Gel) | ||
241 Patienten aus zwei Studien | RR: 2,66 (95% KI 1,69 bis 4,21) ARR: Die Schmerzen nehmen nach sieben Tagen bei 42 von 100 Patienten um mindestens die Hälfte ab, unter Scheinbehandlung sind es nur 16 von 100. | Ibuprofengel 5% lindert akute Muskel- und Gelenkschmerzen nach Prellungen, Verzerrungen und Verstauchungen deutlich. Nach sieben Behandlungstagen profitiert einer von vier Patienten, der unter Placebo noch Schmerzen gehabt hätte. |
Wirksamkeit topischer Anwendung im Vergleich zu oralem NSAR | ||
404 Patienten aus drei Studien | Inkonsistente Ergebnisse | Es fehlen Daten für eine sichere Aussage zur vergleichenden Wirksamkeit von Topika und Oralia |
Nebenwirkungen topischer Anwendung versus Placebo (alle Wirkstoffe und Darreichungsformen) | ||
Lokale Nebenwirkungen 6740 Patienten aus 45 Studien Systemische Nebenwirkungen 5576 Patienten aus 39 Studien | RR: 0,98 (95%KI 0,80 bis 1,21) kein statistisch signifikanter Unterschied RR: 0,96 (95%KI 0,73 bis 1,26) kein statistisch signifikanter Unterschied | In Kurzzeitstudien an kleinen Patientengruppen liegt die Nebenwirkungsrate mit drei bis fünf von 100 Behandelten auf Placebo-Niveau. Eine sichere Aussage zu seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen kann auf dieser Grundlage nicht gemacht werden. |
Vergleich mit topischen Placebo-Zubereitungen
Die meisten der eruierten Studien untersuchten die äußerliche Anwendung eines NSAR gegenüber Placebo. Mehrere Studien liegen für folgende NSAR vor: Benzydamin (3 Studien), Diclofenac (19 Studien), Ibuprofen (5 Studien), Indometacin (3 Studien), Ketoprofen (7 Studien) und Piroxicam (3 Studien). Als Zubereitungen kamen Cremes, Gele, Sprays, Schäume und Pflaster zum Einsatz.
Diclofenac und Ibuprofen werden in der Selbstbehandlung am häufigsten eingesetzt. Daher wird im Folgenden vor allem die Evidenz zu diesen Wirkstoffen dargestellt. Werden alle verfügbaren Studienergebnisse wirkstoffspezifisch zusammengefasst, zeigen die NSAR Diclofenac und Ibuprofen auch den größten schmerzstillenden Effekt im Vergleich zu einer Scheinbehandlung. Allerdings schwanken die Ergebnisse der Einzelstudien sehr stark. Erkennbar wird dies dadurch, dass bei gemeinsamer Auswertung der Einzelergebnisse (Metaanalyse) eine deutliche Heterogenität sichtbar wird. Als mögliche Ursache für diese Unterschiede wurde der Einfluss der Zubereitungsform auf die Schmerzwahrnehmung untersucht. Demnach scheinen Gelzubereitungen die akuten Schmerzen bei Muskel- und Gelenktraumen besonders gut zu lindern (Tabelle). Ob bestimmte Gelzubereitungen besser wirken als andere, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht hinreichend sicher beantworten, da direkte Vergleichsstudien fehlen.
Ob topische Schmerzmittel genauso stark wie wirkstoffgleiche orale Mittel wirken, ist nicht ausreichend untersucht.
Foto: Fotolia/ tln
Vergleich zu oralen NSAR
NSAR-Topika wurden in klinischen Studien nur selten gegen NSAR zum Einnehmen getestet. Lediglich 220 Studienteilnehmer des rund 9000 Patienten umfassenden Cochrane Reviews erhielten eine orale Zubereitung mit Ibuprofen oder Indometacin. Verglichen wurden diese Oralia mit topischen Zubereitungen von Ibuprofen, Felbinac oder Indometacin. Die Ergebnisse der Einzelstudien sind inkonsistent: Bei einer Studie schneidet ein Indometacin-Spray signifikant besser ab als die orale Vergleichszubereitung. In zwei anderen Studien ergibt sich kein Unterschied zwischen oraler und topischer Zubereitung. Ein Felbinac-Schaum zeigt zwar im direkten Vergleich ähnliche schmerzstillende Effekte wie eine Ibuprofen-Tablette, allerdings kann er in einem anderen Versuch die Schmerzen nicht besser lindern als Placebo.
Die vorliegenden Daten jedenfalls genügen nicht, um eine Überlegenheit einer der Anwendungsformen, ja noch nicht einmal ihre Gleichwertigkeit festzustellen. Dafür wurde diese Fragestellung deutlich zu selten untersucht.
Absolute Risikoreduktion (ARR)
Unterschied der Ereignisraten in Behandlungs- und Kontrollgruppe (Differenz).
Heterogenität
Heterogenität bezeichnet die Variabilität zwischen einzelnen Studienergebnissen, die aufgrund von Ungleichheiten in den Studiencharakteristika entsteht. Von klinischer Heterogenität spricht man, wenn sich die Studien hinsichtlich der untersuchten Patientenkollektive (beispielsweise unterschiedliche Altersstufen oder Krankheitsschwere), der Interventionen (beispielsweise verschiedene Darreichungsformen, Dosierungen oder Salze eines Wirkstoffs) oder der Endpunkte (beispielsweise Art der untersuchten Symptome, Dauer der Symptome, Schweregrad der Symptome) sowie Dauer der Nachbeobachtung unterscheiden. Methodische Heterogenität liegt vor, wenn sich die Studien hinsichtlich Studiendesign (RCT versus Non-RCT, Cross-over versus Parallel) und Qualität (Fehlen von verdeckter Zuteilung, Verblindung, vollständiger Nachbeobachtung) unterscheiden.
Metaanalyse
Eine Metaanalyse errechnet mittels statistischer Verfahren aus einzelnen Studienergebnissen zur gleichen klinischen Fragestellung ein neues gemeinsames Ergebnis. Dadurch kann die Aussagekraft eines Ergebnisses gegenüber den Ergebnissen aus Einzelstudien erhöht werden. Eine Metaanalyse kann, muss aber nicht Bestandteil eines systematischen Reviews sein. Damit der neu errechnete Ergebniswert verlässlich ist und für die Praxis angewendet werden kann, müssen verschiedene Kriterien erfüllt sein: möglichst hohe Studienqualität, vergleichbare Patientenkollektive, geringe Unterschiede in den Einzelergebnissen (siehe Heterogenität).
Konfidenzintervall
Eine Studie umfasst immer nur eine »Stichprobe« aus der »Grundgesamtheit« aller vergleichbaren Patienten. Die Effektgröße aus einer Studie, etwa ein relatives Risiko, ist daher ein Wert, der selbst bei einem unverzerrten Studiendesign durch Zufallseffekte vom »wahren Wert« für die Grundgesamtheit abweichen kann. Das Konfidenzintervall leitet sich aus den Daten für die Studie ab und wird durch die Anzahl der Teilnehmer, die Streuung der Messwerte sowie die Annahme einer bestimmten Verteilung der Daten in der Grundgesamtheit bestimmt. Es beschreibt einen »Vertrauensbereich«, in dem der »wahre« Wert für die Grundgesamtheit mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann. Üblicherweise wird für diese Wahrscheinlichkeit 95 Prozent angenommen und entsprechend ein 95%-Konfidenzintervall angegeben (auch als 95%-KI oder 95%-CI bezeichnet).
Relatives Risiko (RR)
Verhältnis der Ereignisraten in Behandlungs- und Kontrollgruppe (Quotient).
Statistisch signifikant
In einer Überlegenheitsstudie wird ein Unterschied zwischen Behandlungs- und Kontrollgruppe als statistisch signifikant bezeichnet, wenn auf der Basis eines statistischen Tests die Wahrscheinlichkeit unter 5 Prozent (< 0,05) liegt, dass der gefundene Unterschied nur durch zufällige Effekte zustande gekommen ist und in Wirklichkeit nicht existiert. Dass ein Unterschied statistisch signifikant ist, heißt aber nicht automatisch, dass die Größe des Unterschieds auch für den Patienten von Bedeutung (relevant) ist.
Nebenwirkungen auf Placeboniveau
Fasst man alle Ergebnisse aus den randomisiert kontrollierten Studien zusammen, liegt das Risiko für unerwünschte Wirkungen bei den Topika mit einem NSAR auf Placeboniveau. Dies gilt sowohl für lokale Nebenwirkungen wie allergische Hautreaktionen als auch für systemische Nebenwirkungen beispielsweise im Magen-Darm-Trakt.
Daraus könnte man indirekt schließen, dass die topischen Zubereitungen von NSAR besser verträglich sind als die oralen. Drei bis fünf von 100 Anwendern werden dennoch während der topischen Anwendung eine unerwünschte Wirkung feststellen. Diese steht aufgrund der bisher vorliegenden Ergebnisse aber vermutlich nicht mit der spezifischen Wirkung eines NSAR in Zusammenhang.
Da in den Einzelstudien generell nur wenige Patienten für einen vergleichbar kurzen Zeitraum untersucht wurden, kann zu seltenen, aber schwerwiegenden Nebenwirkungen keine Aussage gemacht werden. Zusätzlich zu beachten sind in solchen Fällen beispielsweise die Drug-Safety-Meldungen der Arzneimittelkommissionen und der Zulassungsbehörden, wie etwa der Anfang 2011 im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit des BfArM und des PEI veröffentlichte Hinweis, dass nach topischer Anwendung von Ketoprofen schwere photoallergische Reaktionen auftreten können. Der mittlerweile verschreibungspflichtige Wirkstoff schneidet im Cochrane- Review ebenfalls positiv ab, sollte wegen seiner schlechteren Hautverträglichkeit aber nicht mehr als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden.
Wie zuverlässig ist die Evidenz?
Es liegt ein Cochrane-Review vor, das über die derzeit verfügbaren Studienbelege zu Wirksamkeit und Verträglichkeit von topischen Zubereitungen nicht steroidaler Antiphlogistika umfassend Auskunft gibt. Der Review erfüllt die wesentlichen methodischen Kriterien einer zuverlässigen systematischen Übersichtsarbeit. Die Qualität der Daten, die den Metaanalysen zugrundeliegen, kann als moderat (Ibuprofen, Ketoprofen) bis hoch bewertet werden (Diclofenac als Emulgel und Analyse der Nebenwirkungen).
Allerdings offenbarte die Literaturrecherche auch, dass zahlreiche Studien, die den Einsatz topischer NSAR bei akuten Muskel- und Gelenkbeschwerden untersuchten, bislang nicht publiziert sind (Abbildung). Nimmt man den extremsten Fall an und geht davon aus, dass all diese Studien negativ endeten (und deswegen auch nicht publiziert wurden), würde das Review-Ergebnis soweit abgeschwächt, dass es klinisch ohne Bedeutung wäre. Da man die Wahrscheinlichkeit für diese Annahme nicht realistisch abschätzen kann, besteht also eine gewisse Unsicherheit darüber, wie groß der Effekt topischer Mittel mit Diclofenac und Ibuprofen wirklich ist.
Fazit: Die verfügbaren Studienergebnisse aus qualitativ hochwertigen, randomisiert kontrollierten Studien zeigen, dass äußerlich anzuwendende Zubereitungen mit NSAR wie Diclofenac und Ibuprofen bei akuten Gelenk- und Muskelbeschwerden die damit einhergehenden Schmerzen lindern. Von den untersuchten Wirkstoffen ist Diclofenac am besten untersucht. Insbesondere Gelzubereitungen erhöhen im Vergleich zu einer Behandlung mit einer wirkstofffreien topischen Zubereitung die Anzahl von Patienten mit einer deutlichen Schmerzlinderung. Im Idealfall profitiert etwa jeder zweite bis vierte Anwender von der spezifischen Wirkung des NSAR. Ob es relevante Unterschiede zwischen den Gelzubereitungen gibt, ist mit den vorliegenden Daten nicht zu beantworten. Auch direkte Vergleichsstudien zu anderen topischen Darreichungsformen fehlen. Nebenwirkungen sind bei der kurzzeitigen Anwendung von einer Woche kaum zu erwarten. Ob die Topika genauso stark wirken wie wirkstoffgleiche Mittel zum Einnehmen, ist nicht ausreichend untersucht.
Iris Hinneburg studierte Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg und wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg promoviert. Nach Tätigkeiten in Forschung und Lehre in Halle und Helsinki (Finnland) arbeitet sie heute freiberuflich als Medizinjournalistin und Fachbuchautorin. Außerdem produziert sie einen Podcast mit Themen zur evidenzbasierten Pharmazie und engagiert sich im Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin.
Dr. Iris Hinneburg
Wegscheiderstraße 12
06110 Halle (Saale)
Web: www.medizinjournalistin.blogspot.com
Judith Günther studierte Pharmazie an Universität des Saarlandes in Saarbrücken und promovierte an der Universität Köln. Nach Tätigkeiten bei der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) leitet sie seit 2002 bei der PharmaFacts GmbH diverse Projekte. Sie ist Fachapothekerin für Arzneimittelinformation und Mitglied des Deutschen Netzwerks für Evidenzbasierte Medizin und dort Sprecherin des Fachbereichs Evidenzbasierte Pharmazie.
Dr. Judith Günther
PharmaFacts GmbH
Wilhelmstraße 1 e
79100 Freiburg
E-Mail: jg@phacts.de
Szenario
Anfang Januar kommt eine etwa 68-jährige Kundin in die Apotheke. Sie sei vor zwei Tagen beim Neujahrsbesuch ihrer Enkelkinder über deren Bauklötzchen gestolpert und habe sich ordentlich den Knöchel verknackst. Zunächst wäre es nicht so schlimm gewesen, aber dann sei das Gelenk dick und schmerzhaft geworden. Sie habe gekühlt und auch eine Binde zur Stabilisierung angelegt. Trotzdem schmerze das Gelenk noch sehr stark. Die Kundin möchte von Ihnen wissen, was sie gegen die Schmerzen tun kann, und ob ihre Kopfschmerztabletten auch helfen könnten. /