Inkretine auf neuen Wegen |
06.12.2011 14:44 Uhr |
Von Sven Siebenand, Berlin / Inkretin-basierte Therapieformen bei Typ-2-Diabetes, also GLP-1-Analoga und DPP-4-Inhibitoren, haben sich seit ihrer Markteinführung vor wenigen Jahren in der Praxis bewährt. Doch ihr Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Ob neue Indikationen, neue Kombinationspartner oder neue Darreichungsformen: Nichts scheint unmöglich.
Antidiabetika, die ausschließlich den Blutzuckerspiegel senken, brauchen sehr lange, bis sie in kardiovaskulären Endpunktstudien einen Nutzen zeigen. Darauf wies Professor Dr. Robert A. Ritzel vom Städtischen Klinikum München hin. Auf der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Berlin machte der Mediziner aber für Inkretin-basierte Therapien ein Fragezeichen hinter diese Aussage. Beispielsweise gebe es für Exenatide Hinweise darauf, dass ein kardiovaskulärer Nutzen schon früher eintrete. Ritzel zufolge sind vermutlich zusätzliche Wirkmechanismen der Inkretin-basierten Therapien dafür verantwortlich. Der Mediziner nannte einige Erklärungsansätze. So würden an den Gefäßen eine verbesserte Endothelfunktion und vasorelaxierende Effekte diskutiert, am Herzen eine verbesserte myokardiale Funktion und an den Nieren eine diuretische Wirkung. »Es gibt für fast alle DPP-4-Hemmer und GLP-1-Analoga kardiovaskuläre Endpunktstudien«, sagte Ritzel. Den Ergebnissen sehe er mit Spannung entgegen. Bis dahin würden aber noch ein paar Jahre vergehen.
Da GLP-1-Analoga das Körpergewicht senken, wird derzeit Liraglutid in einer Phase-III- Studie bei Adipositas untersucht.
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An den genannten Studien nehmen insgesamt etwa 50 000 Patienten teil. Ritzel erhofft sich aus ihnen und einer Metaanalyse auch eine Antwort auf die Frage, ob das Pankreatitis-Risiko unter GLP-1-Analoga erhöht ist. GLP-1 reagiert mit dem endokrinen und dem exokrinen Pankreas. Bestimmte Zellen in den taschenartigen Ausstülpungen der exokrinen Pankreasgänge sprechen auf GLP-1 an und proliferieren, was Entzündungsreaktionen auslösen kann, so Ritzel. Das zeigten zumindest Gewebeuntersuchungen bei Bauchspeicheldrüsen von Tieren. Ob das ein Mechanismus ist, der tatsächlich beim Menschen stattfindet beziehungsweise relevant ist, sei aber nicht bewiesen.
Einsatz bei Psoriasis?
»GLP-1-Analoga haben pleiotrope Wirkungen«, infomierte Ritzel. Sie tun womöglich nicht nur dem Herzen gut, sondern zum Beispiel auch der Leber. So konnte dem Mediziner zufolge experimentell nachgewiesen werden, dass Exenatide eine Fettleber (hepatische Steatose) reduzieren konnte. Erhöhte Transaminasewerte gingen zurück oder normalisierten sich wieder. Auch einen positiven Effekt bei Psoriasis schloss Ritzel nicht aus. Natürliche Killerzellen spielen bei der Pathogenese dieser Erkrankung eine Rolle. »Der GLP-1-Rezeptor ist auch hier darstellbar.«
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Während der Einsatz bei Psoriasis noch ferne Zukunftsmusik sein dürfte, hat die Europäische Kommission im November die Zulassung des Basalinsulins Insulin detemir um die Add-on-Therapie zum GLP-1-Analogon Liraglutid erweitert. Ritzel hält die Kombination von GLP-1-Analoga mit Metformin und Insulin für klinisch sinnvoll. Exemplarisch stellte er eine Studie mit Exenatide und einem Basalinsulin vor. Demnach konnte trotz Steigerung der Insulindosis das Körpergewicht reduziert werden, wenn zusätzlich Exenatide gespritzt wurde. Zudem zeigte sich eine gute – auch postprandiale–Kontrolle der Glucosewerte, was nicht durch eine erhöhte Zahl an Hypoglykämien erkauft wurde.
Neuer Schlankmacher?
Da GLP-1-Analoga das Körpergewicht senken, ist die Frage berechtigt, ob diese Substanzen auch für Adipöse ohne Diabetes eine mögliche Therapieoption sein könnten. Genau das wird bisher sehr erfolgreich, zum Beispiel in der Phase-III-Studie Scale Maintenance mit Liraglutid, untersucht.
Was neue Darreichungsformen betrifft, gab es kürzlich bereits eine Innovation. Exenatide steht seit September auch in einer lang wirksamen Formulierung zur Verfügung. Bydureon® ist das erste Antidiabetikum, das sich Patienten nur einmal wöchentlich verabreichen müssen. Ansätze, um den Applikationszeitraum zu erweitern, sind schon in der Entwicklung. Professor Dr. Stephan Matthaei vom Diabetes-Zentrum Quakenbrück stellte auf der Tagung das sogenannte Duros Device vor. Dabei handelt es sich um eine osmotische Minipumpe, die subkutan alle drei Monate zu implantieren ist und dann eine kontinuierliche Exenatide-Gabe möglich macht. /