Keine Angst vor Dauermedikation |
18.09.2012 16:19 Uhr |
Von Daniela Biermann / Bei ärztlich abgeklärter chronischer Verstopfung spricht nichts gegen den Dauergebrauch von Laxanzien. Wie eine neue Leitlinie die einzelnen Medikamente gewichtet und welche Möglichkeiten es noch gibt.
Bei Patienten mit chronischer Verstopfung ist eine langfristige Einnahme von Abführmitteln sinnvoll und unbedenklich. Das sollten Apotheker in der Beratung bedenken, erklärte Dr. Viola Andresen von der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg. Jedoch sollte ein Arzt die Ursache der Obstipation vor der Behandlung abklären, zum Beispiel, ob eine Grunderkrankung wie eine Schilddrüsenfehlfunktion vorliegt, oder ob Medikamente wie Opiate den Darm lähmen. »Verstopfung wird oft bagatellisiert, auch wenn schwere Störungen vorliegen«, so die Ärztin. Dabei ist der Leidensdruck groß. Es gebe keine Daten, die diesen Patienten Angst vor einer maßvollen Dauermedikation machen müssten, so Andresen. Ausnahmen sind Patienten mit Obstipation aufgrund psychischer Erkrankungen oder Essstörungen.
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Andresen ist Mitautorin der neuen Leitlinie gegen chronische Verstopfung, die Ende des Jahres veröffentlicht wird. Bei einer Pressekonferenz kurz vor Beginn des Kongresses Viszeralmedizin stellte sie einige Änderungen in der Therapie der Erkrankung vor. »Die Behandlung hängt davon ab, wie stark die Symptome sind, wie gut der Patient auf die Maßnahmen anspricht und ob er diese verträgt«, so Andresen. An erster Stelle stehen weiterhin eine ballaststoffreiche Ernährung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung, gefolgt von Ballaststoffpräparaten wie Flohsamen und Weizenkleie. Dies reiche jedoch bei vielen Patienten nicht aus. »Ballaststoffe bringen nur etwas bei gesundem Darm«, mahnte Andresen. Auch der Rat, mehr zu trinken, helfe nicht weiter, wenn der Patient bereits zwei bis drei Liter am Tag trinkt.
Falls diese Basismaßnahmen nicht helfen, muss der Arzt feststellen, ob eine Entleerungsstörung vorliegt, zum Beispiel durch eine Muskelfehlfunktion. Falls ja, kommt eine künstliche Darmentleerung mittels abführender Suppositorien und Klysmen zum Einsatz. Anschließend folgt eine Spezialdiagnostik. Liegt eine funktionelle Störung vor, wird mit Biofeedback-Methoden gearbeitet. »Einige Patienten haben sich einen fehlerhaften Entleerungsmechanismus angewöhnt«, so Andresen. Biofeedback soll dabei helfen, wieder mehr Kontrolle über die Darmentleerung zu gewinnen. Liegt eine mechanische Blockade vor, zum Beispiel durch Einstülpungen im Darmbereich, wird operiert. Unterstützend erhält der Patient Suppositorien, Klysmen oder Laxanzien. »Von allen Obstipierten muss bei weniger als einem von 1000 eine Operation erwogen werden«, beruhigte Professor Dr. Stefan Post, Direktor der Chirurgischen Klinik am Uniklinikum Mannheim.
Liegt keine Entleerungsstörung vor, ist aber der Transport im Darm gelähmt, kommen als Therapien der ersten Wahl Macrogol, Bisacodyl und Natriumpicosulfat zum Einsatz. In die zweite Reihe gerückt sind Lactulose und andere Zucker sowie Anthrachinone. »Die Patienten finden dabei oft ihr eigenes Einnahmeschema«, so Andresen. »Wenn Laxanzien gut wirken und der Patient sie verträgt, können sie auch längerfristig eingesetzt werden.« Spricht die Therapie nicht an, können Präparate gewechselt oder kombiniert werden sowie Suppositorien und Klysmen ergänzt werden.
In dritter Linie kommt der neue Arzneistoff Prucaloprid zum Einsatz. Der 2010 zugelassene 5-HT4-Agonist aktiviert direkt die Darmmotorik. Hier gebe es gute Wirkbelege für Patienten, bei denen die herkömmlichen Laxanzien nichts gebracht haben, so Andresen. Der Mehrzahl der Patienten könne mit dem Prokinetikum geholfen werden. Noch nicht zugelassen seien Lubiproston, das bereits in den USA und der Schweiz auf dem Markt ist, sowie Linaclotid. Beide Substanzen fördern die Wasser- und Elektrolyt-Sekretion in den Darm. Lubiproston, ein Prostaglandin-E1-Derivat, kann importiert und Off Label eingesetzt werden, so Andresen. Linaclotid ist der erste Vertreter der Guanylatcyclase-C-Agonisten. Das Peptid hat Ende August in den USA die Zulassung bekommen; in der EU läuft das Verfahren noch.
Bei Opioid-bedingter Verstopfung helfen Opioid-Antagonisten; auch größere Klysmen oder eine Lavage kommen infrage. Die Medikamente erster, zweiter und dritter Wahl können zudem kombiniert werden. Hilft alles nichts, zieht der Arzt eine Sakralnervenstimulation durch einen Darmschrittmacher oder eine teilweise Entfernung gelähmter Dickdarmareale in Betracht. /