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Nierenkrebs

Überlebensvorteil mit Temsirolimus

10.12.2007  16:39 Uhr

Nierenkrebs

Überlebensvorteil mit Temsirolimus

Von Brigitte M. Gensthaler, München

 

Menschen mit fortgeschrittenem Nierenzellkrebs haben eine neue Therapieoption. Mit dem mTOR-Inhibitor Temsirolimus lebten Patienten in einer Phase-III-Studie länger als unter der bisherigen Standardtherapie mit Interferon-alfa.

 

Der neue Wirkstoff leitet sich von dem makrozyklischen Lacton Rapamycin ab, das von Streptomyces hygroscopicus produziert wird. Dieser Wirkstoff wird unter dem Namen Sirolimus als Immunsuppressivum bei Patienten nach Nierentransplantation eingesetzt. Etliche Derivate wurden entwickelt, unter anderem Everolimus für die perorale Gabe und Temsirolimus für die intravenöse Applikation bei Krebspatienten. Letzteres ist ein Dihydroxyester, der in vivo langsam zum Sirolimus gespalten ist. Der neue Wirkstoff wurde bereits im März in die Behandlungsempfehlungen der European Association of Urology (EAU) aufgenommen und ist seit Mai 2007 in den USA zugelassen. Ende November erteilte die europäische Kommission die Zulassung für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms bei Patienten mit schlechter Prognose.

 

Rapamycin greift in den mTOR-Signalweg ein, der in Krebszellen oft überaktiviert ist. Das Kürzel steht für »mammalian target of rapamycin« und bezeichnet eine Kinase. Das mTOR-Protein ist maßgeblich an einem komplexen intrazellulären Signalweg beteiligt, der Gentranskription und -translation und damit Wachstum und Proliferation von Zellen reguliert sowie deren Antwort auf hypoxischen Stress mitbestimmt. Rapamycin und sein Derivat Temsirolimus binden an ein intrazelluläres Bindeprotein namens FKBP-12 und bilden einen Komplex, der dann mTOR blockiert. »Durch die mTOR-Inhibition kann es zum Wachstumsstop oder zur Apoptose von Tumorzellen kommen und die Überlebenszeit der Zelle sinkt deutlich«, berichtete Professor Dr. Wolfgang Berdel, Münster, bei einer Pressekonferenz der Firma Wyeth in München. Rapamycin-Derivate (»Rapaloge«) wirken in Krebszellen antiproliferativ und in Endothelzellen auch antiinvasiv, erklärte der Krebsspezialist.

 

Bei verschiedenen Tumorarten ist der mTOR-Signalweg gestört; diese könnten auf spezifische Inhibitoren ansprechen. Berdel nannte beispielhaft Tumoren in Prostata, Pankreas, Brust, Endometrium und Glioblastome.

 

Besser als Interferon

 

2004 zeigte eine Studie mit Temsirolimus (Torisel®) in der Zweitlinientherapie, dass dieses vor allem bei Nierenkrebspatienten mit schlechter Prognose wirksam ist, berichtete Professor Dr. Thomas Otto, Neuss. Ungünstige Risikofaktoren sind zum Beispiel Anämie, schlechter Allgemeinzustand und Metastasen in mehreren Organen.

 

Eine Phase-III-Studie mit 626 Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom und schlechter Prognose unterstrich die Wirksamkeit des Medikaments. Die Patienten erhielten entweder wöchentlich 25 mg Temsirolimus intravenös, dreimal wöchentlich drei Millionen Einheiten Interferon-alfa (Dosissteigerung bis 18 Millionen) oder eine Kombination beider Medikamente in reduzierter Dosis. Hauptzielkriterium war die Überlebenszeit. Unter Temsirolimus lebten die Patienten im Mittel 10,9 Monate, unter Interferon 7,3 und mit der Kombitherapie 8,4 Monate. Auch das progressionsfreie Überleben war signifikant länger. »Die Rolle der Immuntherapie beim Nierenkrebs wird geringer«, folgerte der Arzt.

 

Die Patienten der Temsirolimus-Gruppe gaben eine bessere Lebensqualität zu Protokoll. Dennoch sind die Begleiteffekte heftig: Zwei Drittel der Patienten hatten Grad-3/4-Nebenwirkungen, gegenüber 78 Prozent in der Interferon-Gruppe und 87 Prozent in der Kombi-Gruppe. Ausschlag, Ödeme, Stomatitis, Hyperglykämie und Hyperlipidämie waren unter Temsirolimus deutlich häufiger als unter Interferon. »Ein insulinpflichtiger Diabetes kann sehr schnell auftreten, ist bei Absetzen des Medikaments aber reversibel«, berichtete Otto. Immunsuppressive Effekte traten nach Firmenangaben nicht auf.

 

Temsirolimus ist innerhalb von 18 Monaten das dritte in Deutschland neu zugelassene spezifische Krebsmedikament. Die beiden anderen sind Sorafenib (Nexavar®) und Sunitinib (Sutent®). Anfang 2008 soll eine große Studie starten, die den mTOR-Hemmer vergleicht mit dem peroral verfügbaren Sorafenib bei Patienten, bei denen die Erstlinientherapie mit Sunitinib versagt hat, berichtete Professor Dr. Jürgen Gschwend, Ulm.

 

Eine weitere Studie prüft das neue Krebsmedikament gegen Interferon, jeweils kombiniert mit dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab (Avastin®) in der Erstlinientherapie. Primäres Zielkriterium dieser multizentrischen Studie mit mehr als 800 Nierenkrebs-Patienten ist das progressionsfreie Überleben.

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