Prachtvolles auf Pergament |
11.12.2012 13:52 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler, München / Aus Tierhaut besteht der gebräuchlichste Beschreibstoff des Mittelalters: Pergament. Es wurde in der Regel aus Kalbs-, Schaf- oder Ziegenhaut hergestellt und für wertvolle Handschriften verwendet. Die Münchner Ausstellung »Pracht auf Pergament« zeigt faszinierende, mehr als 1000 Jahre alte Codices.
Pergament ist ein geschmeidiges haltbares Material. Im 4. Jahrhundert n. Chr. setzte es sich endgültig als Beschreibstoff gegenüber dem spröderen Papyrus durch. Geheftete und zwischen Holzdeckel gebundene Bücher, sogenannte Codices, lösten die bis dahin gebräuchlichen Buchrollen ab. Erst im Lauf des 13. Jahrhunderts gewann Papier die Oberhand – die ursprünglich chinesische Erfindung gelangte durch Vermittlung der Araber über Spanien ins Abendland.
Evangeliar Ottos III., Vorderdeckel (Ausschnitt)
Fotos: Bayerische Staatsbibliothek, München
Für die Herstellung von Pergament werden die Tierhäute nicht – wie bei der Lederproduktion – gegerbt, sondern gekalkt. Die Handschrift »Compositiones ad tingenda musiva«, die in Italien um 800 verfasst wurde, beschreibt das Verfahren: »Lege (die Haut) in Kalkwasser und lasse sie drei Tage in ihm liegen; spanne sie dann in einem Gestell aus, schabe sie auf beiden Seiten mit einem scharfen Messer ab und lasse sie trocknen.« Pergament-Werkstätten verfahren heute noch in ähnlicher Weise. Die aktuelle Ausstellung in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung zeigt, welche Pracht Schreiber und Buchmaler vor mehr als 1000 Jahren auf Pergament zauberten. Die Besucher können 72 höchstrangige Handschriften aus der Bayerischen Staatsbibliothek sowie drei herausragende Exponate aus der Staatsbibliothek Bamberg aus der Zeit von 780 bis 1180 bestaunen. Die Exponate gehören zu den wertvollsten Zeugnissen deutscher Buchmalerei von der karolingischen über die ottonische Kunst bis zur Romanik. Sie sind so wertvoll, dass sie praktisch nie aus den Tresoren genommen werden. In zwei digitalisierten Codices können die Besucher an Monitoren selbst blättern und damit einen Eindruck gewinnen von der wissenschaftlichen Arbeit mit alten Handschriften. Eine Spielerei ist dagegen die dreidimensionale virtuelle Darstellung des Bamberger Evangeliars. Auf einem Großbildschirm kann man darin berührungslos blättern, das Buch drehen und wenden, indem man Arme und Hände vor einer Kamera hin- und herbewegt.
Der Evangelist Lukas aus dem Evangeliar Ottos III, Reichenau um 1000
Eindrucksvoll sind nicht nur die funkelnden, mit Gold, Edelsteinen und Elfenbeinreliefs verzierten Einbände, sondern vor allem die minutiös gezeichneten und luxuriös verzierten Miniaturen und Schriften. Ein Höhepunkt unter den Exponaten sind vier weltberühmte Prachtcodices von der Insel Reichenau. Das dortige Kloster wurde unter Otto III. (980 bis 1002) und Heinrich II. (973 bis 1024) zur kaiserlichen Werkstatt. Gezeigt werden das Evangeliar Ottos III., das Perikopenbuch Heinrichs II., das Evangeliar aus dem Bamberger Dom sowie die Bamberger Apokalypse. Diese Werke gehören seit 2003 zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.
Zu den besonderen Errungenschaften der ottonischen Periode – beginnend mit dem sächsischen Kaiser Otto dem Großen (912 bis 973) – gehören die großartigen Herrscherbilder, die den Kaiser machtvoll monumental zeigen. Sie dokumentieren die Heiligkeit des Kaisertums und manifestieren damit den christlichen und weltlichen Machtanspruch des Herrschers.
Tierisch ist aber nicht nur das Material, auf dem die Bücher von den Mönchen in langwieriger mühevoller Arbeit geschrieben wurden. Die Seiten des Augsburger Purpur-Evangeliars wurden sogar komplett mit Purpurrot, dem Farbstoff aus der Purpurschnecke, getränkt. /
»Pracht auf Pergament – Schätze der Buchmalerei von 780 bis 1180«. Zu sehen bis zum 13. Januar 2013 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München: www.hypo-kunsthalle.de