Pharmazeutische Zeitung online
Psychosomatik

Die Haut als Spiegel der Seele

11.12.2012  16:03 Uhr

Von Conny Becker, Berlin / Von der äußeren Erscheinung auf die Psyche eines Menschen zu schließen, ist unzulässig und diffamierend. In vielen Fällen besteht dennoch ein Zusammenhang in der Ausprägung einer Dermatose und dem inneren Befinden des Betroffenen, sodass hier nicht nur die Haut, sondern auch die Seele behandelt werden will.

In der Praxis kein ungewöhnlicher Vorfall: Ein sichtlich beunruhigter Patient mit diversen Hautläsionen bringt dem Dermatologen eine Schachtel als Erklärung für sein Leiden mit. In ihr befinden sich Hautfetzen des Betreffenden, auf denen er Erregerbestandteile vermutet, die real nicht existieren. Was für Unbeteiligte absurd klingen mag, wird im klinischen Alltag Dermatozoenwahn genannt und bringt für die Patienten einen hohen Leidensdruck mit sich.

»Die Manipulation soll vermeintliche Parasiten entfernen und führt zu Artefakten auf der Haut«, berichtete Professor Dr. Wolfgang Harth auf der Jahrestagung des Berufsverbands der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin. Er kennt derartige Fälle aus seinem Alltag in der Klinik für Dermatologie und Allergo­logie am Vivantes Klinikum Berlin-Spandau. Menschen mit dieser hautbezogenen wahnhaften Störung sind derart mit ihrem Wahn beschäftigt, dass sie sich künstlich Wunden zufügen und sich zudem teilweise selbst Reinigungsrituale mit ätzenden Flüssigkeiten verordnen oder Flohkuren, die eigentlich für Haustiere vorgesehen sind.

 

Dermatozoenwahn ist ein sehr drastisches Beispiel für die Verbindung von Psyche und Hautgesundheit, doch auch bei anderen Erkrankungen spielen Haut- und psychische Gesundheit zusammen. Mit dieser Schnittstelle beschäftigt sich die psychosomatische Dermatologie, die man laut Harth in drei Bereiche untergliedert: in Dermatosen rein psychischer Genese, in multifaktorielle Dermatosen, deren Verlauf durch psychische Faktoren beeinflusst wird, und schließlich in sekundäre psychische Störungen infolge schwerwiegender Dermatosen wie Tumoren. Zu den multifaktoriellen Dermatosen gehören Erkrankungen wie Akne, das atopische Ekzem, Psoriasis, Urtikaria und Hyperhidrose. Bei diesen gelte es, entsprechend sensible Subgruppen he­rauszufiltern, um psychisch getriggerte Krankheitsschübe zu verhindern. »Nicht jede Neurodermitis ist immer psychisch bedingt – trotz des Namens«, betonte der Mediziner.

 

Unlängst hat dies eine japanische Studie bestätigt, die den Effekt von Stress auf das atopische Ekzem untersuchte. Als äußerer Stressfaktor diente hier das Erdbeben von Kobe, woraufhin japanische Wissenschaftler 1457 bekannte Patienten mit Neurodermitis aus Regionen mit schweren, leichten oder ohne Erdbebenschäden retrospektiv untersuchten. Eine Verschlechterung berichteten 39 Prozent, 34 Prozent beziehungsweise 7 Prozent der Patienten. »Ein Drittel der Neurodermitiker ist durch psychische Faktoren beeinflussbar«, fasste der Referent die Ergebnisse zusammen und fügte hinzu: »Allerdings zeigte sich auch bei 9 Prozent eine Verbesserung durch den äußeren Stress.« Diese Untergruppe, bei der Ablenkung die Erkrankung stabilisiert, nenne man »Ruhe-Neurodermitiker«. Um den jeweiligen Neurodermitiker-Typ zu eruieren, eignen sich neben einer ausführlichen Anamnese durch den Arzt auch Patiententagebücher, in denen Stress­situationen abgefragt werden.

 

Medien-induzierte Modeerkrankungen

 

Psychosomatische Dermatosen haben dagegen einen rein psychischen Ursprung. Viele dieser Krankheitsbilder sind laut Harth auf unsere Gesellschaft sowie insbesondere die Medien zurückzuführen. Wie die Globalisierung neue Erkrankungen durch das Internet aus den USA über Großbritannien bis nach Deutschland »überträgt«, zeigt die Krankheit Morgellons, die der Referent auch als »socially transmitted disease over the internet« oder »cyberchondria« bezeichnete. Betroffene klagen über Juckreiz, Kribbeln oder Stechen sowie Abgeschlagenheit oder Konzentrationsstörungen und sind der Annahme, dass sich Fasern in ihrer Haut befänden, die sie entfernen müssten.

Juckt es schon?

Wenn von Läusen und Flöhen die Rede ist, fängt jeder unwillkürlich an sich zu kratzen. Denn Pruritus ist mental triggerbar, kann durch Suggestion oder Stress beeinflusst werden und gilt daher auch als psychosomatisch. Harth zufolge sollte der Juckreiz als das häufigste Symptom in der Dermatologie ernst genommen werden. Er komme zu 10 Prozent als somatoforme Störung ohne körperliche Ursache vor und korreliere mit dem Auftreten von Depressionen. Daher führt eine Therapie des Pruritus mit Antihistaminika allein oftmals nicht zum Erfolg, stattdessen können Antidepressiva mit histaminerger Wirkung helfen.

»Normale Hauterkrankungen blühen auf und sind in ihrer Erscheinung rundlich. Manipulierte Haut sieht anders aus«, so der Dermatologe. Mit Pinzetten oder Nadeln fügen sich auch diese Wahnpatienten selbst eher längliche Wunden zu und berufen sich bei ihrer Eigendiagnose und -therapie auf vermeintlich wissenschaftliche Untersuchungen aus dem Internet. Der Dermato­zoenwahn, der sich zunächst auf Läuse und Insekten, Würmer, Bakterien oder Pilze bezog, habe nun mit diversen Partikeln wie Kristalle, Stacheln oder Fasern ein erweitertes Spektrum erhalten.

 

Generell sind Selbstverletzungen in der Dermatologie häufig zu finden. Handelt es sich dabei um unbewusste, verdrängte Vorgänge, ist ein Arzt-Patienten-Konflikt häufig vorprogrammiert. »Mehr als 85 Prozent dieser Patienten mit Artefakten haben traumatische Erlebnisse in der Vorgeschichte«, sagte der Mediziner. Ein Beispiel sind Hautritzungen, die beim Borderline-Syndrom häufig sind und durch Fremdkörpergranulationen auch wulstige Narben hinterlassen können.

 

Sind bei einer dissoziativen Störung Psyche und Körper voneinander abgekoppelt, ist die Selbstverletzung also mit einer Amnesie versehen, darf der Patient nicht sofort mit der Diagnose konfrontiert werden. Um Affekte zu kontrollieren und suizidale Krisen zu vermeiden, müsse der Betroffene langsam an die Diagnose herangeführt werden, und er sollte die Selbstverletzungen bestenfalls selbst als solche erkennen.

Eine weitverbreitete Form der Selbstverletzung ist das sogenannte »Skin picking«, wobei Haare herausgezogen oder Pickel aufgekratzt werden. Diese Manipulationen geschehen halbbewusst, häufig in Stresssituationen, in denen die meist von einer spezifischen Dermatose Betroffenen den Impuls, die Haut zu schädigen, nicht kontrollieren können. Zu dieser Gruppe zählt auch die Trichotillomanie, bei der ein kreisförmiger Haarausfall typischerweise in drei Zonen unterteilt werden kann. »Das Muster, normal – kahl – nachwachsendes Haar, findet man bei keiner anderen Erkrankung«, erklärte der Spezialist. Die Patienten kämen wegen unklarem Haarausfall zum Dermatologen, häufig seien auch Schulkinder in bestimmten Entwicklungs- beziehungsweise Anspannungssituationen betroffen. Gemeinsam mit den Eltern sei die Erkrankung jedoch gut zu bewältigen. Auch hier können Tagebücher helfen, den Impuls wieder unter Kontrolle zu bringen.

 

Wer schön sein will

 

Eine massive Form der Haut- beziehungsweise Körpermanipulation sind Schönheitsoperationen. Studien zufolge fordern Patienten mit psychosomatischem Hintergrund häufiger entsprechende Operationen ein als psychisch Gesunde. Eine französische Untersuchung zeigte, dass die Hälfte der Personen, die sich operieren ließen, bereits einmal Psychopharmaka genommen hat. Die Entscheidung zur OP basiert häufig auf einem verminderten Selbstwertgefühl. »Bei einer körperdysmorphen Störung beschäftigen sich die Patienten übermäßig mit einem eingebildeten Mangel in ihrer äußeren Erscheinung«, erklärte der Referent. Das zentrale Problem sei hier der eklatante Unterschied in der subjektiven und objektiven Wahrnehmung etwa der Kopfbehaarung bei Männern, Altersfalten oder der Größe der weiblichen Brust. Die mit einer ästhetischen Korrektur zu imitierenden Vorbilder liefern wiederum die Medien, kritisierte der Referent.

 

Eine ähnliche Psychopathologie wie die – ebenfalls durch Medienbilder verursachte – Anorexie weist die sogenannte Tanorexie auf, eine körperdysmorphe Störung, die Harth als »das krankhafte und übertriebene Verlangen und Streben nach ständiger Hautbräune, die durch häufige Solariumbesuche erzielt werden soll« beschrieb. Das wiederholte künstliche Bräunen wird in der Forschung auch als Suchverhalten verstanden. Befragte jugendliche Amerikaner bestätigten, dass sie Schwierigkeiten hatten, damit aufzuhören, und dies umso mehr, je früher sie begonnen und je häufiger sie ein Solarium besucht hatten. Offenbar setzt das Bräunen Endorphine frei, was die Abhängigkeit – trotz aller Aufklärung – zu erklären hilft. Die Langzeitfolgen sind schließlich gut bekannt: Lichtgeschädigte Haut ist durch eine Hyperpigmentierung in Form brauner Flecken und Sommersprossen oder Lichtschwielen gekennzeichnet und kann letztlich Melanome ausbilden. /

Einteilung

Multifaktorielle Dermatosen: Hautkrankheiten, bei denen psychische Aspekte in der Entstehung oder Verarbeitung eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel Akne vulgaris, Neurodermitis, Psoriasis, Urtikaria und Hyperhidrose

Psychiatrische Hauterkrankungen: Hauterkrankungen, bei denen psychopathologische Aspekte im Vordergrund stehen; zum Beispiel somatoforme Störungen (Skin picking, Trichotillomanie, Pruritus sine materia), chronisch vorgetäuschte Störungen (Artefakt-Krankheit) oder Wahnsyndrome (Dermatozoenwahn).

Sekundäre psychische Dermatosen: Psychische Störungen aufgrund von schweren Hauterkrankungen, etwa Hauttumoren.

 

Mehr von Avoxa