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Optogenetik

Forschen mit Licht

15.12.2015  16:35 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Die Optogenetik ist eine relativ neue Methode und hat dennoch bereits die Grundlagenforschung revolutioniert. Der Mix aus Optik und Gentechnik erlaubt es, einzelne Zelltypen wie Gruppen von Neuronen über Licht an- oder abzuschalten. Das kann auch therapeutisch genutzt werden.

Für Forscher ist es ein Traum, bestimmte Zellen in Kultur oder im lebenden Organismus quasi mit einem Schalter anzuknipsen oder eben auszuschalten, um ihre Funktion untersuchen zu können. Wahr gemacht hat ihn die Optogenetik, eine Kombination aus optischen und gentechnischen Verfahren. 

 

Gentechnisch werden Zellen mit lichtsensitiven Molekülen ausgestattet, die dann mittels Lichtbestrahlung gesteuert werden. Die Methode wurde bereits 2010 von der »Nature Methods«-Redaktion zur Methode des Jahres gewählt. Die Optogenetik habe das Feld der neurologischen Forschung verändert, heißt es in dem Editorial der Ausgabe (DOI: 10.1038/nmeth.f.321). Sie ermögliche es, die Aktivität einzelner Neurone in Echtzeit zu steuern.

 

Wie funktioniert diese Steuerung mit Licht? Voraussetzung sind lichtempfindliche Moleküle wie beispielsweise das Protein Kanalrhodopsin aus der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Dieser einzellige Flagellat besitzt zwei Geißeln zur Fortbewegung, die durch Licht aktiviert werden. 2002 konnte ein Forscherteam um Professor Dr. Ernst Bamberg vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt am Main aufklären, welches Protein hierfür verantwortlich ist: Es ist ein Ionenkanal, den die Forscher Kanalrhodopsin (ChR2) nannten. Das helikale Protein besitzt sieben Transmembrandomänen und ein Retinal-Chromophor. Wird dieses durch blaues Licht angeregt, verändert sich die Struktur des Proteins, sodass ein Tunnel durch die Membran entsteht, durch den Kationen fließen können. Die Zelle wird aktiviert.

 

Tierische Zellen produzieren diesen Ionenkanal nicht. Um diesen Lichtschalter in Zellen von Versuchstieren oder Menschen unterzubringen, müssen die Zellen transfiziert werden. Hierzu wird das für Kanalrhodopsin kodierende Gen mithilfe von viralen Vektoren in das Erbgut eingeschleust, wo­raufhin die Zellen das Protein bilden und in die Zellmem­bran einbauen. Trifft Licht der korrekten Wellenlänge auf die Zelle, sendet sie ein elektrisches Signal.

 

Genetische Postleitzahl

 

Um sicherzustellen, dass nicht alle Zellen des Zielorganismus diesen Lichtschalter exprimieren, sondern nur die Zellen von Interesse, wird dem Kanalrhodopsin-Gen ein zellspezifischer Promoter vorangestellt. 

Voraussetzung ist, dass für die gewünschte Zellart ein spezifischer Promoter bekannt ist, der nur in diesen Zellen die Expression einleitet. Auf diese Weise kann man durch Licht zum Beispiel Neuronen eines bestimmten Typs aktivieren, die die gleiche Aufgabe haben, aber im Gehirn verteilt sitzen. Problematisch ist nur, dass längst nicht alle Neuronentypen bekannt sind und vor allem nicht für alle ein spezifischer Promoter. Dass die Optogenetik funktioniert, konnte als erste Forschergruppe das Team um Professor Dr. Karl Deisseroth von der Stanford University in Kalifornien zeigen. Die Forscher ließen das Grünalgen-Gen ChR2 in kultivierten Ratten-Neuronen exprimieren und aktivierten diese dann über blaue Lichtblitze (»Nature Neuroscience« 2005, DOI: 10.1038/nn1525).

Die Aktivierung der Nervenzellen machten sie durch einen zusätzlichen Trick sichtbar: Sie koppelten das ChR2-Gen an ein Gen für das sogenannte Gelb-fluoreszierende Protein (YFP). Die Zellen exprimierten somit ein ChR2-YFP-Fusionsprotein, das bewirkte, dass durch Licht aktivierte Zellen gelb aufleuchteten. Später konnten andere Forschergruppen auch Neurone in Gehirnschnitten, in lebenden Hühnerembryonen und in frei schwimmenden Fadenwürmern der Art Caenorhabditis elegans mithilfe der Optogenetik durch Licht aktivieren.

 

Mehr Werkzeuge

 

Neben dem Kanalrhodopsin sind auch weitere lichtempfindliche Proteine bekannt und kommen in der Optogenetik als Schalter zur Anwendung, etwa der Chloridionen-Kanal Halorhodopsin aus Halobakterien (Archaeen). Dieser inaktiviert Nervenzellen, wenn er von gelbem Licht bestrahlt wird. Somit sind sowohl An- als auch Ausschalter für Nervenzellen bekannt. Beide verwendete die Arbeitsgruppe von Deisseroth in einem Experiment mit C. elegans. Seine Mitarbeiter transfizierten Motorneurone mit ChR2 und Halorhodopsin. Durch blaues Licht konnten sie anschließend starke Bewegungen auslösen, die bei gelbem Licht gehemmt wurden, wie sie 2007 im Fachjournal »Nature« berichteten (DOI: 10.1038/nature05744).

 

Seit diesen ersten Versuchen hat ein regelrechter Hype unter Neurowissenschaftlern eingesetzt. Mehr als 1000 Labore weltweit verwenden entsprechende Methoden. Sie stellen einen großen Fortschritt gegenüber bisherigen Verfahren wie der Messung der Neuronenaktivität mittels EEG oder bildgebende Verfahren dar. Auch das gezielte Aktivieren war bislang nicht möglich. Die hierfür eingesetzten Elektroden reizen Tausende von Zellen in ihrem Umfeld. Die Optogenetik eröffnet die Möglichkeit, einzelne Schaltkreise im Gehirn auf ihre Funktion zu untersuchen.

 

Am besten etabliert sind die beschriebenen Ionenkanäle als Lichtschalter für Zellen. Sie haben allerdings den Nachteil, dass sie ausschließlich das Membranpotenzial und keine anderen Zellvorgänge beeinflussen können. Um andere Funktionen zu untersuchen, braucht es daher weitere optogenetische Werkzeuge. Eine Reihe von lichtsensitiven Proteinen mit unterschiedlichen Aufgaben wurde bereits entdeckt und für die Optogenetik getestet. Schon in Untersuchungen eingesetzt werden beispielsweise Phytochrome, Cryptochrome, Licht-Sauerstoff-Spannung-Domänen (LOV-domains) und das fluoreszierende Protein Dronpa, wie es in einem Übersichtsartikel in »Nature Reviews Molecular Cell Biology« heißt (2014, DOI: 10.1038/nrm3837).

 

Häufig bewirkt die Aktivierung durch Licht eine Zusammenlagerung von zwei Proteinen, dem lichtsensitiven Molekül und einem Effektor, die dann eine Reaktion zur Folge hat. Dadurch ließen sich Zellfunktionen wie Signaltransduktion, Genexpression oder die Produktion von Proteinen steuern. Mithilfe dieser Werkzeuge ließen sich zum Beispiel Signaltransduktionswege in lebenden Zellen in Echtzeit untersuchen.

 

Therapeutische Ansätze

 

Einzelne Zellen mit einem Schalter aus- oder anschalten, bietet auch einen therapeutischen Ansatz. Beispiel Narkolepsie: In einem Tiermodell ist es Deisseroth und Kollegen bereits gelungen, bei Mäusen Neurone zu transfizieren, die für den Schlaf-Wach-Rhythmus verantwortlich sind und diese mit einem implantierten Glasfaserkabel zu reizen. Dadurch ließen sich die Tiere aus verschiedenen Schlafphasen aufwecken, schreiben die Forscher in »Nature« (2007, DOI: 10.1038/nature06310). Auch zur Behandlung von Parkinson, Schlaganfall und Epilepsie gibt es bereits erste ermutigende Ergebnisse aus Untersuchungen mit Tiermodellen.

 

Bevor diese besondere Art der Lichttherapie beim Menschen eingesetzt werden kann, müssen noch einige Hürden überwunden werden. Eine davon ist, dass Licht in Gewebe rasch absorbiert wird. Der Mensch ist anders als der Fadenwurm nicht durchsichtig. Licht der bislang eingesetzten Wellenlänge kann nur etwa einen Millimeter in Gewebe eindringen. Daher arbeiten Forscher in Versuchen mit Säugetieren bislang mit implantierten Glasfaserkabeln. Ein anderer Ansatz sind Lichtschalter, die auf Licht anderer Wellenlänge reagieren, das tiefer in Gewebe eindringen kann. Eine weitere Hürde ist, dass für optogenetische Therapien das Gehirn von Patienten mit viralen Vektoren infiziert werden muss, um den Eingriff in das Erbgut vorzunehmen. Entsprechende Verfahren sind beim Menschen noch nicht gut etabliert. Erst ein Gentherapeutikum hat es auf den europäischen Markt geschafft.

 

Am ehesten könnten optogenetische Verfahren am Auge die klinische Phase erreichen. Die Idee ist, dass bei degenerativen Erkrankungen der Netzhaut nicht lichtempfindliche Zellen der Retina mit ChR2 ausgestattet werden und somit als Photorezeptor dienen können. Die Vorteile sind, dass im Auge die Lichtquelle keine Probleme bereitet und auch kaum Immunreaktionen gegen den viralen Vektor zu erwarten sind. Untersuchungen mit Mäusen und Affen verliefen bereits erfolgreich. Mehrere Ansätze befänden sich kurz vor der klinischen Testung heißt es in einem Artikel in »Translational Vision Science & Technology« (2014, DOI: 10.1167/tvst.3.7.4). /

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