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Rentenversicherungspflicht

Für Industrieapotheker wie für angestellte Rechtsanwälte?

09.12.2014  14:06 Uhr

Von Martin W. Wesch, Stuttgart / Angestellten Rechtsanwälten (Syndikus-Anwälten) hat das Bundes­sozialgericht (BSG) in drei Entscheidungen vom 3. April 20141 die Befreiung von der gesetz­lichen Rentenversicherungspflicht versagt. Die Befreiung sei nur selbstständig tätigen Rechtsan­wälten möglich. Diese Rechtsprechung könnte Auswirkungen auf angestellte Industrieapotheker haben. Der Verfasser hält dies jedoch nicht für wahrscheinlich, aus den nachfolgenden Gründen.

1. BSG-Urteile zu angestellten Anwälten

 

a) Der 5. Senat des BSG hat in den drei genannten Entscheidungen die Befreiungsmöglichkeit (von der Rentenver­sicherungspflicht) für Rechtsanwälte verneint, die bei einem nicht anwalt­lichen Arbeitgeber angestellt sind. Die Rechtsanwälte waren von ihren jeweiligen Rechtsanwaltskammern als Rechtsanwälte zugelassen worden. Dadurch wurden sie jeweils auch kraft gesetzlicher Verpflichtung (§ 12 Abs. 3 BRAO) obligatorisches Pflichtmitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer.2 Mit der Zulassung durch die Rechtsanwaltskammern wurden die Anwälte auf der Grundlage der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zugleich obligatorische Pflichtmitglieder der berufs­- ständischen Versorgungseinrichtung.3

 

b) Angestellte Rechtsanwälte erfüllen nach Ansicht des BSG dennoch nicht die Voraussetzungen, sie von der Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien. Die Befreiung von der Versicherungspflicht gäbe es nur für die »Beschäftigung, wegen der« sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsstän­digen Kammer seien.4 Dies sei bei Syndikus-Rechtsanwälten nicht der Fall. Wegen der Anstellung in einem Industrieunternehmen seien sie nicht zu befreien, sondern allenfalls für eine Tätigkeit, die sie selbstständig neben der Tätigkeit im Anstellungsverhältnis ausübten. Die Tätigkeit im Anstellungsverhältnis eines – nicht dem Standesrecht unterworfenen – Arbeitgebers sei keine Anwaltstätigkeit.5 Das BSG sieht den Syndikus-Anwalt einerseits als Angestellten und andererseits als Rechtsanwalt.6 Es beruft sich hinsichtlich dieser »Doppelstellung« auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH, BAG, BVerfG, EuGH und auf die Gesetzesmaterialien.7

 

2. BSG-Urteile zu Apothekern und Ärzten

 

a) Zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht von Apothekern und Ärzten gibt es eine als gefestigt anzunehmende höchstrichter­liche Rechtsprechung, besonders des 12. Senats des BSG.8 Danach sind die Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer und in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung Voraussetzungen für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht.9 Kammermitglieder sind grundsätzlich alle Apothekerinnen und Apotheker, die bestellt und approbiert sind oder eine Erlaubnis zur Ausübung des Apothekerberufs besitzen und im jeweiligen Bundesland ihren Beruf ausüben.10

 

b) Bei der Berufsausübung muss es sich um eine »berufsspezifische«11 beziehungsweise »berufsgruppenspezifische«12 Beschäftigung als Apotheker handeln. Die Berufsbezeichnung als Apotheker oder seine Person als solche ist dafür nicht entscheidend, sondern die konkret ausgeübte Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt wird.13 Bei der Berufsausübung muss die Anwendung oder Mitverwendung von pharmazeutischem oder ärztlichem Wissen der Tätigkeit ihr »Gepräge« geben.14 Apotheker in der pharmazeutischen Industrie müssen aufgrund ihrer bloßen Berufsbezeichnung oder einer Tätigkeit, die auch ein Nicht­apotheker ausüben kann, keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung bezahlen.15

 

c) Die Befreiung ist nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI allerdings auf die »jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit« beschränkt, selbst wenn ursprüngliche und nachfolgende Erwerbstätigkeiten ähnlich sein mögen.16 In § 231 Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist von »derselben« Beschäftigung die Rede. Dafür muss eine »Identität« der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit, die während der ursprünglichen Befreiung von der Versicherungspflicht verrichtet wurde – einerseits –, mit der aktuellen Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit – andererseits – vorliegen.17 Das ist zum Beispiel nicht der Fall, wenn der Betroffene zu einem anderen Arbeitgeber wechselt18 und ein anderes Arbeitsverhältnis, eine andere Beschäftigung im Raum steht,19 wenn die Zulassung aufgegeben wurde,20 oder wenn sich die Tätigkeit wesentlich ändert.21

 

d) Apotheker und Ärzte müssen nicht doppelt Rentenversicherungsbeiträge bezahlen – an die Deutsche Rentenversicherung und in das jeweilige Versorgungswerk. Der 3. Senat des BSG hat in seiner rentenversicherungsrechtlichen Rechtsprechung zu Ärzten erkannt, soweit ein ausreichender Schutz für das Alter bereits besteht, soll nach der ausdrücklichen gesetzgeberischen Intention keine zusätzliche Versicherungspflicht in der gesetz­lichen Rentenversicherung gelten.22 Eine »doppelte Altersversorgung« ist im Gesetz nicht vorgesehen.23 Demgegenüber sieht es der 5. Senat – in seiner Rechtsprechung zu angestellten Rechtsanwälten – sogar als »ständige Rechtsprechung des BSG« an, jeden versicherungsrechtlich bedeutsamen Sachverhalt selbstständig zu beurteilen, sodass es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen kann.24

 

3. Unterschiede zwischen Ärzten, Apothekern und Rechtsanwälten

 

a) Für Apotheker und Ärzte spielt es keine Rolle, ob sie abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sind (gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Diese Norm trifft zwar grundsätzlich auch auf Anwälte zu. Der Rechtsanwalt ist jedoch unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Diese Unabhängigkeit kann nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, deren sich das BSG anschließt, nur der Rechtsanwalt erfüllen, der nicht (weisungs-) abhängig, sondern selbstständig tätig ist, jedenfalls gegenüber seinem Auftraggeber. Deshalb darf der Syndikus-Anwalt in Angelegenheiten seines Arbeitgebers auch nicht vor Gericht tätig werden (§ 46 Abs. 1 BRAO). Der Rechtsanwalt darf ebenso wenig durch einen Dienstvertrag an seinen Mandanten gebunden sein.25 Apotheker und Ärzte müssen in diesem Sinne nicht »unabhängig« sein. Eine den Rechtsanwälten entsprechende berufsrechtliche Beschränkung auf ihre Unabhängigkeit und ihre selbstständige Tätigkeit gibt es bei Apothekern und Ärzten nicht.

 

b) Die Zulassung als Rechtsanwalt wird personenbezogen und unabhängig von einer bestimmten Tätigkeit für alle Betätigungen erteilt, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und als berufener und unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten verbunden sind.26 Demgegenüber ist für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bei einem Apotheker oder Arzt nicht seine Berufsbezeichnung oder seine Person als solche entscheidend, sondern seine konkret ausgeübte Tätigkeit.27 Deswegen kommt es bei Apothekern und Ärzten im Unterschied zu Rechtsanwälten weniger auf seine persönliche Stellung als vielmehr auf die konkrete Berufsausübung an. Ist diese von seinem pharmazeutischen oder medizinischen Wissen geprägt, handelt es sich um eine pharmazeutische oder ärztliche Berufsausübung. Für diese ist dann jeweils die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu er­teilen.

 

4. Ergebnis

 

Die gesetzlichen und rechtlichen Unterschiede zwischen Rechtsanwälten, Apothekern und Ärzten, insbesondere deren bei Anwälten gebotene Unabhängigkeit und die nicht personen-, sondern tätigkeitsbezogene Zulassung von Ärzten und Apothekern, schließen es aus, die Rechtsprechung des BSG zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bei Syndikus-Anwälten auf Apotheker und Ärzte zu übertragen. Dementsprechend brauchen Apotheker und Ärzte nicht zu besorgen, dass sich die gefestigte Rechtsprechung des BSG zu ihren Berufsgruppen in naher Zukunft ändern wird. /

 

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  1. BSG, Urteile vom 3. April2014 – B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R.
  2. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn.26.
  3. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn.27.
  4. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn.28 und 31.
  5. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn. 31 und 44
  6. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn. 36.
  7. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn. 36-41, 48.
  8. Vgl. zuletzt BSG, Urteile vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/11 R, B 12 R 5/10 R und B 12 R 8/10 R.
  9. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012–B 12 R 3/11 R, Rn. 34; BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 B 12 R 8/10 R, Rn. 25.
  10. Vgl. beispielsweise § 3 Abs.1 der Hauptsatzung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg.
  11. SG Gießen, Urteil vom 16. Oktober 2012 – S 19 R 435/10; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 – B 5/4 RA 80/97 R.
  12. Hessisches LSG vom 17. November 2011 – L 8 KR 77/11 B ER, Rn. 34, und vom 29. Oktober 2009 – L 8 KR 189/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. März 2011 – L 11 R 4872/09, Rn. 74 und 76.
  13. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/11 R, Rn. 18 und 34; BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 – B 5/4 RA 80/97 R; Hessisches LSG, Beschluss v. 17. November 2011 – L 8 KR 77/11 ER, Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Oktober 2010 – L 4 KR 5196/08, Rn. 24; SG Gießen, Urteil vom 16. Oktober 2012 – S 19 R 435/10.
  14. Zuletzt: SG Mainz, Urteil vom 20. Dezember 2013 – S 10 R 369/11, S. 15 Abs. 1 m. V. a. BSG, Urteil vom 10. März 2011 – B 3 KS 2/10 R, Rn. 16, m. V. a. VG Karlsruhe Urteil vom 28. Februar 2008 – 9 K 79/07, Tz. 22, m. V. a. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 1996, NJW 1997, 814 (816); LSG Hamburg, Urteil vom 25. Februar 2010 – L 1 KR 42/08 sub Ziff. 2, vorl. Abs.; VG München, Urteil vom 3. Juni 2008 – M 16 K 07.876 – und vom 24. August 2005 – M 16 K 05.1193; SG Mannheim – S 8 R 2469/04.
  15. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/ 11 R, Rn. 18, die dahingehende Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 1. März 2011 – L 11 R 4872/09 – hob das BSG auf und verwies es zur Neuverhandlung zurück; SG Mainz, Urteil vom 20. Dezember 2013 – S 10 R 369/11 – S. 12 letzter Abs.; Wesch, DAZ 2013, 3456, »Rentenversicherung«; ders. »Gesetzliche Rentenversicherungspflicht für Apotheker in der pharmazeutischen Indus­trie?« Pharm. Ind. 2012, S. 1271.
  16. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/ 11 R, Rn. 17 m. w. N.
  17. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 5/ 10 R, Rn. 20 ff.
  18. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 5/ 10 R, Rn. 23 und 37.
  19. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/ 11 R, Rn. 19 a. E.
  20. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 8/ 10 R, Rn. 19 und 20.
  21. Deutsche Rentenversicherung: »Als neu aufgenommen in diesem Sinne ist sowohl jede wesentliche Änderung im Tätigkeitsfeld bei dem bisherigen Arbeitgeber als auch jeder Arbeitgeberwechsel zu verstehen«, siehe »Geltungsbereich einer Befreiung«, Abs. 3, unter: http://www.deutsche-rentenversicherung.de/Allgemein/de/Inhalt/5_Servi ces/05_fachinformationen/01_aktuelles_aus_der_rechtsprechung/bsg_aenderun gen_im_befreiungsrecht_der_rv.html; Die Bayerische Versorgungskammer zitiert die Deutsche Rentenversicherung unter: http://www.versorgungskammer.de/portal/page/portal/bvk/bvk/bapv/index.html; so auch LAK Baden-Württemberg in der Pressemitteilung vom 23. Mai 2013 zu »Änderungen im Befreiungsrecht der Rentenversicherung«.
  22. BSG, Urt. v. 10. März 2011 – B 3 KS 2/10 R, Tz. 19.
  23. BT-Drucks 9/26 S. 18; BSG a.a.O.
  24. BSG, Urteil vom 3. April 2014 B 5 RE 13/14 R, Rn. 43 m.w.N. u. Rn. 51 f.
  25. BSG, Urteil vom 3. April 2014 B 5 RE 13/14 R, Rn. 41 mit Verweis auf EUGH, Urteil vom 14. September 2010, NJW 2010, 3557.
  26. BSG, Urteil vom 3. April 2014 B 5 RE 13/14 R, Rn. 28.
  27. Siehe oben Ziff. 3 lit. b) m.w.N.

Anschrift des Verfassers

Rechtsanwalt Dr. Martin Wesch

Fachanwalt für Medizinrecht und Arbeitsrecht

Kernerstraße 43

70182 Stuttgart

E-Mail: STR-law(at)wesch-buchenroth.com

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