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Onkologie

Nutzenbewertung bei Krebstherapien

02.11.2010  17:30 Uhr

Von Liva Haensel, Berlin / Über den Gesetzentwurf zur Neuregulierung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) wird viel diskutiert. Brennpunkt dabei ist häufig die sogenannte Nutzenbewertung für neue Arzneimittel. Doch was versteht man unter Nutzen? Und: Wem nützt eigentlich was? Darüber informierte die Deutsche Krebsgesellschaft bei einer Expertendiskussion.

In der aktuellen Debatte um die Kosten-Nutzen-Bewertung muss der Begriff des Nutzens genau definiert werden. Gerade für Krebspatienten ist eine Definition wichtig, denn sie sind von einem unbegrenzten Zugang zu heilenden Therapien abhängig.

»Im Klinischen Alltag kommt es vor, dass Patienten tatsäch­lich von Therapien profitieren, obwohl sie laut Studiendaten längst austherapiert wären«, sagte Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft. Diese lud nach Berlin ein, um dort mit Experten das Thema »Was ist Nutzen in der Krebstherapie?« zu diskutieren.

 

Verschiedene Dimensionen von Nutzen

 

Professor Dr. Georg Marckmann von der Eberhard-Karls-Uni­versität Tübingen machte deutlich, dass es verschiedene Nutzendimensionen gebe. Anhand eines Rades, dessen kreisrunde Scheibe in sechs Felder aufgeteilt war, zeigte er, welche dies sind. Der Nutzenbegriff teilt sich demnach in den gesellschaftspolitischen, den ethischen, den ärztlichen, ökonomischen, medizinischen und den Individualnutzen auf. Marckmann, der das Institut für Ethik und Geschichte der Medizin leitet, stellte he­raus, dass die einzelnen Untergebiete jeweils im Kontext zueinander gesehen werden müssten.

 

Dies machte er an einem Beispiel fest: Der Patient solle, so könne man meinen, mit seinem Individualnutzen im Vorder­grund stehen. Dies widerspreche sich aber häufig mit dem medizinischen Nutzen, den Krankenkassen und auch Ärzte sowie andere Funktionsbereiche einfordern. Die Frage, welche Ziele der Mensch verfolge, in welchem Verhältnis diese Ziele zu den Zwecken anderer Gruppen stünden und welche Akteure sich ebenfalls im Kontext dazu im Nutzenrad befänden (zum Beispiel Organisationen oder Verbände), sei deshalb die wichtigste.

 

Marckmann machte die Ziele in der Onkologie anhand einer Power-Point-Präsentation deutlich. Dazu gehörten unter anderem die Rubriken »das Leben verlängern«, »Lebensqualität erhalten«, »Ausgaben begrenzen«, »Tumorwachstum verlangsamen« und »Geld verdienen«. Schnell wurde deutlich, dass sich diese Ziele teilweise widersprechen. »Es entstehen Zielkonflikte«, so Marckmann. Die Konfliktlinien verlaufen zwischen Patienten und Ärzten, Ärzten und Krankenkassen, Patienten und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) sowie zwischen weiteren Trägern.

 

Nach ethischen Gesichtslinien müsse aber vor allem der Patientennutzen im Vordergrund stehen, so Marckmann. »Für den Patienten ist von Nutzen, wenn das erstrebte Behandlungsziel erreicht ist: Ein besseres und ein längeres Leben.« Dieses Ziel könne allerdings von den anderen Nutzenträgern auch ethisch instrumentalisiert werden und würde dann zu Intransparenz führen. Daher sei »ein ehrlicher Nutzendiskurs mit der Offenlegung aller Ziele und beteiligter Akteure notwendig«, sagte Marckmann.

 

Barbara Braun von der deutschen Hirntumorhilfe unterstrich diesen Gedanken. Ihrem Verein ginge es vor allem um die Patientensicherheit und eine Therapie, die »geringe Nebenwirkungen, Teilhabe am sozialen Leben und eine mögliche Arbeitsfähigkeit« für den Patienten einschließe. Die Patienten-Vertreterin machte deutlich, dass für die Betroffenen vor allem die einfache Bewältigung ihres Alltags von Bedeutung sei. Patientensicherheit müsse immer vor Wirtschaftlichkeit gehen.

 

Hinsichtlich der Differenzen zwischen den einzelnen Nutzendefinitionen hob Professor Dr. Matthias Schrappe vom Institut für Patientensicherheit hervor, dass sich mittlerweile die Wissenschaft der Industrie angenähert habe. Bedarf und Anwendung eines Krebsmedikamentes drehten sich aber immer ums Geld. / 

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