Kassenbeitrag könnte sinken |
12.10.2010 17:28 Uhr |
Von Stephanie Schersch, Berlin / Die Grünen kritisieren die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik und werben für ihre Bürgerversicherung. Ein Gutachten rechnet die finanziellen Auswirkungen dieses Modells auf die Krankenversicherung vor.
Renate Künast nannte das Thema Gesundheit einen »Gradmesser für soziale Gerechtigkeit«. Schwarz-gelb komme bei einer solchen Betrachtung ganz schlecht weg, sagte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin. »Union und FDP planen eine Reform auf dem Rücken der Versicherten.« Steigende Kosten in der GKV würden künftig einseitig auf das Konto der Arbeitnehmer gehen. Auch den geplanten Sozialausgleich aus Steuern sieht Künast skeptisch. »Wie soll denn ein solcher Ausgleich funktionieren, wenn Bund und Länder vor leeren Kassen stehen?«
Berechnungen zufolge könnte der Kassenbeitrag um 1,6 Prozentpunkte fallen, wenn eine Bürgerversicherung nach den Plänen der Grünen eingeführt würde.
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Stattdessen warb sie für das von den Grünen vorgelegte Konzept einer Bürgerversicherung. Mit diesem Modell ließe sich der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung um mindestens 1,6 Prozentpunkte senken. Das ist das Ergebnis von Berechnungen, die Professor Dr. Heinz Rothang vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen für die Grünen-Bundestagsfraktion in einem Gutachten zusammengefasst hat. Rothang sieht auf weite Teile der Versicherten Entlastungen zukommen. Einige Gutverdiener müssten hingegen mehr zahlen als bisher.
Die Pläne der Grünen sehen vor, dass alle, auch die bislang Privatversicherten, in eine Bürgerversicherung aufgenommen werden. Private Krankenversicherungen bleiben bestehen, sie sollen jedoch ebenfalls die festgelegten Leistungen der Bürgerversicherung anbieten und sich so dem Wettbewerb mit den gesetzlichen Kassen stellen. Weitere Leistungen können über private Zusatzversicherungen vereinbart werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen wieder den gleichen Beitragsanteil zahlen. Außerdem wollen die Grünen neben Löhnen und Gehältern auch andere Einkommensarten in die Finanzierung einbeziehen. Die Beitragsbemessungsgrenze wird heraufgesetzt oder ganz aufgehoben, eine beitragsfreie Mitversicherung soll es nur noch für Kinder geben und für Lebenspartner, die Kinder erziehen oder Pflegeleistungen erbringen. Für alle anderen bisher beitragsfrei Mitversicherten wird ein Beitragssplitting eingeführt.
Ärzte haben Verluste
Dem Gutachten zufolge profitieren bei Einführung einer Bürgerversicherung nicht nur die Versicherten. Auch die Arbeitgeber würden um mehrere Milliarden Euro entlastet, obwohl die paritätische Finanzierung wieder eingeführt werden soll. Der Grund: Auch sie gewinnen durch die Reduktion des allgemeinen Beitragssatzes. Der Staat als Arbeitgeber spart rund 3,5 Milliarden Euro, wenn Beamte in die Bürgerversicherung eintreten und die bislang gewährte Beihilfe in einen regulären Arbeitgeberbeitrag überführt wird.
Die große Einsparwirkung der Bürgerversicherung ist laut Rothang im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen. So sollen ärztliche Leistungen für Privatversicherte in der Bürgerversicherung nach GKV-Tarifen abgerechnet werden. »Damit würden rund 3,6 Milliarden Euro gespart«, sagte Rothang. Außerdem entfallen bei Einbeziehung der Privatversicherten die Beiträge, die in der PKV derzeit für die Altersrückstellungen gezahlt werden. Da in der Bürgerversicherung derartige Rückstellungen nicht vorgesehen sind, muss dieser Aufwand nicht finanziert werden. Das soll 8,7 Milliarden Euro sparen.
Bemessungsgrenze gibt Ausschlag
Insgesamt hat Rothang gemeinsam mit Kollegen die Auswirkungen sieben verschiedener Varianten der Bürgerversicherung durchgerechnet. Sehr unterschiedliche Effekte ergaben sich etwa je nach Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. Würde sie deutlich angehoben, profitierten untere und mittlere Einkommen. Gutverdiener müssten hingegen im Extremfall mehrere Hundert Euro im Monat mehr bezahlen.
Als Grundlage der Berechnungen wurden volkswirtschaftliche Daten aus dem Jahr 2007 herangezogen, neuere Daten lagen nicht vor. Die Berechnungen haben sich dabei ausschließlich mit den finanziellen Folgen einer Bürgerversicherung und der Umverteilung zwischen Gut- und Geringverdienern beschäftigt. Praktische Fragen zur Umsetzung und rechtliche Aspekte wurden nicht berücksichtigt. /