Licht und Schatten für die Branche |
05.10.2016 09:02 Uhr |
Von Christina Müller, Berlin / Viele Regelungen im geplanten Pharmagesetz kommen den Arzneimittelherstellern entgegen. An der Verlängerung des Preismoratoriums wollen die Gesundheitspolitiker jedoch festhalten. Auf europäischer Ebene scheint eine Katastrophe für die Hersteller stofflicher Medizinprodukte abgewendet. Dennoch drohen Einschnitte.
Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, verteidigte auf der Mitgliederversammlung des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) die Ergebnisse des Pharmadialogs und den daran anknüpfenden Entwurf des Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetzes (AM-VSG) gegen die aktuelle Kritik. Die »einseitige Fokussierung auf die Finanzierbarkeit von Arzneimitteln« in der öffentlichen Diskussion ist aus seiner Sicht nicht gerechtfertigt.
Galt fast als Hochrisiko-Produkt: Meerwasser-Nasensprays.
Foto: Fotolia/Dan Race
»Es ist wichtig, dass Deutschland eine der führenden Apotheken der Welt bleibt«, mahnte Stroppe. Daher sei es angebracht, das Spannungsverhältnis zwischen Innovationen und Finanzierbarkeit durch die Solidargemeinschaft noch einmal in den Blick zu nehmen. Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) habe zwar grundsätzlich zu einem guten System geführt. An einigen Stellen müsse man jedoch nachbessern. So sollten etwa Arzneimittel gegen chronische Krankheiten im AMNOG-Prozess besser gestellt werden als bisher.
Neben Anreizen für die Forschung an neuen Wirkstoffen sieht der Gesetzentwurf eine Verlängerung des Preismoratoriums bis 2022 vor – ab 2018 unter Berücksichtigung eines Inflationsausgleichs. Dieses Vorhaben sorgte für reichlich Gesprächsstoff. Philipp Huwe von AbbVie Deutschland kritisierte die finanzielle Mehrfachbelastung für die pharmazeutische Industrie. Über Festbeträge und Zwangsrabatte leisteten die Hersteller bereits ihren Beitrag zur Preisregulation für Medikamente. Auf der anderen Seite stünden Mehrausgaben etwa durch steigende Personal- und Energiekosten sowie Investitionen zur Umsetzung der europäischen Fälschungsschutzrichtlinie. »Auf diesen Kosten bleiben die Unternehmen sitzen«, sagte Huwe.
Regulierung der Preise
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, sieht derzeit keine andere Möglichkeit, die Arzneimittelkosten zu begrenzen. Anders als etwa in den USA hätten in Deutschland die meisten Menschen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Das erfordere jedoch eine Regulierung der Preise. »Daher werden wir – wie schon 2013 – auch künftig für die Beibehaltung des Preismoratoriums stimmen.« Schützenhilfe erhielt sie in diesem Punkt von Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel im Gemeinsamen Bundesausschuss. Mit Blick auf das hohe Preisniveau für patentgeschützte Arzneimittel sei das Preismoratorium notwendig, um den Patienten hierzulande den Zugang zu innovativen Medikamenten weiterhin zu ermöglichen, so Müller.
Auch der Plan, Ärzten die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung künftig in der Praxissoftware zugänglich zu machen, ist umstritten. Eine Beteiligung der Pharmaindustrie an der Entwicklung eines solchen Instruments lehnen die Mediziner ab. Zudem fürchten sie um ihre Therapiefreiheit.
Schulz-Asche forderte nachdrücklich, den Transfer der Informationen aus der frühen Nutzenbewertung in die Praxen voranzutreiben. Ein Ampelkonzept, wie zuletzt etwa von der Techniker Krankenkasse vorgeschlagen, hält sie jedoch für zu einfach. »Damit würde suggeriert, dass ein hochpreisiges Medikament für den individuellen Patienten nicht geeignet ist.« Dies sei für den Arzt irreführend. CDU-Politiker Michael Hennrich setzt trotz aller Kritik große Hoffnungen in das geplante Arztinformationssystem. »Wenn wir das gut hinbekommen, kann ein solches System eine ähnliche Wirkung entfalten wie das AMNOG selbst.«
Stoffliche Medizinprodukte
Kein Grund zum Jubeln, aber dennoch ein wichtiger Teilerfolg für den BAH ist der aktuelle Entwurf der EU-Medizinprodukteverordnung. Die erste Fassung aus dem Jahr 2012 hatte die Hersteller geschockt: Stoffliche Medizinprodukte – dazu zählen etwa Meerwasser-Nasensprays, Hustensirupe und Macrogol-Präparate – waren darin nicht berücksichtigt und hätten somit entweder ihren Status als Medizinprodukt verloren oder sich gemeinsam mit Hochrisikoprodukten wie Herzschrittmachern den Anforderungen für die höchste Risikoklasse III stellen müssen. »Das hätte praktisch das Aus für diese Präparate bedeutet«, fasste der Generaldirektor des europäischen Verbands der Arzneimittelhersteller, Hubertus Cranz, zusammen.
Gesine Meissner (FDP), seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments, hat sich für die Interessen der Pharmaunternehmen starkgemacht. Nach fünf Jahren Schlagabtausch mit der Kommission und dem Europarat habe man nun endlich einen Kompromiss gefunden. In der sogenannten Regel 21 ist die Produktklasse im aktuellen Entwurf explizit genannt. Stoffliche Medizinprodukte fallen demnach jedoch künftig in die Risikoklassen IIa und b sowie in Ausnahmefällen in Klasse III. Die Einstufung in die niedrigste Risikoklasse I geht somit verloren.
Für die Unternehmen bedeutet dies, dass alle stofflichen Medizinprodukte in Zukunft von einer benannten Stelle zertifiziert werden müssen. Bislang dürfen die Hersteller diese sogenannte Konformitätsbewertung selbst vornehmen, sofern das Produkt der Risikoklasse I zuzuordnen ist. Dieser Schritt könnte möglicherweise zum Flaschenhals werden, fürchtet Jörg Wilke von der ecm-Zertifizierungsgesellschaft. »Viele benannte Stellen distanzieren sich von stofflichen Medizinprodukten«, sagte er in Berlin. Diese seien oft schwer einzuordnen und brächten großen Aufwand und oft Ärger mit sich. Wie viele der Prüfstellen in Deutschland sich bereit erklären würden, die Produkte zu zertifizieren, sei fraglich.
Verteuerung droht
Giudo Middeler vom mittelständischen Unternehmen Diapharm erwartet, dass einige Produkte vom Markt verschwinden werden. Die verbleibenden würden aufgrund des Mehraufwands teurer als bisher. Zudem schließe die geplante Verordnung etwa lebende Mikroorganismen aus, die in bestimmten vaginalen Zubereitungen enthalten sind. »Millionen betroffener Frauen müssen dann zurück zum Quark.«
Die finale Abstimmung im Europarat ist laut Meissner für den 17. Februar 2017 geplant. Gibt dieser grünes Licht, ist die Verordnung nach einer Übergangsfrist von drei Jahren bindend für die Unternehmen. /