Warum wir schlafen |
09.12.2015 09:21 Uhr |
Von Christina Hohmann-Jeddi / Im Schnitt schlafen Menschen zwischen sechs und sieben Stunden pro Nacht. Aber wozu? Diese Frage ist trotz intensiver Forschung noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt einige Hypothesen. Fest steht, dass der Schlaf vor allem für das Gehirn bedeutend ist.
Wer schläft, ist nicht bei Bewusstsein, zum Teil sind im Schlaf sogar die Muskeln paralysiert. Somit ist der Organismus im Schlaf Feinden schutzlos ausgeliefert. Trotz dieser hohen Verwundbarkeit ist der Schlaf im gesamten Tierreich vorhanden. Er muss also wichtige Funktionen erfüllen. Welche dies genau sind, ist noch nicht vollständig erforscht. Fest steht, dass der Körper Schlaf zur Erholung braucht und dass Schlafmangel auf Dauer tödlich ist. Das zeigt ein Experiment mit Ratten aus den 1980er-Jahren eindrücklich: Alle Tiere, die dauerhaft am Schlafen gehindert wurden, starben innerhalb von zwei bis drei Wochen.
Alle Tierarten schlafen, obwohl man beim Schlummern besonders schutzlos ist.
Foto: Fotolia/169169
Der Körper braucht also die Erholungsphase. Ein Erklärungsansatz ist, dass im Schlaf Energie eingespart wird. Der Energieverbrauch sinkt im Schlaf tatsächlich um etwa 10 Prozent und die Körpertemperatur nimmt ab. Ein Argument für diese Hypothese ist, dass in der Regel die Schlafdauer bei verschiedenen Tierarten umgekehrt proportional zu ihrer Körpergröße ist. So schlafen Elefanten etwa vier Stunden pro Nacht, während einige Mausarten 19 bis 20 Stunden Schlaf benötigen. Um Energie zu sparen, wäre es allerdings ausreichend, wenn der Körper bewegungslos ruhen würde. Ein Ausschalten des Bewusstseins wäre hierfür nicht nötig. Der Schlaf scheint also darüber hinaus noch weitere Funktionen zu erfüllen.
Regeneration für Geist und Körper
Der Regenerations-Hypothese zufolge ist Schlafen notwendig, um den Körper und vor allem das Gehirn zu regenerieren und zu reparieren. So werden einer Studie zufolge im Tiefschlaf die ATP-Speicher im Gehirn wieder aufgefüllt, wozu es einer Reduktion der Neuronen-Aktivität bedarf (»The Journal of Neuroscience« 2010, DOI: 10.1523/JNEUROSCI. 1423-10.2010). Zudem wird in Tiefschlafphasen das Wachstumshormon Somatropin verstärkt ausgeschüttet, das für ein normales Wachstum benötigt wird und die Zellerneuerung anregt. Es spielt auch bei der Wundheilung eine wichtige Rolle. So konnte eine Studie aus dem Jahr 2004 zeigen, dass bei Ratten Schlafentzug das Abheilen von Brandwunden verzögert (»International Journal of Neuroscience« 2004, DOI: 10.1080/00207450490509168). Andere Untersuchungen wiesen allerdings keinen Zusammenhang zwischen Schlafdauer und Wundheilungsrate nach.
Es stützt die Regenerations-Hypothese, dass eine Reihe von anabolen Steroidhormonen abhängig vom Schlaf-Wach-Rhythmus freigesetzt werden und dass die Freisetzung der katabolen Corticosteroide in der ersten Stunde des Schlafs ihren Tiefpunkt erreicht. Zudem ist der Schlaf für die Funktion des Immunsystems von hoher Bedeutung. Schlafmangel schwächt die Infektabwehr. So zeigte eine aktuelle Studie im Fachjournal »Sleep«, dass Menschen, die weniger als fünf Stunden pro Nacht schliefen, ein um das Vierfache höheres Risiko hatten, nach einer absichtlichen Infektion mit Rhinoviren zu erkranken, als Personen mit durchschnittlich mehr als sieben Stunden Nachtschlaf (DOI: 10.5665/sleep.4968). Nachweislich werden in den ersten Schlafstunden wichtige Parameter des Immunsystems wie die Zahl der undifferenzierten naiven T-Zellen und die Produktion proinflammatorischer Zytokine hochgefahren.
Die Regenerations-Hypothese besagt auch, dass der Schlaf benötigt wird, um das Gehirn zu reinigen. Diese neuen Erkenntnisse veröffentlichte ein US-amerikanisches Forscherteam 2013 im Fachjournal »Science« (DOI: 10.1126/science.1241224). Lulu Xie und ihre Kollegen von der Universität Rochester in New York berichteten, dass im Schlaf der Platz zwischen den Gehirnzellen um 60 Prozent zunimmt. In der Folge steigt der Austausch zwischen zerebrospinaler und interstitieller Flüssigkeit stark an. Das Gehirn wird quasi gespült, wobei potenziell toxische Abfallprodukte wie β-Amyloid, die während der Wachphase entstehen, abtransportiert werden. Da dieses Spülen Energie benötige, müsse das Gehirn sich zwischen Funktionieren und Aufräumen entscheiden, schreiben die Forscher.
Gehirn wird gespült
Dass tatsächlich in der Nacht β-Amyloid aus dem Liquor verschwindet, zeigten Forscher um Dr. Sharon Ooms von der Universität Nijmegen 2014 in »JAMA Neurology« (DOI: 10.1001/jamaneurol.2014.1173). Sie wiesen bei gesunden Erwachsenen nach, dass im Schlaf die β-Amyloid-Konzentration im Liquor absinkt, bei Schlafentzug fällt diese Absenkung dagegen aus, berichten die Forscher. Schlafstörungen könnten somit das Alzheimerrisiko erhöhen, vermuten die Wissenschaftler.
Diesem Studenten ist kein Vorwurf zu machen, er überträgt effizient das eben Gelernte in das Langzeitgedächtnis.
Foto: Shutterstock/g-stockstudio
Lernen im Schlaf
Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass Schlafen hilft, Erlerntes zu konsolidieren, also abzuspeichern. Schon in den 1920er-Jahren zeigten Studien, dass Gedächtnisinhalte nach einer Schlafphase besser wieder abgerufen werden können, als wenn eine Wachphase derselben Länge vor der Befragung liegt. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass in den verschiedenen Schlafphasen unterschiedliche Gedächtnisinhalte abgespeichert werden.
So scheinen das deklarative Gedächtnis, also das Langzeit-Wissensgedächtnis, vor allem von Tiefschlafphasen gefördert zu werden und das prozedurale Gedächtnis, in dem automatisierte Handlungsabläufe wie Autofahren abgespeichert sind, vor allem von REM-Phasen. Aber nicht nur Wissen und erlernte Handlungsabläufe, sondern auch emotionale Erinnerungen werden im Schlaf besser konsolidiert als in der Wachphase. Andersherum leidet das Gedächtnis, vor allem das Kurzzeit- beziehungsweise Arbeitsgedächtnis stark unter Schlafmangel. Insgesamt leiden unter Schlafentzug sowohl die kognitiven Leistungen als auch die Stimmung.
Schlaf scheint die Funktion zu haben, die Erlebnisse der Wachphase zu verarbeiten, die Informationen an die richtigen Orte zu speichern und Unnützes zu löschen. Wie genau dies funktioniert, ist noch nicht vollständig verstanden. Schlafforscher vermuten, dass die Charakteristika der verschiedenen Gehirnwellen, die in den unterschiedlichen Schlafphasen auftreten, hier eine Rolle spielen. Im Schlaf feuern Gruppen von Neuronen synchron. Diese Spannungsschwankungen können im Elektroenzephalogramm als Wellen unterschiedlicher Frequenz und Amplitude dargestellt werden.
Der Preis der Plastizität
Eine mögliche Erklärung, wie das Gehirn die Unmenge der täglich auf es einprasselnden Informationen verarbeitet, stellt die synaptische Homöostase-Hypothese dar. Dieser von Professor Dr. Giulio Tononi und Chiara Cirelli aufgestellten These zufolge werden im Wachzustand Informationen in die Struktur der Nervenzellen eingearbeitet, indem manche Synapsen verstärkt und neue Verbindungen geknüpft werden. Dies geschieht über die sogenannte Langzeitpotenzierung. Im Schlaf werden durch die Gleichschaltung von neuronalen Gruppen, die sich in den charakteristischen Gehirnwellen bemerkbar machen, die Synapsen wieder gelockert. Nur starke Verbindungen bleiben bestehen. Darüber kann Wichtiges behalten und Unwichtiges gelöscht werden.
Über diesen Mechanismus könnte die Vielzahl Synapsen, die sich im Laufe eines Tages verändert haben, im Schlaf wieder in einen Grundzustand zurückversetzt werden. Tononi und Cirelli sind überzeugt: »Schlaf ist der Preis, den das Gehirn für seine Plastizität bezahlt« (»Neuron«, 2014, DOI: 10.1016/j.neuron.2013 .12.025). Dieser Mechanismus ermögliche lebenslanges Lernen und schütze das Gedächtnis vor Überlastung.
Die Frage, warum wir schlafen, kann nicht abschließend beantwortet werden. Aber Experten gehen davon aus, dass es nicht eine, sondern mehrere Antworten hierfür gibt. /