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Psychopharmaka

Schwierigkeiten bei der Dosisfindung

15.12.2015  14:36 Uhr

Von Annette Mende, Berlin / Wie schnell ein Patient ein Psychopharmakon verstoffwechselt, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. In der Praxis bringt das oft große Probleme mit sich, denn eine gegebene Dosis kann entweder zu niedrige oder zu hohe Wirkspiegel nach sich ziehen – mit in der Folge ausbleibender Wirkung oder verstärkten Nebenwirkungen.

Beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin plädierte Professor Dr. Christoph Hiemke vom Universitätsklinikum Mainz dafür, sich bei der Dosisfindung am therapeutischen Referenzbereich des jeweiligen Arzneistoffs zu orientieren. Der Wirkspiegel muss dazu im Rahmen eines therapeutischen Drug Monitorings (TDM) im Blut des Patienten bestimmt werden.

 

Das Problem an der Sache: Der therapeutische Referenzbereich ist zumindest bei neuen Substanzen nicht bekannt, da diese Angabe für die Zulassung nicht gefordert ist. Und ihn zu ermitteln, ist nicht einfach. »Man muss das therapeutische Fenster mittels fixer Dosen ermitteln, mit einer variablen Dosis ist das nicht möglich«, betonte Hiemke. Er erklärte das am Beispiel der Antidepressiva.

 

Von dieser Wirkstoffklasse ist bekannt, dass sich das Patientenkollektiv in je ein Drittel Responder, Non-Responder und Placebo-Responder aufteilt. Die erste Gruppe spricht auf ein gegebenes Medikament in üblicher Dosierung an, die zweite so gut wie nicht und bei der dritten beruht die Wirkung überwiegend auf einem Placebo-Effekt. Eine einigermaßen lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung ist nur unter Berücksichtigung ausschließlich der ersten Gruppe herzustellen.

 

Ein Drittel Non-Responder

 

Da in der Praxis aber immer alle drei Gruppen vertreten sind, stört das die Statistik, wenn der Therapeut auf das (ausbleibende) Ansprechen reagiert. Die Non-Responder erhalten immer höhere Dosen, die aber letztlich auch nicht den gewünschten Effekt erzielen, bei den Placebo-Respondern dagegen lässt sich die Dosis ohne nennenswerten Wirkverlust reduzieren. Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit einer Wirkung ist in der Gesamtpopulation bei niedrigeren Dosen erhöht. »An diesem scheinbaren Paradoxon sind schon viele Forscher verzweifelt«, sagte Hiemke.

 

Da ein TDM vielerorts noch nicht zum Standard gehört, ist die Suche nach dem optimalen Arzneistoff und der geeigneten Dosierung häufig ein langwieriger Prozess. Dieser könnte sich auch durch eine Genotypisierung mit Bestimmung der Enzymaktivität diverser CYP-Enzyme verkürzen, die am Abbau von Psychopharmaka beteiligt sind. So lassen sich beispielsweise Ultra-Rapid-Metabolisierer, bei denen von betroffenen Arzneistoffen eine Wirkung nicht zu erwarten ist, von vorne­herein identifizieren. »Dieses Verfahren ist allerdings momentan noch zu teuer, um es routinemäßig einzusetzen«, so Hiemke.

 

Eine Lanze für das TDM brach auch Professor. Dr. Ekkehard Haen von der Universität Regensburg. Er zeigte am Beispiel des selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) Citalo­pram, wie sehr die Wirkstoffspiegel patientenindividuell bei einer gegebenen Dosis differieren können – und dass daher feste Dosisobergrenzen mit Vorsicht zu genießen sind. »Solche Obergrenzen suggerieren eine Sicherheit, die überhaupt nicht vorhanden ist«, sagte der Pharmakologe.

Haen kritisierte einen Rote-Hand-Brief zu Citalopram aus dem Jahr 2011. Darin wies Cipramil®-Hersteller Lundbeck auf die Gefahr einer QT-Zeit-Verlängerung hin, die unter Citalopram dosisabhängig steige. Eine Studie an gesunden Erwachsenen habe gezeigt, dass Citalopram in einer Dosis von 20 beziehungsweise 60 mg pro Tag das QT-Intervall durchschnittlich um 7,5 beziehungsweise 16,7 ms verlängere. »Diese Studie ist aber nirgends publiziert«, so Haen. Er vermisste in dem Rote-Hand-Brief zudem eine Angabe über die Streubreite der Abweichung vom QT-Normalwert, denn »der angegebene Mittelwert sagt Ihnen über das individuelle Risiko eines Patienten nur wenig«.

 

Für Citalopram gelten seitdem 40 mg täglich als Maximaldosis, bei älteren Patienten und solchen mit eingeschränkter Leberfunktion sollen 20 mg nicht überschritten werden. »Für mich ist das eine eindeutige Irreführung«, sagte Haen. Die Dosis allein sage nichts über die Konzentration, die im Blut des Patienten ankomme. »Das kann um den Faktor drei bis vier variieren.«

 

Risikogruppe Ältere

 

Haen leitet an der Uni Regensburg das Befundungsprogramm Konbest, das unter www.konbest.de auch Einsendern von außerhalb zur Verfügung steht. »Wir bestimmen nicht nur Konzentrationswerte im Rahmen eines TDM, sondern versehen diese gleich auch mit einem klinisch-pharmakologischen Befund, der den Einsender darüber informiert, welche Arzneimittel­interaktionen bei dem Patienten relevant sind«, sagte der Referent. Eine Auswertung der Konbest-Daten von 957 mit Citalopram behandelten Patienten habe ergeben, dass Frauen, Über-65-Jährige und Patienten mit mehr als fünf gleichzeitig eingenommen Arzneimitteln ein besonders hohes Risiko für eine langsame Verstoffwechslung des SSRI haben.

 

»Ein Drittel der Patienten mit angeblich sicherer Dosierung zeigte Konzentra­tionen oberhalb des therapeutischen Referenzbereichs«, sagte Haen. Bei den Über-65-Jährigen waren die Plasmakonzentrationen sogar bei 84 Prozent der Patienten für die verschriebene Dosis viel zu hoch. Die Gefahr zu hoher Wirkspiegel steige bei gleichzeitiger Einnahme von Inhibitoren der CYP-Enzyme 2C19, 3A4 und 2D6. Citalopram wird von diesen in absteigendem Umfang metabolisiert. /

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