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16.09.2013 14:12 Uhr |
Von Petra Zagermann-Muncke / Vor dem Genuss von Alkohol während einer Arzneimitteltherapie wird in den Packungsbeilagen vielfach pauschal gewarnt. Ethanol interagiert aber auf sehr unterschiedliche Weise mit Arzneistoffen, sodass angemessene Empfehlungen ganz unterschiedlich ausfallen können: Manchmal ist Alkohol in jeglicher Form vollständig tabu, in anderen Fällen sind gelegentlich moderate Mengen erlaubt.
Aus der ABDA-Datenbank sind etwa 30 Monographien zu klinisch relevanten Wechselwirkungen von Ethanol mit Arzneistoffen abrufbar. Jede Monographie enthält im Abschnitt »Maßnahmen« praxisgerechte Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol.
Pharmakokinetik von Ethanol
Ethanol wird praktisch vollständig absorbiert. Die Absorption beginnt im Mund; der Hauptanteil wird aber aus dem Magen und vor allem aus dem Dünndarm aufgenommen. Etwa 30 bis 60 Minuten nach der Ethanolaufnahme wird die höchste Blutalkoholkonzentration erreicht; bei starker Magen-Darm-Füllung kann sie auch später eintreten.
90 bis 95 Prozent des aufgenommenen Ethanols werden in der Leber im geschwindigkeitsbestimmenden Schritt durch die Alkoholdehydrogenase zu Acetaldehyd und dann durch die Aldehyddehydrogenase 2 zu Acetyl-Coenzym A abgebaut. Acetyl-Coenzym A wird in den Intermediärstoffwechsel eingeschleust oder zu Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Die Alkoholdehydrogenase ist nicht induzierbar. Die Aldehyddehydrogenase wird durch mehrere Arzneistoffe gehemmt.
Muss man ganz auf den Genuss verzichten, wenn man Arzneimittel nimmt?
Foto: Fotolia/boule
Bis zu 10 Prozent des Ethanols werden bereits im Magen durch die gastrale Alkoholdehydrogenase zu Acetaldehyd abgebaut (gastraler First-Pass-Effekt). Die gastrale Alkoholdehydrogenase ist ein Isoenzym der hepatischen Alkoholdehydrogenase, hat aber eine 100-fach geringere Aktivität. Bei Frauen, älteren Menschen, Asiaten, Alkoholkranken sowie beim Fasten spielt der gastrale First-Pass-Effekt kaum eine Rolle.
Besonders bei höheren Alkoholkonzentrationen im Blut werden bis zu 10 Prozent des Ethanols zusätzlich durch das mikrosomale Ethanol-oxidierende System (MEOS) in der Leber abgebaut. Je größer die aufgenommene Menge, desto größer der durch MEOS metabolisierte Anteil. Wesentlicher Bestandteil des MEOS ist das Cytochrom-P450-abhängige Isoenzym CYP2E1. Dieses ist induzierbar. Langfristiger Alkoholkonsum in größeren Mengen kann die Aktivität von CYP2E1 auf das Vier- bis Zehnfache erhöhen. Dagegen kann die akute Zufuhr großer Ethanolmengen CYP2E1 kompetitiv hemmen. Entsprechend wird der Metabolismus von Arzneistoffen, die ebenfalls durch CYP2E1 abgebaut werden, gehemmt oder induziert.
Auswirkungen auf den Organismus
Wichtige akute Effekte des Ethanols, die auch für Wechselwirkungen mit Arzneimitteln bedeutsam sind, führt die Tabelle 1 auf.
Regelmäßiger Alkoholkonsum in größeren Mengen schädigt die Leber. Alkoholische Fettleber, Alkoholhepatitis und Leberfibrose oder -zirrhose können auftreten. Fettansammlungen in der Leber bleiben lange reversibel, bevor eine Fettleber entsteht. Sie können eine Fettleberhepatitis auslösen, meist erst nach mehreren Jahren. Auf dem Boden der Entzündungen proliferiert das Bindegewebe, und die Leber fibrosiert fortschreitend. Dies geschieht bei etwa einem Fünftel der Patienten, die Alkohol missbrauchen. Als kritische Menge werden circa 200 ml Ethanol täglich über mindestens fünfzehn Jahre angenommen; bei empfindlichen Menschen kann die kritische Menge aber deutlich niedriger liegen.
Organsystem oder -funktion | Effekte |
---|---|
Zentralnervensystem | konzentrationsabhängig unter 0,5 Promille: überwiegend zentral erregende Effekte; über 0,5 Promille: vermehrt zentrale Dämpfung, Sedation, gestörte Konzentration, Koordinationsstörungen, eingeschränktes Gesichtsfeld, Benommenheit, Kopfschmerzen, Schwindel, Atemdepression und Amnesien |
Herz-Kreislauf | niedrige Ethanolkonzentrationen: leichter Blutdruckanstieg; höhere Konzentrationen: periphere Gefäßweitstellung mit geröteter Haut, Wärmeverlust und Blutdruckabfall |
Magenschleimhaut | konzentrationsabhängig lokale Reizung |
Glucosestoffwechsel | Blutzuckersenkung durch gesteigerte Glykogenolyse sowie vermehrte Reduktion von NAD zu NADH und damit verstärkte Reduktion von Pyruvat zu Lactat: Pyruvat wird der Gluconeogenese entzogen, protrahierte Hypoglykämien |
Diurese | gesteigert durch Hemmung der Vasopressin-Ausschüttung |
Atmung | Hyperventilation, vermutlich ausgelöst durch Acetaldehyd; bei Ethanolvergiftung: respiratorische Alkalose |
Muskulatur | verminderte Muskelleistung |
Zudem kann regelmäßiger Alkoholkonsum durch Hemmung der Peristaltik, schleimhautschädigende Wirkung sowie Stimulation der Magensäuresekretion Ösophagitiden und Gastritiden hervorrufen.
Moderater risikoarmer Alkoholkonsum wirkt protektiv im Hinblick auf kardiovaskuläre Krankheiten. Größere Mengen erhöhen aber den Blutdruck und die Prävalenz von Herz- und Kreislaufleiden. Die Festlegung von Schwellenwerten ist durch die multifaktorielle Genese dieser Krankheiten und die individuell unterschiedliche Empfindlichkeit erschwert.
--> Als risikoarmer Alkoholkonsum, der nur in Ausnahmefällen die Gesundheit schädigt, gilt bei Frauen der gelegentliche Konsum von maximal 12 g Ethanol an einem Tag, bei Männern 24 g Ethanol. »Gelegentlich« bedeutet seltener als wöchentlich, »regelmäßig« bedeutet wöchentlich oder häufiger.
Während einer Therapie mit Disulfiram (Antabus®, außer Handel) kann es einige Minuten nach Einnahme von Ethanol zu Flush, Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Diarrhö, Atemnot, Tachykardie, Blutdruckabfall oder auch Blutdruckanstieg kommen. Disulfiram hemmt die Aldehyddehydrogenase, sodass erhöhte Acetaldehyd-Plasmakonzentrationen resultieren, die für die genannten Symptome verantwortlich sind. Wahrscheinlich spielen noch weitere Mechanismen eine Rolle. Dieser abschreckende Effekt wurde früher beim Alkoholentzug mit Disulfiram genutzt.
Disulfiram-Effekt
Die Aldehyddehydrogenase wird außer durch Disulfiram wahrscheinlich auch durch Griseofulvin (Beispiel: Fulcin®), Nifuratel (Beispiel: Inimur®), Nitroimidazole wie Metronidazol (Beispiel: Clont®) und Ketoconazol (Beispiel: Nizoral®) sowie Procarbazin (Beispiel: Natulan®) gehemmt. Trinken die Patienten während der Behandlung mit diesen Arzneistoffen Alkohol, steigen die Acetaldehyd-Plasmakonzentrationen. Acetaldehyd wird für die genannten Symptome verantwortlich gemacht.
Magen-Darm- Beschwerden können ein erstes Anzeichen einer Lactatazidose sein, die bei gleichzeitiger Einnahme von Metformin und größeren Mengen Alkohol drohen kann.
Foto: shutterstock/ auremar
Disulfiram hemmt die Aldehyddehydrogenase am stärksten. Bei Ethanolkonsum während einer Disulfiram-Behandlung sind Todesfälle vorgekommen. In dieser Situation ist Ethanol daher in jeglicher Form – auch in Speisen und Arzneimitteln, einschließlich Lokaltherapeutika – strikt verboten. Bei Griseofulvin, Nifuratel, Ketoconazol und Nitroimidazol-Derivaten sowie Procarbazin sind Unverträglichkeitsreaktionen nur in Einzelfällen und weniger schwer aufgetreten.
Patienten, die diese Arzneimittel bekommen, sollte der Apotheker auf die mögliche Alkoholunverträglichkeit aufmerksam machen. Sie sollen Alkohol meiden (Tabelle 2).
Gehemmter Alkoholabbau
Verapamil (Beispiel: Isoptin®) und Gallopamil (Beispiel: Procorum®) können den oxidativen Metabolismus von Ethanol hemmen, sodass erhöhte Plasmakonzentrationen und entsprechend verstärkte Alkoholwirkungen zu erwarten sind. Darauf sollte das Apothekenteam die Patienten unbedingt hinweisen.
Für erhöhte Ethanolkonzentrationen unter den H2-Blockern Ranitidin (Beispiel: Sostril®) und Cimetidin (Beispiel: Tagamet®) wird hauptsächlich eine Hemmung der gastralen Alkoholdehydrogenase verantwortlich gemacht. Die Aktivität dieses Enzyms ist allerdings gering und hängt von vielen Faktoren ab (Geschlecht, Alter, Ethnie, Ethanoldosis und -konzentration, Tageszeit, gleichzeitige Einnahme von Mahlzeiten), sodass diese Interaktion wahrscheinlich nur selten relevant wird.
Patienten mit gastrointestinalen Ulzera und Sodbrennen sollen ohnehin möglichst wenig Ethanol trinken, denn dieser kann die Ulkuskrankheit verschlimmern. Das Apothekenteam sollte sie darauf hinweisen, dass unter der Behandlung mit Ranitidin oder Cimetidin eine erhöhte Blutalkoholkonzentration möglich ist.
Auch die Tuberkulosemittel Isoniazid (Beispiel: Isozid®) und Protionamid (Beispiel: Petha®) können den Ethanolabbau hemmen und dessen akute Effekte verstärken. Vermutlich hemmen beide Stoffe CYP2E1, was bei Aufnahme größerer Ethanolmengen die Blutalkoholkonzentration erhöhen kann. Regelmäßiger Alkoholkonsum kann auch die Hepatotoxizität von Isoniazid verstärken. Dies wird mit einer Induktion von CYP2E1 erklärt, wodurch Isoniazid möglicherweise schneller zu hepatotoxischen Metaboliten abgebaut wird. Anscheinend kann Ethanol auch die krampfauslösende Wirkung von Protionamid verstärken.
Daher gilt: Regelmäßiger Alkoholkonsum ist während der Therapie mit Isoniazid oder Protionamid zu meiden (Tabelle 2). Bei gelegentlichem Genuss ist an eine verstärkte Alkoholwirkung zu denken.
Gehemmte Elimination
Während einer Alkoholentzugsbehandlung mit Clomethiazol (Distraneurin®) Alkohol zu trinken, kann lebensbedrohliche Folgen haben. Die Vergiftungssymptome sind Depression des kardiovaskulären Systems, Atemdepression, Hypothermie und Hypersalivation (übermäßiger Speichelfluss). Auch Todesfälle wurden beschrieben.
Clomethiazol unterliegt einem ausgeprägten First-Pass-Effekt. Akute Alkoholzufuhr hemmt den First-Pass-Metabolismus, sodass die Bioverfügbarkeit von Clomethiazol zunimmt. Darüber hinaus addieren sich die zentral-depressiven Wirkungen von Ethanol und Clomethiazol. Bei Leberzirrhose infolge Alkoholabusus ist der First-Pass-Metabolismus zusätzlich stark vermindert.
Dringender Hinweis: Während der Behandlung mit Clomethiazol darf der Patient keinesfalls Ethanol zu sich nehmen.
Die akute Aufnahme großer Ethanolmengen kann die Wirkung von oralen Antikoagulanzien wie Phenprocoumon verstärken, chronische Aufnahme diese abschwächen. Man vermutet eine Beeinflussung des oxidativen Metabolismus als Ursache. Patienten, die Vitamin-K-Antagonisten einnehmen, können gelegentlich moderate Mengen an Ethanol konsumieren; sie sollen aber ihre Trinkgewohnheiten nicht kurzfristig wechseln, da die Antikoagulanzienwirkung dadurch verändert werden kann.
Arzneistoff | Empfehlung |
---|---|
Clomethiazol | Während der Therapie muss Ethanol strikt gemieden werden. |
Acitretin | Während der Behandlung und zwei Monate danach müssen Frauen im gebärfähigen Alter Ethanol in jeder Form meiden. |
Methotrexat, Trabectedin, Isoniazid, Protionamid | Auf Ethanol soll möglichst verzichtet, vor allem aber sollte er nicht regelmäßig getrunken werden. |
Vitamin-K-Antagonisten, nicht steroidale Antiphlogistika, Nitrate | Gelegentlicher Konsum in moderaten Mengen (etwa 100 bis 200 ml Wein oder 250 bis 500 ml Bier) ist erlaubt. |
Griseofulvin, Nifuratel, Imidazol-Derivate (Beispiel: Metronidazol, Ketoconazol), Procarbazin, Tacrolimus- und Pimecrolimus-Salben, Dopaminagonisten (Beispiele: Bromocriptin, Amantadin, Apomorphin) | Die Patienten sollen auf Unverträglichkeitsreaktionen mit Ethanol aufmerksam gemacht werden. |
Verapamil, Gallopamil, Ranitidin, Cimetidin | Die Patienten sollen darauf hingewiesen werden, dass höhere Blutalkoholkonzentrationen auftreten können. |
Zentral dämpfende Arzneistoffe, zum Beispiel ältere sedierende Antiepileptika, Anticholinergika, Cannabinoide, Opioidanalgetika, Antidepressiva, Benzodiazepine, Antihistaminika, Antipsychotika, Chloralhydrat | Die Patienten müssen darauf aufmerksam gemacht werden, dass schon geringe Ethanolmengen Benommenheit hervorrufen und die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen können. Keinesfalls dürfen sie größere Alkoholmengen trinken. |
Verstärkung hepatotoxischer Effekte
Methotrexat ruft in Abhängigkeit von der Dosierung und der Therapiedauer ähnliche Leberschäden wie Alkohol hervor. Es gibt Hinweise auf ein erhöhtes Risiko bei regelmäßigem Alkoholgenuss. Während einer Methotrexat-Behandlung soll der Patient daher auf Ethanol verzichten; vor allem darf er diesen nicht regelmäßig konsumieren.
Auch das Zytostatikum Trabectedin (Beispiel: Yondelis®) wirkt hepatotoxisch. Der Hersteller warnt vor Alkoholkonsum während der Behandlung.
Verstärkung unerwünschter Effekte
Bei Genuss größerer Mengen Ethanol während der Behandlung mit dem Biguanid-Antidiabetikum Metformin (Beispiel: Glucophage®) ist die Gefahr einer lebensbedrohlichen Lactatazidose erhöht. Symptome sind gastrointestinale Störungen wie Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen, Muskelschmerzen, Hyperventilation, Durst, Lethargie und Koma. Die Zusammenhänge: Biguanide vermindern in Abhängigkeit von ihrer Plasmakonzentration die Gluconeogenese aus Alanin, Pyruvat und Lactat. Außerdem entsteht durch vermehrte anaerobe Glykolyse mehr Lactat, das zudem in der Leber langsamer abgebaut wird. Ethanol steigert ebenfalls die Lactatkonzentration.
Der Diabetespatient soll Ethanol während einer Behandlung mit Metformin möglichst meiden. In Verbindung mit einer Mahlzeit sind kleine Mengen, etwa 100 bis 200 ml trockener Wein oder 250 bis 500 ml Bier, erlaubt.
Sowohl akuter als auch chronischer Alkoholgenuss kann die unerwünschten erosiven Wirkungen der nicht steroidalen Antiphlogistika (NSAR) auf die Magenschleimhaut additiv verstärken und die Neigung zu gastrointestinalen Blutungen steigern. Patienten unter antiphlogistischer Dauertherapie sollen daher nicht regelmäßig Ethanol trinken. Gelegentlicher Alkoholkonsum in moderaten Mengen ist erlaubt.
Wenn ein Patient während einer Behandlung mit Glyceroltrinitrat oder anderen Nitraten Alkohol trinkt, steigt durch die additive Gefäßdilatation das Risiko von orthostatischen Blutdruckabfällen mit Kollapsneigung. Patienten unter Nitrat-Therapie sollen Ethanol daher nur in moderaten Mengen zu sich nehmen.
Der Genuss von Ethanol während einer Therapie mit Dopaminagonisten wie Bromocriptin (Beispiel: Pravidel®) und anderen Mutterkornalkaloid-Derivaten sowie Amantadin (Beispiel: PK-Merz®) und Apomorphin (Beispiel: APO-go®) kann in Einzelfällen verstärkte gastrointestinale Störungen wie Bauchschmerzen und Übelkeit sowie Hypotonie oder Hypertonie hervorrufen. Möglicherweise erhöht Ethanol die Sensibilität der Dopaminrezeptoren und damit die entsprechenden unerwünschten Effekte der Dopaminagonisten.
Der Apotheker sollte die Patienten darauf hinweisen, dass Alkoholgenuss während einer Therapie mit den genannten Dopaminagonisten Alkohol-Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen kann.
Bei 1 bis 10 Prozent der Neurodermitis-Patienten, die mit Tacrolimus- oder Pimecrolimus-Salben (Beispiele: Protopic®, Elidel®, Douglan®) behandelt werden, tritt etwa zehn Minuten nach Aufnahme auch geringer Alkoholmengen meist im Gesicht eine Hautrötung oder -reizung (Flush) mit Exanthem, Brennen, Juckreiz oder Schwellung auf. Die Beschwerden klingen nach einer bis zwei Stunden wieder ab. Der Effekt kann bei Dauergebrauch der Salben nachlassen. Der Mechanismus dieser Wechselwirkung ist nicht bekannt. Die Inzidenz scheint mit der Konzentration der topischen Zubereitungen zu steigen. Bei systemischer Anwendung von Tacrolimus wurde die Unverträglichkeit bisher nicht beschrieben. Die Patienten sollen auf die mögliche Unverträglichkeit aufmerksam gemacht werden.
Vorsicht: Alkohol und zentral dämpfende Medikamente, zum Beispiel Benzodiazepine und andere Psychopharmaka, ergänzen sich in ihrer sedierenden Wirkung.
Foto: Fotolia/mdi
Eine ungewöhnliche Wechselwirkung wurde mit dem Retinoid Acitretin (Beispiel: Neotigason®) und Ethanol beobachtet. Das Medikament wird bei schweren Formen der Psoriasis und anderen Verhornungsstörungen der Haut eingesetzt. Bei Aufnahme von Ethanol während einer Acitretin-Therapie kann daraus dessen Ethylester Etretinat gebildet werden. Beide Stoffe wirken teratogen; allerdings wird Etretinat aufgrund seiner hohen Lipophilie im Fettgewebe gespeichert und daraus sehr langsam freigesetzt, sodass der teratogene Effekt länger anhalten kann (Kasten 2). Frauen im gebärfähigen Alter dürfen während der Behandlung mit Acitretin daher in keiner Form Ethanol aufnehmen. Dies gilt auch für mindestens zwei Monate nach Ende der Acitretin-Einnahme.
Verstärkte zentral dämpfende Wirkung
Chloralhydrat (Beispiel: Chloraldurat®) und Ethanol haben überadditive zentral dämpfende Wirkungen. Chloralhydrat wird durch die Alkoholdehydrogenase zu dem stark hypnotisch wirkenden Metaboliten Trichlorethanol metabolisiert. Durch den Ethanol-Metabolismus steht vermehrt NADH zur Verfügung, sodass die Reduktion von Chloralhydrat zu Trichlorethanol gesteigert wird. Die Konkurrenz um die Alkoholdehydrogenase kann auch zu höheren Blutalkoholwerten beitragen.
Patienten, die Chloralhydrat erhalten, sollte der Apotheker auf die starke Benommenheit hinweisen, die durch Alkohol hervorgerufen werden kann. Deshalb ist dieser möglichst zu meiden (Tabelle 2).
Bei Einnahme von Ethanol während einer Behandlung mit zentral dämpfenden Pharmaka (zum Beispiel ältere sedierende Antiepileptika, Anticholinergika, Cannabinoide, Dopaminantagonisten, Opioidanalgetika, Antidepressiva, Benzodiazepine, ältere, stark sedierende Antihistaminika, Antipsychotika) muss mit verstärkten Wirkungen wie Sedierung, Benommenheit und verminderter Aufmerksamkeit gerechnet werden. In Einzelfällen können lebensbedrohliche Zustände durch Atemdepression und kardiovaskuläre Dämpfung auftreten. Additive oder synergistische pharmakodynamische Effekte sind die Ursache. Eine vermehrte Absorption, zum Beispiel durch den Dopaminantagonisten Metoclopramid und eine Hemmung des oxidativen Metabolismus könnten ebenfalls dazu beitragen.
Patienten, die zentral dämpfende Pharmaka einnehmen, müssen wissen, dass schon geringe Mengen an Ethanol Benommenheit hervorrufen und die Konzentrationsfähigkeit sehr stark beeinträchtigen können. Dabei ist auch an ethanolhaltige Arzneimittel zu denken. Keinesfalls dürfen größere Alkoholmengen getrunken werden.
Die sogenannten nicht sedierenden, neueren H1-Blocker (Antihistaminika wie Acrivastin, Azelastin, Cetirizin, Desloratadin, Ebastin, Fexofenadin, Levocetirizin, Loratadin, Mizolastin, Terfenadin) haben in Studien kaum verstärkte zentral dämpfende Wirkungen mit Ethanol gezeigt. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass einzelne Menschen mit Sedierung, Benommenheit und verminderter Konzentrationsfähigkeit reagieren. Die interindividuelle Empfindlichkeit auf sedierende Effekte ist beträchtlich. Daher gilt: Bei den nicht sedierenden Antihistaminika sind additive zentral dämpfende Wirkungen mit Alkohol unwahrscheinlich; dennoch ist auch hier der Verzicht auf Alkohol ratsam.
Für einzelne Arzneistoffe mit potenziell sedierenden Effekten, zum Beispiel für einige Serotonin-Reuptake-Hemmer und für neuere Antihistaminika, wurde in Studien an gesunden Probanden keine verstärkte Wirkung durch Ethanol gefunden. Dennoch soll man grundsätzlich damit rechnen. Außerdem lässt in vielen Fällen auch die behandelte Grundkrankheit einen Alkoholverzicht ratsam erscheinen.
Ethanol fördert offenbar die Veresterung von Acitretin zu seinem Ethylester Etretinat. Dessen Plasmakonzentrationen scheinen mit der eingenommenen Ethanol- menge beziehungsweise plasmakonzen- tration zu steigen.
Etretinat wird aufgrund seiner hohen Lipophilie im Fettgewebe gespeichert und daraus langsam freigesetzt. Seine Halbwertszeit beträgt 84 bis 168 Tage, die von Acitretin 33 bis 96 Stunden. Etretinat (früherer Handelsname Tigason®) wurde 1988 wegen seiner starken und lange nach dem Absetzen anhaltenden teratogenen Wirkung durch Acitretin ersetzt.
Alkohol in Arzneimitteln
Arzneimittel für die innere Anwendung am Menschen müssen je nach Ethanolgehalt der maximalen Einzeldosis mit abgestuften Warnhinweisen auf Sekundärverpackung und in Gebrauchs- und Fachinformationen gekennzeichnet werden. Bei Arzneimitteln mit einem Ethanolgehalt von mehr als 3,0 g in der maximalen Einzeldosis muss in der Fachinformation auch darauf hingewiesen werden, dass die Wirkung anderer Arzneimittel verändert werden kann. Vor allem Zytostatika-Infusionslösungen mit Taxanen und Gemcitabin enthalten Ethanol in höherer Konzentration.
In der ABDA-Datenbank sind entsprechende Fertigarzneimittel mit einem Standard-Hinweissatz auf den Ethanolgehalt und die damit verbundenen Risiken versehen. Interaktionen werden bei Arzneimitteln mit einem Ethanolgehalt von mehr als 3,0 g in der maximalen Einzelgabe angezeigt.
Sonderfall: Paracetamol bei Alkoholabhängigen
Bei alkoholabhängigen Menschen ist die lebertoxische Wirkung von Paracetamol erhöht. Symptome einer Leberschädigung durch Paracetamol sind Übelkeit, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Gelbsucht, Koagulopathie und erhöhte Transaminase-Werte. Die Letalität ist hoch.
Paracetamol ist daher bei Menschen mit schwerer Leberinsuffizienz kontraindiziert. Bei chronischem Alkoholmissbrauch und bei Leberinsuffizienz ist Vorsicht geboten. Arzt und Apotheker müssen im Einzelfall prüfen, ob andere Analgetika infage kommen. Als Alternativen sind Salicylate und nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAID) nur mit Einschränkung empfehlenswert, da sie bei gleichzeitiger Alkoholzufuhr das Risiko von gastrointestinalen Blutungen erhöhen. Wird Paracetamol eingesetzt, ist unbedingt die Tageshöchstdosis von 4 g einzuhalten. /
Literatur
Diese Übersicht wurde erstellt auf Basis der Monographien zu Ethanol-Interaktionen der ABDA-Datenbank. In diesen Monographien werden viele Originalarbeiten zitiert.
Weiterführende Literatur zur Toxikodynamik und Toxikokinetik von Ethanol:
Petra Zagermann-Muncke studierte Pharmazie in Frankfurt am Main und erhielt 1980 die Approbation als Apothekerin. 1984 wurde sie mit einer pharmakologischen Dissertation promoviert. Seit 1986 ist sie Mitarbeiterin der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker und von ABDATA Pharma-Daten-Service. 1993 erhielt sie die Anerkennung als Fachapothekerin für Arzneimittelinformation.
Dr. Petra Zagermann-Muncke, ABDATA Pharma-Daten-Service, Carl-Mannich-Straße 26, 65760 Eschborn, E-Mail: p.zagermann(at)abdata.aponet.de