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Arzneistoffforschung

Vorteile durch Nanomedizin

06.11.2012  14:17 Uhr

Von Conny Becker, Greifswald / Auf die Forschung in der Nanomedizin und Nanotechnologie fokussierte eine Session auf der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in Greifswald und auch in anderen Vorträgen war viel von Nano zu hören. Ein Blick auf die neuesten Entwicklungen.

Professor Dr. Claus-Michael Lehr von der Universität des Saarlandes zufolge gibt es viele hoffnungsvolle Einsatzmöglichkeiten für Arzneistoffe im Kleinstformat. So biete eine Nanoformulierung bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mehrere Vorteile gegenüber herkömmlichen Darreichungsformen von Arzneistoffen. Lehrs Untersuchungen ergaben, dass Nanopartikel mit einer Größe von etwa 100 nm im entzündeten Gewebe akkumulierten, wohingegen größere Partikel keine besondere Affinität zum krankhaften Areal aufwiesen. Aufgrund dieses sogenannten »passiven targetings«, das durch physiologische Veränderungen in der entzündeten Darmmukosa hervorgerufen wird, scheint die Nanotherapie bisherigen Behandlungsformen überlegen.

Darüber hinaus zeigten mit der antientzündlichen Substanz Rolipram beladene PLGA-Nanopartikel (PLGA sind Copolymere aus Milch- und Glycolsäure) verglichen mit Rolipram-Lösung eine höhere und länger andauernde antiinflammatorische Aktivität. Zudem konnten sie im Ratten-Modell die zentral-nervösen Nebenwirkungen reduzieren. »Man kann eine lokale Entzündung gezielt behandeln, ohne einen großen systemischen Effekt«, betonte Lehr und fügte hinzu: »Das haben wir allein über die Formulierung erreicht.«

 

Dass die Ergebnisse offenbar auch auf den Menschen übertragbar sind, lässt eine Kooperation mit der Uniklinik in Jena erkennen. Per endoskopischer Untersuchung konnten die Forscher zeigen, dass sich die (in diesem Fall fluoreszierenden, Arzneistoff-freien) PLGA-Partikel in der stark entzündeten, ulzerierten Darmmukosa anreicherten. Aktuell untersucht Lehr zudem Budesonid-beladene PLGA-Nanocarrier.

 

Als einen weiteren interessanten Kandidaten für die lokale Therapie von entzündlichen Darmerkrankungen stellte der Pharmazeut Interleukin 10 vor. Dieses antiinflammatorische Zytokin spielt Knock-out-Modellen zufolge eine zentrale Rolle in der intestinalen Immunregulation, weist aber eine kurze Halbwertszeit auf und ist schlecht systemisch bioverfügbar sowie in hohen Dosen toxisch. »Interleukin 10 ist einer der neuen Arzneistoffe, die eines innovativen Drug Delivery Systems bedürfen«, stelle Lehr fest. Sein Team packte das Zytokin in mikro- nicht nanogroße magensaftresistente Albuminpartikel und untersucht derzeit dieses Transportsystem.

 

Schließlich verfolgen die Wissenschaftler auch Ansätze für ein »aktives targeting«. Denn Studien ergaben, dass Enterozyten in der entzündeten Darmmukosa Transferrin-Rezeptoren an ihrer Oberfläche exprimieren. Koppelt man nun Antikörper, die gegen diese Rezeptoren gerichtet sind, an Nano­carrier, so werden diese spezifisch von den Zellen im Entzündungsareal aufgenommen. »Die lokale Anwendung von luminaler Seite ist hoffnungsvoll. Wir sind da dran«, berichtete Lehr.

 

Gentherapie bei Atherosklerose

 

Ein ähnlich funktionierendes Drug Delivery System stellte Professor Dr. Udo Bakowsky von der Philipps Universität Marburg vor. Seine nanoskaligen Arzneistoffträger sind ebenfalls an Antikörper gekoppelt, welche in diesem Fall gegen das Adhäsionsmolekül E-Selektin gerichtet sind. Dieses Oberflächenprotein wird von aktivierten Endothelzellen in atherosklerotischen Plaques exprimiert und fördert die Entzündung sowie die Gerinnungskaskade, was letztlich zum Gefäßverschluss führen kann.

 

Die Überexprimierung dieses und weiterer Adhäsionsmoleküle macht sich Bakowskys Forschergruppe gleich doppelt zunutze: Zum einen dienen sie als Target, um den Arzneistoff in die betreffende Zelle zu bekommen; zum anderen sind sie auch Angriffspunkt der Therapie. Denn Bakowsky schleust mit seinen Lipidformulierungen nicht irgendeinen Arzneistoff in die betreffenden Zellen ein, sondern Plasmid-DNA beziehungsweise sogenannte small interfering RNA (siRNA). Mithilfe von siRNA lässt sich die Biosynthese einzelner Genprodukte hemmen, da sie an die ihr entsprechende mRNA bindet und diese dadurch abgebaut wird. Die Menge dieser mRNA, die für ein bestimmtes Protein (hier: die Adhäsionsmoleküle) codiert, nimmt folglich gezielt ab und mit ihr die Translation in die entsprechenden Eiweiße. Soweit die Theorie – in der Praxis hat Bakowsky noch mit Scherkräften zu kämpfen, die gerade in verengten Gefäßen um das sechs- bis achtfache erhöht seien. »Da haftet kein normaler Antikörper«, konstatierte der Referent, der seine auf Bioadhäsion beruhenden Arzneistoff-Carrier daher nicht nur biologisch, sondern auch physikalisch testet.

 

Freisetzung gezielt bestimmen

 

Wie man den jeweils passenden Transporter im Nanoformat gewinnt, berichtete Junior-Professor Dr. Peter Wich von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er forscht zusammen mit Kollegen von der Univesity of California in Berkeley, USA, an Säure-abbaubaren Dextran-Partikeln, die ihre Ladung allein aufgrund geringfügiger pH-Wert-Änderungen freisetzen. Denn für die Carrier modifizierten die Wissenschaftler das Zuckerpolymer, indem sie an den Hydroxylgruppen zyklische und azyklische Acetale einfügten. Dadurch wurde das Dextran entsprechend hydrophober und es können sowohl Mikro- als auch Nanopartikel hergestellt werden – je nachdem, ob die Arzneistoffladung lipo- oder hydrophil ist, in einfacher respektive doppelter Schicht.

 

Während die Partikel im neutralen Milieu stabil sind, werden die Acetalgruppen schon bei pH 5,5 abgespalten und der Wirkstoff wird freigesetzt – das heißt etwa in schwach sauren entzündeten Arealen oder Tumorgewebe. Beim hydrolytischen Abbau entstehen im Gegensatz zu anderen häufig eingesetzten Polymeren keine sauren Metabolite, welche die eingekapselte Ladung gefährden oder zu einer Entzündung führen könnte, so der Referent. Besonders interessant an diesem Polymer ist aber die gute Regulierungsmöglichkeit: »Die Auflösungsgeschwindigkeit ist durch den Gehalt an zyklischen und azyklischen Acetalen beeinflussbar«, berichtete Wich. Je länger er das ursprüngliche Dextran behandelt, desto mehr zyklische Acetale bilden sich und desto stabiler wird der Partikel. Wird das Aldehyd-Ende des Dextrans noch mit dem Cell Penetrating Peptide modifiziert, können die Partikel auch DNA oder siRNA in die Zellen schleusen.

 

Laut Wich kann das multifunktionelle Carriersystem auch kleinste hydrophobe Substanzen wie schwerlösliche Silber-Carben-Komplexe transportieren. Entsprechend beladene Partikel waren in vitro sowohl gegen grampositive als auch -negative Bakterien wirksam und könnten möglicherweise auch als Aerosol appliziert werden, so der Ausblick in die Forschung. /

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