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DPhG-Jahrestagung

Neuen Targets und Arzneistoffen auf der Spur

15.10.2007  12:24 Uhr

DPhG-Jahrestagung

Neuen Targets und Arzneistoffen auf der Spur

Von Brigitte M. Gensthaler, Erlangen

 

Interdisziplinäre Zusammenarbeit heißt das Schlüsselwort für erfolgreiche pharmazeutische Forschung an den Hochschulen. Mit Blick auf komplexe biologische Systeme suchen Apotheker nach neuen Targets für Arzneistoffe und entwickeln Leitstrukturen für neue Pharmaka. Bei der Jahrestagung der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in Erlangen stellten sie ihre Forschung vor.

 

In der selben Woche, in der gleich zwei naturwissenschaftliche Nobelpreise an deutsche Forscher verliehen wurden, tagte die DPhG in Erlangen. Die Entscheidung des Nobel-Komitees zeige, dass die Grundlagenforschung in Deutschland nicht so schlecht ist wie sie oft dargestellt wird, stellte DPhG-Präsidentin Professor Dr. Ulrike Holzgrabe fest. Ausdrücklich bezog sie die Pharmazie in die Reihe der Fächer ein, in denen ausgezeichnete Grundlagenforschung geleistet wird. Doch die Kollegen müssten ihre Leistungen auch nach außen sichtbar machen, zum Beispiel in Förder-anträgen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

 

Mit etwa 600 Teilnehmern war die Tagung vom 10. bis 14. Oktober wieder ein Highlight im pharmazeutisch-wissenschaftlichen Jahr. Zum dritten Mal tagte die DPhG gemeinsam mit der österreichischen Schwestergesellschaft ÖPhG; zum ersten Mal war die Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) aktiv mitbeteiligt. Damit sollen die bewährte Zusammenarbeit fortgesetzt und neue wissenschaftliche Kooperationen begründet werden, sagte Holzgrabe. Auch Professoren der Pharmaceutical Society of Japan waren gekommen. Durch die Teilnahme vieler ausländischer Kollegen bot die Tagung den geeigneten Rahmen, interdisziplinäre Projekte über Fächer- und Ländergrenzen hinweg zu diskutieren. In zwölf Plenarvorträgen, etwa 60 Kurzvorträgen und auf mehr als 240 Postern stellten Apotheker ihre Arbeiten vor.

 

Heparine retten Tumorpatienten

 

Niedermolekulare Heparine (NMH) können mehr, als Blutgerinnsel zu verhindern. In Studien verlängerten sie das Leben von Tumorpatienten. Vermutlich wirken sie der Angiogenese und Metastasierung entgegen. Professor Dr. Susanne Alban, Kiel, erklärte mögliche molekulare Zusammenhänge.

 

Dass Tumorpatienten ein deutlich erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) haben, ist lange bekannt. VTE sind die zweithäufigste Todesursache bei Krebspatienten. Umgekehrt wird bei jedem zehnten Patienten mit idiopathischer VTE innerhalb eines Jahres ein Krebs entdeckt. Eine manifeste Thromboembolie verschlechtert die Prognose.

 

Tumor und Gerinnung beeinflussen sich gegenseitig, berichtete die Apothekerin. Tumorzellen setzen multiple prothrombotische Prozesse in Gang. Beispielsweise sezernieren sie Tissue factor, tumorzelleigene Prokoagulantien (»cancer procoagulants«) und Fibrinolyseregulatoren. Sie aktivieren über Mediatoren wie proinflammatorische Zytokine Endothel- und Entzündungszellen sowie Blutplättchen. Über Adhäsionsmoleküle nehmen sie Kontakt mit diesen Zellen auf. Tissue factor, Thrombin und Fibrin aus der Gerinnungskaskade greifen ihrerseits in die Angiogenese ein und stimulieren Tumorwachstum und -invasion sowie die Metastasierung.

 

NMH sind heute Mittel der Wahl zur VTE-Prophylaxe und -Therapie bei Tumorpatienten. Schon in den 1990er-Jahren zeigten Metaanalysen, dass Krebspatienten einen Überlebensvorteil hatten, wenn sie NMH anstelle von unfraktioniertem Heparin bekamen. Eine Subanalyse der CLOT-Studie ergab 2005, dass Dalteparin dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin hinsichtlich der Sterberate bei Patienten ohne Metastasen überlegen war. Der positive Effekt hielt auch nach Absetzen des NMH an.

 

Forscher suchten dann nach den Antitumor-Mechanismen der Heparine. Sicher ist, so Alban, dass diese »multivalenten Biomodulatoren« nicht zytotoxisch wirken. Sie verhindern aber die Bildung von Thrombin und Fibrin und unterbinden damit deren krebsfördernde Effekte. Zudem gibt es gerinnungsunabhängige Mechanismen. So hemmen Heparine die Angiogenese und die Metastasierung, da sie unter anderem die Anheftung von Tumorzellen und anderen Zellen, die an der Angiogenese beteiligt sind, an das Endothel und in der Folge deren Migration bremsen.

 

Außerdem steigt die Apoptoserate an. Zudem wirken Heparine antiinflammatorisch, stimulieren natürliche Killerzellen (NK-Zellen) und hemmen die Fibrin- und Plättchenablagerung um die Tumorzellen herum, was wiederum den Angriff von NK-Zellen erleichtert.

 

Auf molekularer Ebene interagieren NMH mit Selektinen. Das sind Moleküle, die die ersten Adhäsionsschritte von Zellen an das Endothel, das sogenannte »Rolling« vermitteln. Sie spielen nicht nur eine wichtige Rolle bei Entzündungen, sondern auch bei der Hämostase und Metastasierung. Tumorzellen können Liganden für P- und L-Selektine exprimieren und über diese Anker unter anderem an das Endothel binden - ein erster Schritt zur Auswanderung aus dem Blutgefäß und zur Metastasierung. In vitro können NMH das P-Selektin-vermittelte Rolling von Melanomzellen verhindern, stellte Alban eigene Ergebnisse vor. Interessant war, dass nicht alle NMH gleich wirksam waren. Im Tierversuch korrelierte der antimetastastische Effekt nach einmaliger intraperitonealer Gabe mit der P-Selektin-Antagonisierung.

 

Inzwischen liegen vier prospektive randomisierte klinische Studien vor, die den NMH-Einfluss auf das Überleben von Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren geprüft haben. Drei wurden mit Dalteparin und eine mit Nadroparin geführt; in drei Studien bekamen die Patienten prophylaktische Dosen, in einer Studie wurden therapeutische und halbtherapeutische Dosen gespritzt, berichtete Alban. Die Applikationsdauer lag zwischen sechs und 52 Wochen. Die Ergebnisse sind heterogen, aber in allen Studien profitierten die Patienten signifikant von Heparin, die eine prognostizierte Überlebenszeit von mindestens sechs Monaten hatten.

 

Eine kürzlich veröffentlichte Cochrane-Analyse und eine neue Metaanalyse bestätigten den lebensverlängernden Effekt der NMH, wobei vor allem Patienten ohne Metastasen oder mit relativ guter Prognose profitieren. Angesichts der experimentellen Daten ist dies logisch, resümierte Alban.

 

Derzeit sind noch viele Fragen offen: Welche Tumorarten und -stadien sprechen gut an, welche Dosis muss wie lange gegeben werden? Welches NMH ist am effektivsten? Diese Fragen seien angesichts des Aufkommens der Biosimilars besonders drängend, denn »NMH ist nicht gleich NMH«. Mehr Klarheit sollen die derzeit laufenden großen klinischen Studien geben.

 

Wie Naturstoffe Gefäße schützen

 

Viele hochwirksame Arzneistoffe sind Naturstoffe oder leiten sich von solchen ab. Diese durch die Evolution bereits optimierten »privilegierten Strukturen« bieten eine Fundgrube an neuen Leitstrukturen für innovative Arzneistoffe, zeigte Professor Dr. Verena Dirsch, Leiterin des Departments für Pharmakognosie der Universität Wien. Ihre Arbeitsgruppe hat sich auf das Thema Gefäßschutz spezialisiert und erforscht Naturstoffe, die das Wachstum und die Migration glatter Gefäßmuskelzellen (VSMC: vascular smooth muscle cells) beeinflussen.

 

Diese Zellen sind wesentlicher Bestandteil der Media der Gefäßwand. Bei Dauerstress im Gefäß stoßen die Endothelzellen eine Reaktionskaskade an, in deren Verlauf unter anderem die VSMC aktiviert werden. Sie wandern in die Intima ein und proliferieren (Neo-Intima-Bildung). Diese Prozesse tragen wesentlich zur Plaquebildung im Rahmen einer Atherosklerose bei. Die Plaques verengen das Gefäßlumen. Thrombotische Ereignisse infolge eines Plaquebruchs können das Gefäß verschließen: Ein Herzinfarkt droht. Bei der mechanischen Aufdehnung der Engstelle mittels Ballondilatation kann es erneut zu Verletzungen kommen, die wiederum die glatten Muskelzellen zur Proliferation anregen. Es droht eine Restenose.

 

Ziel von Dirschs Arbeitsgruppe war es, Naturstoffe zu finden, die die Aktivierung von VSMC hemmen, und die entsprechenden molekularen Wirkmechanismen aufzuklären. Dazu wurden drei Modelle mit VSMC-Isolaten aus Rattenaorta entwickelt, erklärte die Apothekerin. Durch Zugabe von PDGF (platelet-derived growth factor) konnten die Forscher die Zellen zur Proliferation und Migration anregen. Die in vivo ebenfalls beobachtete Hypertrophie der Media-Zellen wurde durch Zugabe des proatherosklerotischen Faktors Angiotensin-II (Ang-II) in vitro angeregt.

 

Unter anderem testeten die Forscher das Phytoalexin Resveratrol. Dieser Stoff wird von Pflanzen unter Stress gebildet und hat vielfältige biologische Wirkungen. Im Hypertrophie-Modell blockierte Resveratrol dosisabhängig die durch Ang-II vermittelte vermehrte Proteinbiosynthese. Der Naturstoff greift aber nicht am Angiotensin-Rezeptor an, der sein Signal letztlich über eine Aktivierung des EGF-Rezeptors intrazellulär weitergibt. Er blockiert vielmehr die Interaktion zwischen dem EGF-R und einer P13-Kinase und unterbricht damit die Signalweiterleitung.

 

Auch das eigentliche Zielmolekül konnte Dirschs Gruppe identifizieren: Resveratrol aktiviert die Phosphatase Shp-2. Diese zählt zur Gruppe der Proteintyrosinphosphatasen, die gerade als Zielstrukturen für die Arzneistoffentwicklung interessant werden.

 

Ein weiterer Naturstoff, der seit Ende der 1990-er Jahre in der westlichen Welt intensiv beforscht wird, stammt aus einer Drogenmischung der Traditionellen Chinesischen Medizin, die dort zur Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie eingesetzt wird. Indirubin, ein rotes Isomeres zum Naturstoff Indigo, hemmt bestimmte Cyclin-abhängige Kinasen (CDK), die den Zellzyklus antreiben. Nachgewiesen ist ferner, dass das Molekül antitumorale Aktivität hat und die TNF-α-induzierte NFkB-Aktivierung und Entzündungen hemmt.

 

In den VSMC-Modellen blockierte ein Indirubin-Derivat die PDGF-vermittelten Effekte. Wie, ist auf molekularer Ebene noch nicht im Detail klar. Sicher ist laut Dirsch, dass der Naturstoff nicht an den üblicherweise beteiligten Kinasen ansetzt. Vermutlich greift er in eine Signalkaskade ein, die vom PDGF-Rezeptor sowie Zytokin-Rezeptoren ausgeht und Signale in den Zellkern leitet.

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