Gut gewickelt ist halb gewonnen |
10.12.2007 16:29 Uhr |
Gut gewickelt ist halb gewonnen
Von Claudia Borchard-Tuch
Venenleiden zählen zu den großen Volkskrankheiten. Das Risiko dafür steigt mit dem Alter, meist sind die Beine betroffen. Ernsthafte Komplikationen lassen sich in vielen Fällen durch eine Kompressionstherapie verhindern oder lindern.
Rund 90 Prozent der Erwachsenen in Deutschland haben ein Venenleiden. Diese Erkenntnis stammt aus der »Bonner Venenstudie« der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie, die 3072 Teilnehmer einbezogen hat und 2003 erschienen ist.
Hauptursache ist eine familiär bedingte Bindegewebsschwäche. Diese lässt im oberflächlichen wie im tiefen Venensystem der Beine die Gefäßwände und -klappen erschlaffen, sodass Letztere nicht mehr richtig schließen. Dann staut sich Blut und weitet die Gefäße. Sichtbare Folge sind die Krampfadern des oberflächlichen Venensystems. Die veränderten Gefäße sind entzündungsanfällig und lassen Wasser und Eiweiße leicht in das umliegende Gewebe übertreten, sodass vielen Betroffenen im Laufe des Tages die Beine anschwellen. Durch die Verlangsamung des Blutstroms steigt zudem das Thromboserisiko. Die Gerinnsel können Gefäßverschlüsse auslösen und den Blutdruck im Venensystem stark erhöhen. Diese »chronisch venöse Insuffizienz« entsteht aber auch als direkte Folge von Krampfadern oder Schäden der tiefen Venen. Zu ihren Ausprägungen zählen Ödeme, Hautverfärbungen und Geschwüre wie das offene Bein (Ulcus cruris).
All diesen Komplikationen kann eine möglichst frühe Therapie vorbeugen und zudem Krampfader-Operationen einsparen. Viele Experten fordern deshalb, dass selbst Besenreiser an kleinen, oberflächlichen Venen einer ärztlichen Abklärung bedürfen. In der Regel lassen sie sich bei örtlicher Betäubung veröden. Ansonsten gilt als zentrale Behandlungsmethode von Venenkrankheiten die Kompressionstherapie. Hierbei drückt ein entsprechender Verband oder Strumpf die erweiterten Venen zusammen, sodass die Klappen besser schließen, das Blut infolgedessen leichter aus den Beinen in Richtung Rumpf strömt und Schwellungen und Aussackungen zurückgehen.
Venen Druck machen
Bei der Wirkung der Kompressionstherapie spielen zwei Arten von Drücken eine wichtige Rolle. Der Arbeitsdruck entspricht dem Widerstand, den der Verband der Ausdehnung der Muskulatur beim Bewegen des Beins entgegensetzt. Er ist also umso höher, je weniger sich das Binde- oder Strumpfmaterial dehnen lässt. Der Ruhedruck wird am liegendem Bein gemessen. Er ist umso niedriger, je weniger sich das Material dehnen lässt. Ziel der Kompressionstherapie ist es, einen möglichst hohen Arbeitsdruck bei niedrigem Ruhedruck zu erreichen. Auf diese Weise kann die Wadenmuskelpumpe in den Anspannungsphasen die Beinvenen besser auspressen und das Blut in den Entspannungsphasen frei zirkulieren. Nur so wird eine Durchblutungssituation erreicht, die ein ganztägiges Tragen von Kompressionsverbänden oder -strümpfen erträglich macht.
Den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (www.phlebology.de/leitlinien-der-dgp.html) zufolge, eignet sich Kompressionstherapie bei primären und sekundären Krampfadern, der chronisch venösen Insuffizienz und Lymph- und Beinödemen verschiedener Herkunft, zur Vorbeugung und Therapie von Geschwüren sowie zur Rückbildung von Narben. Kompressionsstrümpfe werden auch zur Nachbehandlung von und zum Schutz vor Thrombosen, etwa auf langen Flugreisen, empfohlen. Hier kann fortwährendes Sitzen ohne Bewegung zu mangelhafter Durchblutung und Thrombose führen, auch als »Economy-Class-Syndrom« bekannt. Eine 2006 im »International Journal of Epidemiology« veröffentlichte Studie unter Leitung von Professor Dr. Mike Clarke vom Cochrane Center im britischen Oxford ergab, dass Kompressionsstrümpfe das Thromboserisiko deutlich verringern.
Bei manchen Krankheiten kann eine Kompressionstherapie jedoch großen Schaden anrichten. Absolut kontraindiziert ist sie bei einer fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit mit schweren Durchblutungsstörungen, dekompensierter Herzinsuffizienz, septischer Venenentzündung und der Phlegmasia coerulea dolens, einer speziellen, plötzlich auftretenden tiefen Beinvenenthrombose.
Schief gewickelt
Kompressionsverbände dienen in erster Linie zur akuten Behandlung, da sie dem individuellen Krankheitsbild entsprechend gewickelt werden können. Unterscheiden lässt sich der Wechsel- vom Dauerverband. Ersterer wird täglich neu angelegt und in der Regel nicht über Nacht belassen. Dagegen verbleibt der Dauerverband über einen längeren Zeitraum, meist über mehrere Tage und Nächte.
Gewöhnlich kommen die wenig elastischen Kurzzugbinden zum Einsatz. Sie ermöglichen Kompressionsverbände mit einem hohen Arbeits- und niedrigem Ruhedruck, die sich zudem Veränderungen des Beinumfangs in Maßen anpassen können. Sie gelten als Mittel der Wahl zur Akutbehandlung eines Ulkus bis hin zur völligen Abheilung. Der Kompressionsverband schließt mindestens ein großes Gelenk mit ein und reicht meist von den Füßen bis knapp unter das Knie. Dabei soll er einen Druck erzeugen, der am Fuß bis hinauf zum Knöchel am größten ist und zum Knie hin kontinuierlich abnimmt. Das korrekte Anlegen eines Kompressionsverbandes ist nicht ganz einfach, kann nach verschiedenen Techniken erfolgen und lässt sich durchaus von Patienten oder Angehörigen erlernen. Unsachgemäßes Bandagieren kann Hautnekrosen und nervale Druckschäden zur Folge haben.
Strumpf ist nicht gleich Strumpf
Kompressionsstrümpfe sind sinnvoll, wenn bereits eine Entstauung erreicht ist. Denn dann entsprechen sie über einen längeren Zeitraum dem Beinumfang und können seine erneute Zunahme verhindern. Sie werden in unterschiedlicher Zusammensetzung aus Materialien wie Polyamid, Polyester, Elastan, Baumwolle oder Viskose maschinell angefertigt. Dabei gibt es zwei Verfahren: Flachgestrickte Strümpfe enthalten eine Naht, sind sehr passgenau und erzeugen eine große Kompression. In der Regel werden sie bei starken Venenleiden oder Ödemen getragen. Ansonsten kommen nahtlose, rundgestrickte Strümpfe zum Einsatz. Allerdings sind ihnen bei der Formgebung Grenzen gesetzt. Sie eignen sich nicht für Beine von geringem oder stark variierendem Umfang.
Serienkompressionsstrümpfe sind in Unterknie-, Oberknie- und Oberschenkel-Länge erhältlich, Letzteres auch als Strumpfhose. Ein Kunde kann zwischen Strümpfen mit oder ohne Zehenöffnung wählen. Manche verfügen über ein silikon-besetztes Halteband am Oberrand. Die Norm sieht für jeden Strumpftyp drei Längen und Umfänge vor. Auf diese Weise lassen sich kurze, mittlere und lange, beziehungsweise schlanke, normale und kräftige Beine versorgen. Stimmen die individuellen Beinumfangs- und -längenmaße nicht mit den vorhandenen Konfektionsgrößen überein, ist eine Maßanfertigung erforderlich.
Des Weiteren lassen sich die Kompressionsklassen I bis IV unterscheiden. Je höher die Klasse, desto stärker ist der Druck des Strumpfes. Er ist abermals im Fesselbereich bis zum Knöchel am höchsten und nimmt nach oben kontinuierlich ab. Die Kompressionsklasse I eignet sich für eine beginnende Venenschwäche. Klasse II ist für oberflächliche Krampfadern vorgesehen. Bei Schäden des tiefen oder des Verbindungs-Venensystems ist Klasse III erforderlich. Klasse IV sollte nur bei schweren Beinschwellungen eingesetzt werden. Doch gelten laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie keine starren Zuordnungen von Kompressionsklassen zu Diagnosen.
Das Anziehen eines Kompressionsstrumpfes erfordert viel Geschicklichkeit (Kasten). Das Unterziehen eines Nylonstrumpfes kann den Ablauf erleichtern. Darüber hinaus gibt es in Apotheken und Sanitätshäusern verschiedene Anziehhilfen. Dabei handelt es sich meist um Gestelle, die das Strumpfgewebe vordehnen. Die Elastizität des Strumpfes lässt mit der Zeit nach. Alle sechs Monate ist daher die Verordnung eines neuen Strumpfpaares möglich.
Das Tragen von Gummihandschuhen verhindert die Beschädigung der Strümpfe durch die Fingernägel und ermöglicht einen weitaus besseren Griff. Am besten zieht man Kompressionsstrümpfe morgens an, wenn die Beine abgeschwollen sind. Sie sollten trocken, eventuell gepudert, sein. Mit den Gummihandschuhen wird jeder Strumpf so weit hochgeschoben, dass die Ferse gut passt. Ein vorheriges Aufrollen oder Umkehren ist dabei nicht notwendig. Zuletzt wird der Strumpf gleichmäßig am Bein verteilt. Gummihandschuhe erleichtern auch das Ausziehen. Die Kompressionsstrümpfe werden am oberen Rand von außen und innen angefasst und nach unten gezogen, sodass sich die Innenseite nach außen kehrt, bis die Kehrung die Ferse erreicht hat. Dann fasst man links und rechts der Achillessehne nach und zieht den Kompressionsstrumpf vollständig aus.
Ergänzt werden sollte die Kompressionsbehandlung durch bestimmte Verhaltensregeln. So lassen sich die Wadenmuskeln durch einmal täglich Venengymnastik und regelmäßigen Sport stärken. Wann immer es möglich ist, sollte man die Beine hochlegen. Güsse mit kaltem und warmem Wasser regen die Durchblutung an. Phytopharmaka mit Auszügen aus Buchweizenkraut, Rosskastanie, Steinklee und Mäusedorn haben ganz unterschiedliche Wirkansätze: Sie regen die Durchblutung an, sind abschwellend oder lindern Entzündungen.
Maschineller Druck
Auf eine andere Art macht die apparative intermittierende Kompressionsbehandlung (AIK) den Venen Druck. Bei der AIK werden meist besondere Manschetten eingesetzt, die mehrere Kammern enthalten. Von den Füßen beginnend, füllen sich die Kammern nacheinander innerhalb weniger Minuten mit Luft, die anschließend aus allen Bereichen gleichzeitig entweicht. Nach einer individuell einstellbaren Pause, etwa ein bis zehn Sekunden, kann das Ganze noch einmal beginnen.
Auf diese Weise wird das Gewebswasser aus den Beinen gepresst. Es handelt sich hierbei um ein sehr effektives Behandlungsverfahren von langwierigen Ödemen. Die entsprechenden Geräte stehen zumeist nur in Kliniken zur Verfügung, können aber in besonders begründeten Ausnahmefällen für den Hausgebrauch geliehen oder rezeptiert werden. Bei Herzschwäche darf die Methode nicht, beziehungsweise nur mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden.