Unterschätzte Volkskrankheit |
22.11.2011 18:51 Uhr |
Von Annette Mende, Berlin / Patienten mit Osteoporose sind in Deutschland nicht ideal versorgt. Nach einer Fraktur erhält längst nicht jeder Betroffene Medikamente gegen den Knochenschwund. Und von denen, die behandelt werden, nimmt ein Jahr später nur noch jeder Dritte seine Arznei ein.
Daten zur Versorgungssituation von Osteoporosepatienten hat vor Kurzem das Berliner Iges-Institut vorgelegt. Im Rahmen der sogenannten Bone Evaluation Study (Best), die von den Unternehmen Amgen und Nycomed unterstützt wurde, wertete das Institut Abrechnungsdaten von mehr als 330 000 Versicherten der Techniker Krankenkasse (TK) aus. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung zeigte sich, welch großes Ausmaß die Volkskrankheit Osteoporose in Deutschland hat: 6,3 Millionen Menschen sind laut Best von Osteoporose betroffen, jährlich erkranken etwa 885 000 Menschen neu daran. Da die Häufigkeit mit steigendem Alter zunimmt, werden diese Zahlen in den kommenden Jahren vermutlich wachsen.
Vermeidbares Leid
Osteoporose erhöht bekanntlich das Risiko für Knochenbrüche. Diese zu versorgen ist eine teure Angelegenheit – vom persönlichen Leid des Patienten durch Schmerzen und Bewegungseinschränkung einmal ganz abgesehen. Das Iges-Institut hat ausgerechnet, dass die Osteoporose-spezifischen Kosten der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherung pro Jahr 4,5 Milliarden Euro ausmachen. Das entspricht etwa einem Viertel dessen, was die Versicherer jährlich für die Behandlung von Krebs ausgeben. »Dem Thema Krebs widmen wir aber locker das Hundertfache der Aufmerksamkeit, die der Osteoporose zuteil wird«, sagte Professor Dr. Bertram Häussler, Leiter des Iges-Instituts, bei der Vorstellung der Best-Studie in Berlin.
Das Ergebnis einer Knochendichtemessung gibt bei Risikopatientinnen Aufschluss über das Ausmaß der Osteoporose. In der Praxis wird diese Untersuchung aber viel zu selten durchgeführt.
Foto: dpa
Frakturprophylaxe ist also nicht nur im Sinne des Patienten, sondern auch für die Kassen lohnend. Knochenbrüchen kann man aber nur dann wirksam vorbeugen, wenn überhaupt bekannt ist, dass der Patient unter Osteoporose leidet. Vor dem Hintergrund dieser Selbstverständlichkeit überrascht ein weiteres Ergebnis der Best-Studie: Nur 9 Prozent der Patienten, die aufgrund einer Osteoporose bereits einen Knochenbruch erlitten hatten, erhielten innerhalb von 360 Tagen nach der Fraktur eine Knochendichtemessung. »Diese Form der Unterversorgung kann so nicht bleiben«, kommentierte Professor Dr. Peyman Hadji, Gynäkologe an der Uniklinik Marburg und Mitautor der Studie.
»Nach einer Wirbelkörperfraktur besteht für den Patienten ein 20-prozentiges Risiko, innerhalb eines Jahres eine weitere zu erleiden«, sagte Hadji. Das Risiko lässt sich durch Medikamente und sportliche Betätigung senken. Hadji: »Eigentlich sollte jeder Patient nach einer Fraktur medikamentös versorgt werden. Zumindest mit der Basistherapie, bestehend aus Calcium, Vitamin D und Sport.«
Sport, Calcium und Vitamin D sind die Basis jeder Osteoporose-Therapie.
Foto: Fotolia/pershing
Tatsächlich bekommt laut Best-Studie nur jeder Dritte entsprechende Präparate verordnet. Wahrscheinlich ist die Versorgung in Wirklichkeit aber besser, als es diese Zahl vermuten lässt. Denn obwohl die Calcium- und Vitamin-D-Kombi nach einer Fraktur verordnungsfähig ist, empfehlen viele Ärzte ihren Patienten, sich die Präparate auf eigene Kosten in der Apotheke oder im Supermarkt zu kaufen.
Deutliche Unterversorgung
Bei den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gegen Osteoporose, zu denen etwa Bisphosphonate, Raloxifen und Parathormon gehören, ist dagegen davon auszugehen, dass die Verordnungsdaten der Best-Studie ein reales Bild der Versorgungssituation widerspiegeln. Auch hier zeigte sich eine deutliche Unterversorgung: Nicht einmal die Hälfte der Patienten (45 Prozent) bekam nach einer Fraktur entsprechende Präparate verordnet. Als katastrophal bezeichnete Hadji, dass auch von den Patienten, die bereits fünf Frakturen erlitten hatten, nur 48 Prozent mit verschreibungspflichtigen Medikamenten versorgt wurden.
Doch selbst mit dem Start einer Pharmakotherapie ist die Frakturprophylaxe noch nicht gesichert. Denn die Therapietreue der Patienten ist schlecht, wie die Best-Studie zeigt: Darin hatten ein Jahr nach Beginn einer medikamentösen Osteoporose-Therapie zwei Drittel der Patienten die Behandlung abgebrochen. Bei den Bisphosphonaten, die den weitaus größten Anteil der verschreibungspflichtigen Antiosteoporotika ausmachen, waren es sogar drei Viertel. Besonders niedrig war die Persistenz, wenn die Bisphosphonate, deren spezielle Einnahmevorschriften von vielen Patienten als unbequem empfunden werden, täglich einzunehmen waren. Bei wöchentlichem, monatlichem und vierteljährlichem Dosierungsintervall zeigten sich nur geringfügige Unterschiede in der Persistenz.
»Wir identifizieren nicht alle Patienten, wir setzen nur bei der Hälfte Medikamente ein, und von denen nimmt nur ein Drittel nach einem Jahr die Präparate noch ein. So kann man nicht effektiv Frakturen verhindern«, zog Hadji ein ernüchterndes Fazit. /