Agenda 2030 |
24.09.2013 18:43 Uhr |
Arzneimittelspezialist oder Wellness-Experte: Zwischen diesen Polen bewegt sich das Selbstverständnis der Apotheker. Wo wollen sie 2030 stehen? Bei der Diskussion um ein Leitbild rangen die Apotheker in Düsseldorf um das richtige Ziel und einen angemessenen Zeitplan für die Umsetzung.
Das neue Leitbild soll die künftige Ausrichtung des Berufsstands beschreiben. Es gehe um ein »realistisches Idealbild«, das »Visionen und Mission« in sich vereint, sagte Mathias Arnold, Vizepräsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, in seinem einleitenden Impulsreferat.
Offene Diskussion
Um eine breite Diskussion im Berufsstand anzuregen, präsentierte Arnold im Namen der Arbeitsgruppe (AG) Leitbild bewusst keinen fertigen Entwurf, sondern zeigte Grundsätze und Optionen auf. Ein Leitbild solle Apothekenleitern und -mitarbeitern Orientierung und Motivation sowie dem Berufsstand Identität geben.
ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold führte mit einem Impulsreferat in die Leitbild-Diskussion ein.
Zunächst hatte die AG Leitbild Problemfelder identifiziert. So werde die Arzneimitteltherapie immer komplexer. Die Zahl multimorbider und älterer Patienten steige, aber die Bevölkerungszahl insgesamt und die Zahl der berufstätigen Menschen sänken. Zugleich verändere sich die regionale Bevölkerungsverteilung mit einem Trend zur Urbanisierung. Das Selbstverständnis der Patienten wandele sich grundlegend: weg vom Objekt hin zum Subjekt der Behandlung.
Das neue Leitbild solle die bisherige Arbeit der Apotheker nicht einfach fortschreiben, sondern neue umfassendere Leistungen für und mit den Patienten beschreiben, forderte Arnold. Es gehe um das Vertrauen der Patienten und die Verantwortung, die Apotheker übernehmen wollen und müssen.
Ein essenzieller Punkt ist die Therapiebegleitung. Laut Arnold ist das ein langfristiger, kontinuierlicher Prozess, den die Apotheker führen und leiten wollen – in Kooperation im heilberuflichen Netzwerk. »Wir betonen unsere pharmazeutischen Kernkompetenzen.« Dazu müssten die Apotheker weiterlernen, die Ausbildung modifizieren und die Weiterbildung vorantreiben. Und natürlich gehe es um Honorierungsgrundlagen für neue Leistungen. »Die Verbesserung der Arzneimitteltherapie durch den Apotheker, gemeinsam mit dem Patienten: Das ist unser Ziel.«
Das Wissen über Arzneimittel ist das Alleinstellungsmerkmal des Apothekers. Es sollte daher auch im Leitbild des Apothekerberufs besonders betont werden. Diese Auffassung vertrat ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in der folgenden Diskussion über die Inhalte des Leitbilds.
Die Debatte innerhalb des Berufsstands über dessen inhaltliche Ausrichtung soll Schmidt zufolge auf möglichst breiter Basis geführt werden. Dazu will die AG Leitbild ihren Entwurf zunächst mit den Gremien der ABDA abstimmen. Anschließend soll er innerhalb der Mitgliedsorganisationen diskutiert werden. Anregungen, Änderungsvorschläge und Ergänzungen sind willkommen. Sie sollen in einen gemeinsamen Entwurf münden, der vom Deutschen Apothekertag 2014 in München verabschiedet werden könnte. Spätestens 2030 soll das Leitbild schließlich von allen Apothekern gelebt werden.
Kernkompetenz stärken
»Wir müssen uns verständigen, ob wir uns in unserem Leitbild klar auf das Arzneimittel als unsere Kernkompetenz fokussieren, oder ob wir uns eher als Dienstleister auch in Sachen Wellness sehen«, so Schmidt. Er ließ keinen Zweifel daran, dass ihm persönlich der Heilberufler im Apotheker besonders am Herzen liegt. »Das bedeutet nicht, dass wir die Apotheke in ein reines Arzneimittelabgabebüro umwandeln sollten. Aber alle Leistungen, die wir Apotheker anbieten, müssen sich vom Arzneimittel ableiten.« Ein komplettes Leistungspaket rund um das Arzneimittel zu schnüren, betrachtet er als Königsweg für die Zukunft der Apotheke.
Den Apotheker als breit aufgestellten »Lotsen im Gesundheitswesen« zu festigen, sahen etliche Sprecher aus dem Plenum nicht als Gegensatz zu einem Leitbild, das sich streng auf die pharmazeutischen Kernkompetenzen konzentriert. Die Funktion des Lotsen sei heute mehr gefragt denn je. Medikationsmanagement, Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS), aber auch Prävention und Nachsorge gehörten zum Leistungsspektrum der Apotheke, ohne das diese zum Gemischtwarenladen werde.
Angestellte einbinden
»Wenn wir über das Leitbild des Apothekers diskutieren, müssen wir uns auch fragen, welche Apotheker hier gemeint sind«, merkte eine Delegierte an. Es sei wichtig, auch die Kollegen mit ins Boot zu holen, die nicht in der Offizin arbeiten, um das Verständnis füreinander zu verbessern. Das sei zunächst aber nicht geplant, stellte Magdalene Linz, Präsidentin der Kammer Niedersachsen, klar. Sie war als Mitglied der AG Leitbild an dessen Entwurf beteiligt. »Es geht nicht um die Veränderung des apothekerlichen Berufsbildes, sondern um ein Leitbild für die Arbeit in der Apotheke«, unterstrich auch Schmidt.
Christiane Patzelt
Barbara Neusetzer, Vorsitzende der Apothekengewerkschaft Adexa, sprach sich dafür aus, in der weiteren Debatte die Interessen der Angestellten mehr zu berücksichtigen. »In der AG Leitbild, die den ersten Entwurf der Leitbildidee vorlegen wird, sehe ich keinen einzigen Namen eines angestellten Apothekenmitarbeiters«, kritisierte sie.
Die große Mehrheit der Apotheker in öffentlichen Apotheken sind aber Angestellte. Wenn das Gros der Apotheker sich mit dem Leitbild identifizieren soll, müssten auch sie sich darin wiederfinden. Schmidt und Arnold nahmen diese Kritik an und betonten, dass sie sich von den folgenden Diskussionen des Entwurfs in den Mitgliedsorganisationen entsprechende Anregungen auch von angestellten Apothekern erhoffen. Wie wichtig es ist, den pharmazeutischen Sachverstand der angestellten Apotheker zu fördern und zu fordern, betonte auch Karin Graf aus dem Geschäftsführenden Vorstand der ABDA. »Wenn ein Inhaber seine angestellten Approbierten zu freundlichen Verkäufern degradiert, muss er sich nicht wundern, wenn er ein Nachwuchsproblem bekommt.«
Fahrplan bis 2030
Im Jahr 2013 ein Leitbild für 2030 vorzustellen, sorgte bei einigen Anwesenden und bei Kollegen, die die Veranstaltung im Internet live verfolgten und kommentierten, für Irritationen. Eine Apothekerin aus dem Plenum kritisierte, dass seit den 1970er-Jahren keine signifikanten Schritte in Richtung Apotheker als Heilberufler unternommen worden seien. Es sei sehr frustrierend, dass diese Visionen während eines ganzen Berufslebens nicht umgesetzt wurden. Sie forderte daher mehr Tempo in der jetzt angestoßenen Leitbild-Entwicklung. Man könne nicht noch eine Generation von Apothekern verschleißen, bis man endlich zum Apotheker als Heilberufler und Medikationsmanager komme.
»Das Leitbild ist das Ziel«, sagte Arnold. Der Weg dahin könne sehr schnell beginnen. Linz erklärte den Fahrplan für die kommenden Jahre. 2030 sei das Endziel, an dem man vielleicht schon weiter sein wird als nun vorgesehen. Zudem sei es durchaus richtig und wichtig, sich Zwischenziele für die nähere Zukunft zu setzen.
David Reiner
Der Präsident des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD), David Reiner, befürwortete eindeutig die Entwicklung eines Leitbilds. Dabei sei aber zu berücksichtigen, welche Konsequenzen das für das Pharmaziestudium hat. »Das Studium ist die einzige Stellschraube, mit der man alle Apotheker in spe erreichen kann«, so Reiner. Er appellierte, mit den Hochschulen Hand in Hand an dem Leitbild und dessen Umsetzung zu arbeiten.
Reiner erinnerte auch daran, dass seit der letzten Änderung der Approbationsordnung schon viele Jahre vergangen sind. Die damit verbundene Einführung der Klinischen Pharmazie sei in Deutschland im internationalen Vergleich sehr spät geschehen. »Zudem ist sie bis heute noch nicht an allen Stellen in hoher Qualität umgesetzt worden«, machte Reiner auf einen möglicherweise langen Weg aufmerksam.
Partnerschaft mit Ärzten
Unterstützung fand er beim stellvertretenden Vorsitzenden des Hessischen Apothekerverbands, Hans Rudolf Diefenbach. Auch dieser forderte, über Veränderungen im Pharmaziestudium nachzudenken. »Wir dürfen die Hochschullehrer bei der Entwicklung des Leitbildes nicht vergessen«, betonte er.
Selbstverständlich müssten auch diejenigen Kollegen, die das Studium bereits hinter sich haben, auf neue Anforderungen in der Praxis gut vorbereitet werden. Werkzeug für das Leitbild sei das Medikationsmanagement, so Schmidt. Der ABDA-Präsident betonte, dass das viele Apotheker erst erlernen müssen. Er sieht daher einen hohen Bedarf an Weiterbildung.
Kontroverse Diskussionen: Ann-Kathrin Kossendey und Göran Donner.
»Wir sind noch nicht so weit«, warnte auch Jochen Pfeifer aus Velbert. Er besitzt nicht nur die deutsche Approbation, sondern ist auch Doctor of Pharmacy der University of Florida und kennt sich mit dem Thema Medikationsmanagement bestens aus. »Wenn wir Fehler beim Medikationsmanagement machen, ist die Sache für uns gestorben. Dann werden unsere Gegner uns fertigmachen.« Pfeifer schlug die Einführung eines neuen Fachapothekers für Pharmazeutische Betreuung und AMTS vor. Der Präsident der Bundesapothekerkammer, Andreas Kiefer, sagte, dass dies – wenn es gewollt ist – prinzipiell auch möglich wäre.
Im Folgenden warnte Pfeifer vor einer kritischen Haltung gegenüber den Ärzten, die während der Diskussion hin und wieder aufkam. Zwar seien Apotheker nicht die Diener der Ärzte, aber deren wichtige Partner. »Wir brauchen die Ärzte«, bat Pfeifer darum, nicht auf Konfrontationskurs mit den Medizinern zu gehen.
Einige Anwesende nutzten die Veranstaltung auch zu einer Grundsatzkritik an der ABDA. »Unsere Standesvertretung ist weit weg vom Alltag. Die Schere zwischen Realität und Ideal klafft immer weiter auseinander«, sagte ein Kollege aus dem Kammerbezirk Nordrhein. In die gleiche Richtung argumentierte Ann-Kathrin Kossendey, Apothekerin aus Wiefelstede in Niedersachsen. Die Apotheker seien schon seit Jahren von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt und könnten nicht »bei gleichbleibender Honorierung immer mehr Aufgaben übernehmen, die immer mehr Geld kosten«. Es herrsche viel Frust unter Apothekern, weil sie von den Kassen gegängelt und von den Ärzten attackiert würden. »Hier ist die Standesorganisation gefordert. Sie muss uns den Rücken stärken.«
Schmidt wies den Vorwurf zurück, dass die ABDA den Apothekern zusätzliche Leistung aufbürden will, ohne an die Finanzierung zu denken. »Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass wir Leistungen wie das Medikationsmanagement nicht umsonst erbringen können.« Die Berichterstattung der Medien sei daher teilweise auch sehr negativ ausgefallen. »Das müssen wir aber dann auch gemeinsam aushalten«, sagte der ABDA-Präsident. »Da erwarte ich Ihre Solidarität.« Die Apotheker müssten deutlich machen, dass sie nicht nur einfach mehr Geld wollen, sondern das Geld auch wert sind. /
In die Offensive
Ist es gut, wenn sich ein Berufsstand stundenlang mit sich selbst beschäftigt? Eindeutig ja! Die Diskussion über das Leitbild der Apotheker war dringend notwendig. Nach Jahren, in denen die Politik und wenig wohlwollende Marktpartner die Apotheker immer wieder unter Druck gesetzt haben, war es an der Zeit, die kollektive Verteidigungshaltung aufzugeben und in die Offensive zu gehen. Das ist der ABDA, den Delegierten und den übrigen anwesenden Apothekern gelungen. Ganze drei Stunden wurde konzentriert und sachorientiert über ein Leitbild für die Zukunft diskutiert. Und es war schnell deutlich, dass es grundsätzlich einen breiten Konsens gibt: Die Apotheker wollen und müssen ihren Patienten neue Angebote machen. Die Stellung der Apotheker in der Versorgung soll sich grundlegend ändern.
Natürlich war diese Diskussion nur ein Anfang, natürlich waren sich die Diskutanten nicht einig, wie das Leitbild genau aussehen soll. Ein fertiges Konzept am Ende der Veranstaltung konnte aber auch niemand ernsthaft erwarten. Es ist sogar gut, dass am Ende viele Fragen offen blieben. Die ABDA hat die Apotheker bewusst sehr früh eingebunden, es gab kaum Leitplanken für die Diskussion. Entsprechend breit wurde diskutiert. Die Zahl der Wünsche und Ideen war groß. Das ist ein gutes Ergebnis. Aber: So wichtig und gut die Diskussion war, sie ist nur ein erster Schritt. Der Weg zum Leitbild ist noch weit. Der schwierigste Teil des Weges kommt erst noch.
Daniel Rücker, Chefredakteur