Opioid-Langzeitgabe nur selten empfohlen |
13.12.2017 08:43 Uhr |
Von Annette Mende / Bei starken Schmerzen sind Opioide ein Segen für die Patienten, doch die Kehrseite dieser Arzneistoffgruppe ist bekanntermaßen ihr Nebenwirkungsprofil. Deshalb empfiehlt die deutsche Leitlinie den Langzeiteinsatz auch nur in wenigen Indikationen. Die Realität sieht jedoch teilweise anders aus.
Zu den am meisten gefürchteten Nebenwirkungen von Opioiden gehören die Atemdepression und das Abhängigkeitspotenzial. Dass die Furcht vor einer Abhängigkeitsentwicklung beim Einsatz von Opioiden nicht unbegründet ist, zeigt die Entwicklung in den USA, wo Präsident Donald Trump aufgrund der sogenannten Opioid-Epidemie kürzlich sogar den Gesundheitsnotstand ausrief (lesen Sie dazu auch Opioid-Krise in den USA: Ein Drama mit vielen Akteuren).
Morphin, der aus dem Schlafmohn gewonnene Naturstoff, bildet die Referenz bei der Wirkstärkenberechnung der Opioide.
Foto: picture alliance/blickwinkel
Andererseits dürfen die potenten Schmerzmittel aber Patienten, die sie brauchen, auch nicht aus einer Art »Opioid-Phobie« heraus vorenthalten werden, schreiben die Autoren der Leitlinie »Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen« (LONTS). Anhand einer umfassenden Literaturauswertung kommen die Autoren zu konkreten Empfehlungen.
Demnach ist der Einsatz von Opioiden über vier bis zwölf Wochen in folgenden Indikationen möglich: chronische Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie, Postzosterneuralgie, chronische Schmerzen bei Arthrose, chronischer Rückenschmerz, chronischer Phantomschmerz, chronischer Schmerz nach Rückenmarksverletzung, chronische Schmerzen bei der Nervenerkrankung Radikulopathie und chronische Schmerzen bei rheumatoider Arthritis. »Von einer Langzeittherapie (≥ 26 Wochen) bei diesen Erkrankungen profitieren nur circa 25 Prozent der Patienten«, heißt es in der Publikation.
Zwölf goldene Regeln
Eine ausreichende Evidenz für einen Langzeiteinsatz bestehe lediglich für chronische Schmerzen bei Arthrose, diabetische Polyneuropathie, Postzosterneuralgie und chronische Rückenschmerzen. In einigen weiteren Indikationen wertet die Leitlinie den kurz- beziehungsweise langfristigen Einsatz von Opioiden als individuellen Therapieversuch.
Kontraindikationen für die Therapie sind primäre Kopfschmerzen sowie funktionelle und psychische Störungen mit dem Leitsymptom Schmerz. Generell sollen laut Leitlinie zwölf Schlüsselempfehlungen befolgt werden:
Da Opioide je nach Substanz und Applikationsweg unterschiedlich stark wirken, verwendet die Leitlinie, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen, den Begriff des oralen Morphinäquivalents (MEQ). Ein Problem ist allerdings, dass sich die im Internet verfügbaren Umrechnungstabellen hinsichtlich der angegebenen Äquivalenzdosen teilweise erheblich unterscheiden. Darauf weist die Deutsche Schmerzgesellschaft (DGSS) in einem sogenannten Praxiswerkzeug zur LONTS-Leitlinie hin.
Opioid | Faktor | empfohlene Maximaldosis |
---|---|---|
Morphin oral | Referenz | 120 mg pro Tag |
Buprenorphin transdermal | 1:75 | 70 µg pro Stunde |
Fentanyl transdermal | 1:100 | 50 µg pro Stunde |
Hydromorphon oral | 1:(5-)7,5 | 16 mg pro Tag |
Oxycodon oral | 1:2 | 60 mg pro Tag |
Tapentadol oral | 2,5:1 | 300 mg pro Tag |
Tilidin oral | 10:1 | 600 mg pro Tag* |
Tramadol oral | 10:1 | 400 mg pro Tag* |
Quelle: Deutsche Schmerzgesellschaft; *Maximaldosis gedeckelt
Sie legt darin selbst eine Umrechnungstabelle vor und bezieht sich dabei auf einen Cochrane-Review zum Opioid-Wechsel (siehe Tabelle). Alle Äquivalenzdosen seien dabei als Orientierungswerte zu verstehen, da große intraindividuelle Unterschiede hinsichtlich der Wirkung der verschiedenen Wirkstoffe bestehen. Bei einem Wechsel des Opioids solle die Therapie mit der neuen Substanz daher auch nur mit 50 bis 75 Prozent der äquivalenten Dosis begonnen werden, so die DGSS.
Häufig zu hohe Dosen
Die Obergrenze von 120 mg MEQ pro Tag wird allerdings in der Praxis nicht immer eingehalten. Das belegt eine Ende Oktober in der Online-Ausgabe des Fachjournals »Pain« erschienene retrospektive Studie (DOI: 10.1097/j.pain.0000000000001067). Die Autoren um Professor Dr. Winfried Häuser vom Klinikum Saarbrücken hatten dafür die anonymisierten Verordnungsdaten von mehr als 4 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland aus dem Jahr 2014 ausgewertet. Das Ergebnis: Insgesamt lag bei 0,8 Prozent der Teilnehmer eine LONTS vor. In 9,9 Prozent dieser Fälle wurde dabei die Dosisschwelle von 120 mg MEQ pro Tag überschritten. Bei diesen Patienten kam es häufiger zu riskanten Verordnungen, etwa in Kombination mit Tranquilizern, und Klinikeinweisungen aufgrund von Alkohol- oder Substanz-Abusus als bei Schmerzpatienten, die unter 120 mg MEQ pro Tag erhielten. /