Nötig und unabwendbar |
18.09.2012 19:01 Uhr |
Von Daniel Rücker / Welcher Patient soll welche Leistungen bekommen? Politiker mögen diese Diskussion nicht führen. Dabei sei Priorisierung allgegenwärtig im Gesundheitswesen, sagt Professor Dr. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik.
PZ: Gibt es heute in der GKV bereits Priorisierung von Leistungen?
Neubauer: Die Antwort hierzu lautet eindeutig ja! Priorisierung findet sowohl im Gesamtsystem als auch in der Mikrowelt von Arzt und Patient statt. Für das Gesamtsystem gilt nach SGB V, § 4 Abs. 4, dass die Krankenkassen lediglich die notwendige medizinische Versorgung unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit zu gewährleisten haben.
Medizinische Leistungen, die über das Notwendige und Wirtschaftliche hinausgehen, werden damit ausgeschlossen. Hier findet mithin eine Priorisierung nach den genannten Kriterien statt. Aber auch die Zulassungsverfahren für Arzneimittel, Hilfsmittel sowie diagnostische und therapeutische Verfahren durch den Gemeinsamen Bundesausschuss stellen eine Priorisierung der Leistungen nach ihrer Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit dar.
PZ: In welchem Bereich ist die Priorisierung am ehesten zu erkennen?
Neubauer: Deutlich wird die Priorisierung bei der Vergabe von Organtransplantaten. Hier findet eine Priorisierung nach dem Grad der Lebensbedrohlichkeit und der Wartezeit der Patienten statt. Ganz allgemein gilt aus ökonomischer Sicht, dass immer wo Ressourcen knapp sind, auch eine Priorisierung stattfinden muss.
PZ: Geht es bei der Priorisierung immer um medizinische Interventionen oder gibt es auch andere Formen?
Neubauer: Ja. Im Mikrobereich Arzt und Patient ist es die Zeit, die Ärzte, Pflegepersonal, Therapeuten und auch Apotheken für die Patienten innerhalb eines begrenzten Arbeitszeitvolumens aufbringen können. So ist in den meisten Krankenhäusern die Zuwendungszeit des Pflegepersonals für die Patienten nach dem Grad der Hilfsbedürftigkeit priorisiert. Ebenso werden operative Eingriffe nach dem Grad der Dringlichkeit priorisiert. Hier ist der Hintergrund für die Priorisierung die knappe Arbeitszeit, die oft auch tariflich begrenzt ist.
PZ: Wird die Priorisierung von Leistungen in Zukunft zunehmen?
Neubauer: Wenn wir davon ausgehen, dass in Zukunft der Bedarf an Gesundheitsleistungen steigen wird, während auf der anderen Seite die finanziellen Ressourcen restriktiver zur Verfügung gestellt werden, ist eine zunehmende Bedeutung der Priorisierung zu erwarten. Dabei gehen wir davon aus, dass die Priorisierung im Bereich der therapeutischen Dienstleistungen und Beratungen weitergehend sein wird als im Bereich der Waren, wie Arznei- und Hilfsmittel. Letztere können industriell effizient gefertigt werden, während Dienstleistungen an die Zahl des Fachpersonals gebunden sind, die demografiebedingt schrumpfen wird. Ob Dienstleistungen dann durch eine Technik wie Telemedizin ersetzt werden können, hängt aucht von der Akzeptanz durch die Patienten ab. Immerhin ergibt sich hier ein Ansatz, die Priorisierung erträglicher zu gestalten.
PZ: Ist Priorisierung sinnvoll?
Neubauer: Zunächst müssen wir feststellen, dass Priorisierung notwendig und unabwendbar ist, auch wenn sie mit Einschränkungen für die Patienten einhergeht. Des Weiteren aber kann Priorisierung auch helfen, die Priorisierung für lebensnotwendige Gesundheitsleistungen zu reduzieren. Diese paradox klingende Aussage erhellt sich, wenn durch die Priorisierung etwa die Leistungen, die der Versicherte und Patient persönlich erbringen oder finanzieren kann, aus dem GKV-Katalog ausgegliedert werden. Dadurch erweitert sich der Ressourcenrahmen für lebenswichtige Leistungen und damit kann auch die Rationierung für diesen Leistungsbereich abgemildert werden. /