Pharmazeutische Zeitung online
DPhG-Jahrestagung

Von Myxobakterien und Malariamücken

16.10.2012  15:01 Uhr

Von Conny Becker und Maria Pues, Greifswald / Die pharmazeutischen Wissenschaften zeichnen sich durch ein hohes Maß an Interdisziplinarität aus. Dies bewies die Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft.

Unter dem Titel »Moleküle, Targets und Tabletten: Translationale Forschung für Arzneimittel der Zukunft« trafen sich in der vergangenen Woche rund 450 Wissenschaftler und Apotheker in Greifswald zur Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Auf dem umfangreichen Programm standen drei Plenarvorträge und 18 themenorientierte Sessionen mit je vier bis sechs Vorträgen. Daneben präsentierten 180 junge Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Projekte in einer Posterpräsentation.

Ebenfalls vorgestellt wurden in Greifswald ange­sie­delte wissenschaftliche »Leuchtturmprojekte«. Dazu zählt zum Beipiel das im November vergangenen Jahres eröffnete »Center of Drug Absorption and Transport« (C_DAT), das der Wissenschaftsrat der Bundesregierung als »Vorhaben von nationaler Bedeutung « bezeichnet hat. Zu den Zielen dieses interdisziplinären Kompetenzzentrums zählt die Aufklärung grundlegender physiologischer Vorgänge des Arzneimittelmetabolismus und -transports, um aus diesen Erkenntnissen neue Therapiekonzepte und innovative Darreichungsformen zu entwickeln.

 

»Es gibt fast nichts spannenderes als die Arzneimittelforschung«, begrüßte DPhG-Präsident Professor Dr. Dieter Steinhilber, Frankfurt am Main, die Teilnehmer. Kein anderer Bereich sei so dynamisch. Steinhilber hob nicht nur die Interdisziplinarität der pharmazeutischen Wissenschaften hervor, sondern betonte auch die Möglichkeit des wissenschaftlichen Austauschs der Wissenschaftler-Generationen während der Tagung.

 

Bereits vor Eröffnung der Jahrestagung präsentierte sich die traditionsreiche Greifswalder Pharmazie mit verschiedenen pharmaziehistorischen Vorträgen. Daneben tagte die Fachgruppe Arzneimittelkontrolle – Pharmazeutische Analytik sowie der Verband der Professoren der Pharmazeutischen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland zum Thema Pharmazie 2020 – Perspektiven in Forschung und Lehre.

 

Neue Antiinfektiva aus Myxobakterien

 

Naturstoffe liegen Professor Dr. Rolf Müller zufolge in der Arzneimittelforschung wieder im Trend. »In der Gruppe der Antiinfektiva sind mehr als 80 Prozent der eingesetzten Substanzen Naturstoffe oder Derivate von diesen«, sagte der Direktor des Helmholtz-Institutes für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS). Um neue potenzielle Wirkstoffe zu entdecken, forscht Müller in Saarbrücken vor allem an seinen »Lieblingen«, den Myxobakterien. Diese zeichnen sich durch ein sehr großes Genom und vor allem dadurch aus, dass sie eine Vielzahl an Sekundärstoffen produzieren, um konkurrierende Mikroorganismen oder Feinde abzutöten. »Es steckt viel Pharmazie in Myxobakterien – sie machen erstaunlich wirksame Substanzen«, erklärte der Wissenschaftler. Ein Beispiel ist das Spindelgift Epothilon B, das ähnlich der Taxane die Zellteilung stört. Das aus dieser Leitsubstanz entwickelte semisynthetische Derivat Ixabepilon ist bereits seit 2007 zur Chemotherapie resistenter Tumoren zugelassen. Derzeit werden laut Referent weitere zytotoxische Naturstoffe aus Myxobakterien – Disorazole und Tubulysine – in der späten Präklinik ebenfalls in der Indikation Krebs untersucht. Müller und sein Team konnten darüber hinaus auch antibakteriell, antifungal oder antiviral wirkende Sekundärstoffe in Myxobakterien ausfindig machen, welche ihrer Struktur nach häufig Polyketide oder nichtribosomale Peptide sind.

Die Suche nach neuen Substanzen kann über mehrere Wege erfolgen, so etwa über ein Aktivität-geleitetes Screening. Dabei testen die Forscher Extrakte aus den inzwischen mehr als 8000 bekannten Myxobakterienstämmen auf eine bestimmte biologische Wirksamkeit und fraktionieren die wirksamen Extrakte, bis sie die Frak­tion mit der beobachteten Aktivität isoliert haben. Auf diese Art seien vier antibakteriell wirkende Substanzen aus strukturell völlig neuen Klassen entdeckt worden, von denen zwei gegen Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und zwei gegen gramnegative Keime wirken, berichtete Müller.

 

Argyrin A könnte eine Leitsubstanz im Kampf gegen den Problemkeim Pseudomonas aeruginosa darstellen. »Der Naturstoff zeigt eine fast selektive Aktivität gegen Pseudomonaden«, erklärte Müller. Um dem Wirkungsmechanismus auf die Spur zu kommen, züchtete sein Team in Kooperation mit Professor Dr. Susanne Häussler Pseudomonaden unter Zugabe von niedrig dosierten Argyrin A solange an, bis sich Resistenzen entwickelten. Diese verfolgten sie im Erbgut der Bakterien durch Genom-Sequenzierung und ermittelten sechs Mutationen in dem Gen, das für den Elongationsfaktor G (EF-G) kodiert. Wie auch Fusidinsäure wirkt Argyrin A also offenbar, indem es mit EF-G interferiert und dadurch die bakterielle Proteinsynthese hemmt. Wie jüngste Daten nahe legen, dockt Argyrin A jedoch an einer anderen Bindungsstelle am EF-G an und zeigt somit eine neue Art der Proteinsynthesehemmung, die zu einem neuen Target gegen Pseudomonaden werden könnte.

 

Nicht aus einem Myxobakterium, aber aus einem ebenfalls gleitenden Bakterium, dem Chitinophaga sancti, stammt eine weitere viel versprechende Klasse von antibiotischen Wirkstoffen: die Elansolide. Das aus dem Bakterium isolierte Elansolid A ist ein Makrolacton. Es liegt in den zwei Atropisomeren A1 und A2 vor, wobei das Isomer A2 gegen grampositive Bakterien wirkt. Allerdings ist die Substanz wenig stabil, berichtete Müller. Daher stellte sein Team biotechnologisch 21 unterschiedliche Elansolid-Derivate her, deren Wirkstärke zwar etwas geringer, deren Stabilität aber deutlich erhöht war. »Damit ist der erste Schritt in Richtung pharmazeutischer Anwendung getan«, so der Wissenschaftler. Bleibt zu hoffen, dass dieser Fund auch die Hersteller interessiert. Denn wie vergangenes Jahr im Fachmagazin »Nature« berichtet wurde, forschen zunehmend weniger pharmazeutische Unternehmen an neuen Antibiotika, trotz des Anstiegs multiresistenter Problemkeime. Gegen diese will Müller mit seiner interdisziplinären Forschung, die genetisches Wissen mit angewandter Biologie und Chemie verbindet, weitere Wirkstoffe finden. »Wir sind fest davon überzeugt, dass die Forschung an Myxobakterien noch viele weitere Wirkstoffe hervorbringen wird.«

Mehrere hunderttausend Todesfälle weltweit gehen jedes Jahr auf das Konto von Plasmodium falciparum, den Erreger der Malaria tropica. Das Auftreten von Resistenzen gegen verfügbare Anti-Malaria-Mittel lässt den Ruf nach neuen Ansatzpunkten für Wirkstoffe dieser Indikation immer lauter werden. Als ein mögliches Target stellte Professor Dr. Conrad Kunick vom Institut für Medizinische und Pharmazeutische Chemie der Technischen Universität Braunschweig das Enzym PfGSK-3, die Glykogen-Synthase-Kinase-3 von Plasmodium falciparum vor. Dabei handelt es sich um ein Enzym, das in vergleichbarer Weise auch beim Menschen vorkommt (HsGSK-3) und dort vielfältige Aufgaben übernimmt.

 

Neuen Malariamitteln auf der Spur

 

Die Strukturen von PfGSK-3 und HsGSK-3 sind in weiten Teilen identisch. Ihre Unterschiede geben jedoch Anlass zur Hoffnung, dass sich selektive Inhibitoren der PfGSK-3 finden lassen. In ihren Untersuchungen habe seine Arbeitsgruppe am Boden der PfGSK-3-Bindetasche eine Kavität gefunden, in die ein ortho-Substituent genau hineinpasse, berichtete Kunick. Vermutlich sei diese für die selektive Hemmung an der Plasmodien-GSK verantwortlich. Diese Hypothese bedürfe allerdings weiterer Überprüfungen. In-vitro hat die gefundene selektiv wirksame Substanz ihre antiplasmotische Aktivität bewiesen. Weitere Untersuchungen wie Testungen im Tierversuch oder pharmakokinetische Untersuchungen stehen noch aus. 

 

Weitere Beiträge zur DPhG-Jahrestagung folgen in den nächsten Aus­gaben. / 

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