Wenn Zittern zum Alltag gehört |
16.10.2012 15:02 Uhr |
Von Christiane Berg, Hamburg / Die Erkrankung Morbus Parkinson kann heute früher und besser diagnostiziert werden – eine Heilung ist aber nicht in Sicht. Jedoch lässt sich durch frühzeitige konsequente Behandlung die Lebensqualität der Patienten verbessern und in einigen Fällen das Voranschreiten der Krankheit verlangsamen.
»Der frühzeitige individuelle Therapiebeginn bei strategischer Nutzung aller medikamentösen Therapieoptionen direkt nach Diagnosestellung scheint den Langzeitkrankheitsverlauf des idiopathischen Parkinsonsyndroms (IPS) günstig zu beeinflussen«, sagte Privatdozentin Dr. Karla Eggert, Marburg, bei einem Symposium am Rande des Neurologenkongresses. Eggert hob hervor, das evidenzbasierte kurative und neuroprotektive IPS-Therapieansätze nach wie vor fehlen.
Besser mit als ohne Therapie
Ob L-Dopa, Dopaminagonisten, NMDA-Antagonisten oder MAO-B-Hemmer: »Die Therapie von Bradykinese, Rigor, Tremor und Non-Motor-Symptomen ist symptomatisch«, so die Ärztin. Dennoch: »Parkinson-Patienten ohne Therapie geht es deutlich schlechter als denjenigen mit Behandlung«, betonte sie.
Etwa 25 Prozent der Parkinson-Patienten zeigen einen Tremor, der typischerweise einseitig auftritt.
Foto: dPV
Als Goldstandard gelte nach wie vor L-Dopa – stets in Kombination mit einem Decarboxylase-Hemmer, so Eggert mit Verweis auf die aktuelle Leitlinie. Zwar werde die Krankheitsprogression nicht verzögert. Auch gehe die L-Dopa-Therapie mit Nebenwirkungen und hier unter anderem Dyskinesien einher. Doch steige infolge der Vermeidung krankheitsbedingter Komplikationen die Lebensqualität und -erwartung.
Bei der Medikationswahl seien altersbezogene Besonderheiten zu berücksichtigen. Beim älteren Patienten sei der Erhalt der Alltagsfunktionen unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Gefahr von Medikamenteninteraktionen und Verträglichkeitsproblemen infolge Multimorbidität bedeutend. Beim jüngeren Patienten gehe es vorrangig um den Erhalt der Berufsfähigkeit bei gleichzeitiger Vermeidung von motorischen Spätkomplikationen.
Derzeit werde bei Krankheitsbeginn > 70 Lebensjahre der Therapiebeginn mit L-Dopa, bei Krankheitsbeginn < 70 der Therapiebeginn mit Non-Ergot-Dopaminagonisten (Piribedil, Pramipexol, Ropinirol, Rotigotin) empfohlen. Bei milder Symptomatik, so Eggert, kommen erfolgreich MAO-B-Hemmer wie Selegilin und Rasagilin zum Einsatz.
Bei unzureichender Wirkung einer Dopamin-Agonisten-Monotherapie oder bei Unverträglichkeiten vor dem Erreichen ausreichend effektiver Dosen sei die frühzeitige, das heißt umgehende Kombinationstherapie mit L-Dopa angezeigt, so Eggert.
Wearing-off und Dyskinesie
Die ersten Jahre der L-Dopa-Substitution verlaufen zumeist günstig. In diesen Jahren des »Honeymoons«, so Professor Dr. Wolfgang Jost, Wiesbaden, werden die Parkinson-Symptome weitgehend unterdrückt.
Der mit dem Verlauf der Krankheit und/oder Therapie einsetzende Verlust der präsynaptischen Dopamin-Speicherfähigkeit, die Sensitivitätssteigerung von Glutamatrezeptoren an striatalen Neuronen sowie die unphysiologische pulsatile Stimulation von Dopamin-Rezeptoren kann jedoch unter anderem gleichermaßen zu Dyskinesien beziehungsweise Wearing-off, sprich End-of-dose-Akinesen durch Wirkungslücken führen. Risikofaktoren für Dyskinesien sind Lebensalter, L-Dopa-Dosis und eventuell das Körpergewicht. »Je leichter der Patient, desto stärker, je höher die L-Dopa-Dosis desto auffälliger die Symptome«, so Jost.
Als nicht-motorische Störungen, so Jost, kommen Blutdruckanstieg, Schweißausbrüche, Harndrang, Off-dose-Bradyphrenie (allgemeine Verlangsamung der Psyche und des Denkens), Depression, Panik-Attacken oder Off-Dystonien (Atemnot) zum Tragen. Verunsicherte Patienten lehnen daher die mit der Zeit bei Parkinson stets obligate L-Dopa-Therapie häufig ab (L-Dopa-Phobie). Die detaillierte Information und Beratung über die Effektivität »patienten-orientierter« Therapieansätze und Aufklärung über falsche Ängste sei unumgänglich.
Die Hinauszögerung der L-Dopa-Therapie kann zu einem späteren Auftreten der Dyskinesien führen. Daher sei die aktuelle Empfehlung, die Therapie bei Patienten unter 70 Jahre mit L-Dopa-Agonisten zu starten, gut nachvollziehbar, sagte Jost. Im mittleren Erkrankungsstadium und erwerbsfähigen Alter müsse anderenfalls die L-Dopa-Dosis so niedrig und so gut verteilt wie möglich beziehungsweise in Retardform zur Nacht eingesetzt werden.
Die individuelle Anpassung der Dosisintervalle bei unterschiedlicher Ausprägung auch der Symptome ist schwierig nicht zuletzt angesichts der kurzen Halbwertszeiten von L-Dopa, die oftmals zu Blutspiegelschwankungen führen. Hoffnungen auf eine ausreichende Glättung der Fluktuationen durch Retardpräparate haben sich nicht erfüllt. In Deutschland sind bei Vorliegen motorischer Wirkungsfluktuationen in der Kombination mit L-Dopa COMT-Hemmer (Entacapon, Tolcapon) verfügbar. Da nebenwirkungsärmer, gilt Entacapon als Mittel der Wahl. Seit Ende 2003 ist die feste Kombination von L-Dopa/Carbidopa in sieben unterschiedlichen Dosisstärken und festem Verhältnis von L-Dopa und Carbidopa von 1:4 mit jeweils 200 mg Entacapon zur Erleichterung der Medikamentengabe bei Patienten mit motorischen Wirkstofffluktuationen zugelassen. /