Pharmazeutische Zeitung online
Innovationsreport 2017

Bitte zur Nachprüfung

27.09.2017  10:48 Uhr

Von Ev Tebroke, Berlin / Neue Arzneimittel werden immer teurer, sie werden aber nicht zwangsläufig besser. Das ist das Ergebnis des Innovationsreports 2017 der Techniker Krankenkasse. Es brauche eine Spätbewertung, die die tatsächliche Relevanz der Neuheiten im Versorgungsalltag bewertet, fordern die Studienautoren. Die Pharmaindustrie hält dies für überflüssig.

Bereits zum fünften Mal analysiert die TK in ihrem jährlichen Report, wie sich neue Medikamente drei Jahre nach Markteintritt im Versorgungsalltag bewährt haben. Diesmal standen 32 neue Präparate aus dem Jahr 2014 auf dem Prüfstand. Während das Preisniveau von neuen Medikamenten rasant steige, bleibe deren Nutzen für den Patienten oft überschaubar, kritisierte TK-Chef Jens Baas. Um den stetigen Kostenanstieg zu dämpfen, sollten Medikamente daher einige Zeit nach Markteinführung auf ihren zusätzlichen Nutzen und ihren Effi­zienzgewinn im Versorgungsalltag geprüft werden, forderte er.

 

Preisanstieg um 73 Prozent

Bereits im letzten Report hatte sich Baas zufolge der durchschnittliche Packungspreis der bewerteten Arzneimittel gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Dieses Jahr ist der Preis demnach erneut um 1000 Euro auf nun rund 2500 Euro angestiegen – das sind 73 Prozent. Erstmals erzielte dabei kein einziges Präparat in der Gesamtbetrachtung (verfügbare Vergleichstherapie, Zusatznutzen und Kosten) die Bestnote, eine grüne Ampel. »Gelb« erhielten 17 der bewerteten Produkte, darunter acht sogenannte Orphan Drugs. Fast die Hälfte der 2014 eingeführten Medikamente (15) erhielten dagegen eine rote Ampel, und das meistens aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten. Auch in dieser Gruppe waren vier Orphan Drugs.

 

Auch mit Blick auf eine Schaden-Nutzen-Bewertung fordern die Autoren eine Spätbewertung. Insbesondere für die Gruppe der zunehmend auf den Markt drängenden Orphan Drugs sei dies unerlässlich, so der Mitherausgeber des Reports, Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Diese Medikamente zur Behandlung seltener Leiden stellten mit 38 Prozent den Hauptanteil der bewerteten Neuzulassungen aus dem Jahr 2014 (2013 waren es noch 13 Prozent). Bei der Markteinführung solcher Orphan-Arzneimittel genießen Pharmahersteller gewisse Privilegien. Neben einer zehnjährigen Marktexklusivität erhält solch ein Produkt auch eine beschleunigte Zulassung, ein Zusatznutzen gilt per se als gegeben. Aufgrund dieser Anreize beklagt Ko-Herausgeber Professor Wolf-Dieter Ludwig eine Orphanisierung von Krankheiten.

 

»Untersuchungen in den letzten zehn Jahren haben verdeutlicht, dass Wirksamkeit und Sicherheit von Orphan-Arzneimitteln zum Zeitpunkt der Zulassung häufig unzureichend belegt sind«, so Ludwig. Es sei zunehmend wichtig, »Patienten vor schlecht geprüften Wirkstoffen besser zu schützen und unangemessene finanzielle Belastungen des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems zu verhindern«, betonte Ludwig. Nach Aussagen von Glaeske kann auch der Einsatz preisgünstiger Generika (bereits jetzt 80 Prozent aller Verordnungen) die Steigerung der Arzneimittelkosten nicht kompensieren, da immer teurerer Innovationen in den Markt drängen. »Bei 4 Prozent der Verordnungen fallen 40 Prozent der Arzneimittelausgaben an.«

 

Kritik der Industrie

 

Die Arzneimittel-Hersteller kritisieren die Ergebnisse als einseitig und verzerrt. Der Report ignoriere den Nutzen neuer Arzneimittel und fokussiere zu stark auf die Kosten. Zudem lasse die Methodik den medizinischen Fortschritt als Summe therapeutischer Verbesserungen außer Acht. »Die Innovationszyklen durch mehrere neue aufeinander folgende Medikamente werden nicht erfasst«, bemängelt etwa der Verband der forschenden Pharmaunternehmen.

 

Inakzeptabel ist für die Industrie auch die Behauptung eines Gefährdungspotenzials neuer Medikamente, insbesondere solcher mit beschleunigter Zulassung. »Mit der Zulassung haben Medikamente belegt, dass sie wirksam, sicher und qualitativ hochwertig sind«, so der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie. Zudem würden über Medikamente in ihrer praktischen Anwendung stetig wichtige und unverzichtbare Daten über ihr Risikoprofil erhoben. /

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