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Zytostatika-Ausschreibungen

Preis schlägt freie Apothekenwahl

02.12.2015  09:30 Uhr

Von Ev Tebroke / Das Urteil ist ein Paukenschlag: Das Bundes­sozialgericht (BSG) hat mit Blick auf die Zytostatikaversorgung das Recht auf freie Apothekenwahl zugunsten von Exklusiv­verträgen gekippt. Aus Sicht der Richter geht das Gebot der Wirtschaftlichkeit vor. Die betroffenen Apotheker bleiben nun auf teilweise sechsstelligen Kosten sitzen.

Nach einer Ausschreibung vergebene Versorgungsverträge über onkologische Rezepturen, »die zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten direkt an die Praxis geliefert werden, schließen alle anderen Apotheken von der Versorgungsberechtigung zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung aus«, teilte das Gericht mit. Damit war die Sprungrevision der AOK Hessen erfolgreich. Die genauen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

»Vernichtendes Urteil«

 

Der Präsident des Verbands der Zytostatika herstellenden Apotheker (VZA), Klaus Peterseim, nannte das Urteil vernichtend für alle betroffenen Apotheker, die nun für die Versorgung der Patienten keine Vergütung der Krankenkasse erhalten sollen. Auch der Hessische Apothekerverband (HAV) nimmt das Urteil nach eigenen Angaben mit Bedauern zur Kenntnis. Man warte nun die Urteilsbegründung ab, um diese juristisch zu bewerten, teilte der HAV mit.

 

Für das Gericht geht Wirtschaftlichkeit vor und nicht das Recht der Patienten, sich selbst auszusuchen, welche Apotheke die benötigten Rezepturen liefern soll. Die Kassen könnten Abschläge auf die ansonsten geltenden Preise nur realisieren, wenn sie im Gegenzug die Abnahme bestimmter Mengen zusagen könnten, heißt es beim BSG. Eine zumindest prinzipielle Exklusivität der Lieferbeziehungen gehöre zu den »Essentialia« eines entsprechenden Vertrags. Von dem Urteil sind mehrere Apotheken in Hessen betroffen, die trotz bestehender Selektivverträge der dort ansässigen AOK Krebspatienten versorgt hatten, ohne selbst Vertragsapotheke zu sein. Sie bekommen ihre Kosten nun nicht erstattet.

 

In erster Instanz hatte das Sozialgericht Darmstadt noch zugunsten eines hessischen Apothekers entschieden und dabei vor allem mit dem Recht auf freie Apothekenwahl argumentiert. Die Richter hatten dabei betont, das Recht auf Ausschreibungen und Versorgungsverträge impliziere kein Recht auf Exklusivität.

 

Hohe Rückzahlung

 

Die AOK fordert von dem Apotheker die Rückzahlung von bereits vergüteten Leistungen für gelieferte Zytostatika in Höhe von rund 70 500 Euro. Der Apotheker hatte betont, im Gegensatz zur Vertragsapotheke könne er die onkologischen Rezepturen in der Regel innerhalb von 30 Minuten an die Praxis liefern und somit die benötigten Zubereitungen jeweils unmittelbar herstellen. Zudem hatten die Patienten der besagten Praxis schriftlich erklärt, weiterhin von dieser Apotheke versorgt werden zu wollen. Das BSG konnte dies nicht überzeugen: Würden die Zytostatika direkt von der Vertragsapotheke an die ärztliche Praxis geliefert, hätten »die Patienten kein rechtlich geschütztes Interesse an der Wahl einer bestimmten Apotheke«.

 

Die AOK Hessen ist erwartungsgemäß zufrieden mit dem Urteil. Nun sei höchstrichterlich entschieden, dass die im Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung geregelte Möglichkeit der Selektivverträge nicht ausgehebelt werden kann, indem Apotheken, die nicht Vertragspartner sind, Sterilrezepturen herstellen, so die Kasse auf Anfrage der PZ.

 

Gleichzeitig habe das Gericht erkannt, »dass es auch möglich sein muss, bei gleichbleibender Qualität der Versorgung wirtschaftliche Hebel anzusetzen«. Schließlich wolle der Gesetzgeber dies so. Versichertenrechte würden dabei eindeutig nicht beschnitten. Die Kasse behält sich nach eigenen Angaben nun vor, jene Apotheken, die keine Lieferberechtigung besitzen, zu retaxieren. »Gleichzeitig werden wir mit diesem Urteil mit Augenmaß umgehen«, hieß es.

 

Grundsätzlich sind seit dem 1. Dezember aber wieder alle Apotheken in Hessen berechtigt, onkologische Rezepturen zu liefern. Das teilte der HAV mit. Demnach endeten besagte Exklusivverträge der AOK Hessen zum 30. November. Eine Folgeausschreibung ist nach Angaben des Verbands nicht erfolgt. /

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