Orphan Drug erhält Auszeichnung |
12.10.2010 15:36 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler und Sven Siebenand / Der Gewinner des PZ-Innovationspreises 2010 ist Mifamurtid (Mepact®, Takeda Pharma). Damit ging die Auszeichnung erstmalig an ein Orphan Drug. Anlässlich des Deutschen Apothekertages übergab Arzneistoffexperte Professor Dr. Hartmut Morck den Preis.
Aus insgesamt 22 neuen Arzneistoffen, die zwischen dem 1. Juli 2009 und dem 30. Juni 2010 in Deutschland auf den Markt kamen, wählte die siebenköpfige unabhängige Jury Mifamurtid aus. Morck nannte die Gründe, die dafür ausschlaggebend waren: »Die Substanz überzeugte, weil mit dem Immunmodulator erstmals seit mehr als 20 Jahren ein neues Medikament zur Behandlung des Osteosarkoms bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf den deutschen Markt gekommen ist.« Die Zusatztherapie mit Mifamurtid, einem synthetischen Derivat des Muramyldipeptids, senkte in einer Studie das relative Sterberisiko um knapp 30 Prozent und damit statistisch hoch signifikant.
Professor Dr. Hartmut Morck (links) überreichte den PZ-Innovationspreis an Konstantin von Alvensleben, Geschäftsführer von Takeda Pharma.
Foto: PZ/Müller
Mifamurtid ist indiziert zur Behandlung von hoch malignen, nicht metastasierten Osteosarkomen bei Kindern ab zwei Jahren, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es wird zusammen mit anderen Chemotherapeutika eingesetzt, nachdem der Knochentumor operativ entfernt wurde.
»Wir sind sehr stolz auf diese Auszeichnung und sehen sie als Würdigung unseres Engagements im Bereich Onkologie«, sagte Konstantin von Alvensleben, Geschäftsführer bei Takeda Pharma. Auch zukünftig wolle das Unternehmen verstärkt auf diesem Gebiet forschen. Von Alvensleben hofft, dass die Ärzte den Wert dieses Mittels erkennen werden.
Das hat Professor Dr. Stefan Burdach von der Kinderklinik München-Schwabing bereits getan. Er gratulierte dem Unternehmen zur Auszeichnung. Ausdrücklich begrüßte er, dass das Mittel speziell für Kinder und junge Erwachsene entwickelt worden ist. »Auch im Kindesalter spielen Krebserkrankungen eine wichtige Rolle«, so Burdach. Vier von fünf Betroffenen könnten heute geheilt werden. Heute habe einer von 250 Erwachsenen im Alter bis 45 Jahre eine Krebserkrankung in der Kindheit durchgemacht.
Das Osteosarkom ist eine hoch maligne Tumorart, an der in der EU pro Jahr etwa 1200 junge Menschen erkranken. Es ist der häufigste bösartige Knochentumor im Kindes- und Jugendalter. Osteosarkome können sich in jedem Knochen manifestieren. Die häufigsten Symptome sind zunächst zunehmende, oft als belastungsabhängig empfundene Schmerzen in der betroffenen Region. Meist wird eine lokale Schwellung erst später bemerkt, manchmal klagen die Patienten auch über eine Bewegungseinschränkung im benachbarten Gelenk. Bei einigen ist sogar eine pathologische Fraktur das erste Symptom. »Unbehandelt führt die Erkrankung immer zum Tod«, so Burdach. Osteosarkome entstehen in der Regel aus Osteoblasten. Deswegen sind Kinder und Jugendliche in der Wachstumsphase am häufigsten von der Krankheit betroffen. »Der Erkrankungsgipfel liegt in der Pubertät«, informierte Burdach. Die Überlebensrate für Kinder mit Osteosarkom tendiert seit Mitte der 1980er-Jahre unverändert um 60 bis 65 Prozent. »Auch die Kombination mehrerer Zytostatika konnte keinen wesentlichen Fortschritt bringen«, so Burdach. Die Standardbehandlung war bislang eine Tumorresektion in Kombination mit einer Chemotherapie vor und nach dem chirurgischen Eingriff, welcher mit einer Amputation verbunden sein kann.
Mifamurtid ist ein vollsynthetisches Analogon von Muramyldipeptid; dies ist der kleinste, natürlich vorkommende immunstimulierende Bestandteil der Zellwand von Mykobakterien-Arten. Es wirkt ähnlich immunstimulierend wie das natürliche Muramyldipeptid, hat jedoch eine längere Halbwertszeit. Das Arzneimittel enthält eine liposomale Zubereitung, die nach intravenöser Infusion gezielt von Makrophagen aufgenommen wird. Nach Abbau zu Muramyldipeptid und Bindung an bestimmte Rezeptoren werden Zytokine ausgeschüttet. Folge davon ist der gezielte Angriff auf Mikrometastasen. »Mifamurtid akkumuliert vor allem in der Lunge«, nannte Burdach einen wichtigen Vorteil des Wirkstoffes. Denn die Mikrometastasen in der Lunge sind die hauptsächliche Lokalisation bei der Krankheitsprogression und die primäre Todesursache bei Osteosarkom. »Eine Immuntherapie von Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen hat angesichts der hohen Überlebensrate ein erhebliches Potenzial, da von ihr eine Reduktion der Langzeitfolgen bisher etablierter Therapien erwartet werden kann«, so Burdach in seinem Statement.
Die empfohlene Dosis beträgt für alle Patientengruppen 2 mg/m2 Körperoberfläche. Die Infusion wird zwölf Wochen lang zweimal wöchentlich und anschließend 24 Wochen lang einmal wöchentlich verabreicht. Dabei wird der Arzneistoff langsam über den Zeitraum von einer Stunde infundiert. Mifamurtid darf weder gleichzeitig mit Ciclosporin oder anderen Calcineurin-Hemmern noch mit hoch dosierten, nicht steroidalen Antirheumatika angewendet werden. Auch eine gleichzeitige längere Behandlung mit Corticosteroiden sollten die Ärzte vermeiden.
An der Zulassungsstudie für Mifamurtid nahmen 662 Patienten teil. Nach chirurgischer Entfernung des Tumors erhielten diese entweder Mifamurtid zusätzlich zu einer adjuvanten Chemotherapie mit drei oder vier Wirkstoffen (Doxorubicin/Cisplatin/Methotrexat mit oder ohne Ifosfamid) oder die alleinige Chemotherapie. Hauptindikator für die Wirksamkeit war die Zahl der Patienten, die überlebten, ohne dass die Krankheit wieder auftrat. Die Menschen wurden bis zu zehn Jahre lang nachbeobachtet. Die Zusatztherapie mit dem Immunmodulator Mifamurtid erhöhte die Gesamtüberlebensrate von 61 auf 68 Prozent der Patienten. Das relative Sterberisiko sank um 28 Prozent. /
Mifamurtid ist ein würdiger Preisträger. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es sich um ein Orphan Drug handelt. Trotz des Anreizsystems in der EU-Gesetzgebung lebt die Entwicklung von Arzneimitteln für seltene Erkrankungen stark vom medizinischen Engagement und der gesundheitspolitischen Verantwortung der Pharmaunternehmen, die wie der Preisträger Takeda Pharma ein Orphan Drug zur Marktreife entwickeln. Trotz der Tatsache, dass es noch genügend andere stiefmütterlich behandelte seltene Krankheiten gibt, schrecken viele andere Firmen davor zurück. Denn das unternehmerische Risiko tragen vor allem die Pharmafirmen. Zudem benötigen sie häufig einen langen Atem. So war bereits seit Ende der 1980er-Jahre aus präklinischen Studien eine Wirksamkeit von Mifamurtid beim Osteosarkom bekannt. Es brauchte aber 20 Jahre, bis das Mittel auf den Markt kam. Obwohl die durchschnittlichen Therapiekosten für die Behandlung mit Mifamurtid bei 140 000 Euro liegen, kann es auf Dauer gesehen trotzdem einen volkswirtschaftlichen Nutzen geben. Denn von dem Mittel kann man eine Reduktion der zum Teil schweren Langzeitfolgen bisher etablierter Therapien erwarten, was wieder Kosten spart.
Sven Siebenand
Stellvertretender Chefredakteur