Tipps für die Praxis |
11.09.2008 13:40 Uhr |
Tipps für die Praxis
Von Ralf Goebel, Nina Griese und Martin Schulz
Mit der Neufassung des Rahmenvertrages nach § 129 Absatz 2 SGB V zum 1. April 2008 ist es möglich, pharmazeutische Bedenken zu äußern und damit im Einzelfall von der Verpflichtung zur Abgabe des rabattbegünstigten Arzneimittels abzusehen. Die PZ widmet sich in einer neuen Serie den häufigsten Fragestellungen zum praktischen Umgang mit pharmazeutischen Bedenken.
Die Neufassung des Rahmenvertrages nach § 129 Absatz 2 SGB V zum 1. April 2008 hat neben der Erweiterung der Arzneimittelauswahl auf die Bereiche, in denen keine Hinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen vorliegen, zwei weitere wichtige Neuerungen gebracht. Diese bestehen darin, dass in Fällen der Akutversorgung sowie bei pharmazeutischen Bedenken im begründeten Einzelfall von der Verpflichtung zur Abgabe des rabattbegünstigten Arzneimittels abgesehen werden kann. In diesem ersten Artikel der PZ-Serie werden grundlegende Informationen zur Auswahl rabattbegünstigter Arzneimittel und zu pharmazeutischen Bedenken gegeben sowie am Beispiel der Verordnung eines Inhalationssystems das praktische Vorgehen erläutert.
Aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 129 SGB V sind Arzneimittel mit Rabattvertrag nach § 130a Absatz 8 SGB V im Aut-idem-Bereich vorrangig abzugeben. Dies gilt sowohl bei namentlicher Verordnung des Arzneimittels als auch bei Wirkstoffverordnungen. Im § 4 Absatz 1 des Rahmenvertrages sind die Voraussetzungen für die Arzneimittelauswahl beschrieben. In der Regel unterstützt die Apothekensoftware die Prüfung dieser Voraussetzungen. Die allgemeinen Voraussetzungen, nach denen die Software prüft, ob Rabattarzneimittel im Aut-idem-Bereich vorliegen, sind:
a) gleicher Wirkstoff (Die verschiedenen Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe und Derivate eines Wirkstoffes gelten als ein und derselbe Wirkstoff, es sei denn ihre Eigenschaften unterscheiden sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erheblich hinsichtlich der Unbedenklichkeit oder der Wirksamkeit (§ 24b AMG, bezugnehmende Zulassung für Generika).)
b) gleiche Wirkstärke
c) gleiche Packungsgröße
d) gleiche oder austauschbare Darreichungsform
e) gleicher Indikationsbereich
f) keine einer Ersetzung des verordneten Arzneimittels entgegenstehenden betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften
Wenn Rabattarzneimittel diese Voraussetzungen erfüllen, so ist die Apotheke vertraglich verpflichtet, diese vorrangig abzugeben. Von der Verpflichtung zur Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels kann nur in drei Ausnahmesituationen abgewichen werden:
1) in Fällen der Akutversorgung
2) im Notdienst sowie
3) bei pharmazeutischen Bedenken.
Beispiel Inhalationssysteme
Für die Apotheken besteht aufgrund der Neufassung des Rahmenvertrages explizit die Möglichkeit, von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abzusehen, wenn der Abgabe aus Sicht des Apothekers im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken (§ 17 Absatz 5 Apothekenbetriebsordnung) entgegenstehen. Pharmazeutische Bedenken bestehen, wenn durch den Präparateaustausch trotz zusätzlicher Beratung des Patienten der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit im konkreten Einzelfall gefährdet sind.
In bestimmten Situationen sollte der Austausch mit einem rabattbegünstigten Arzneimittel vor dem Hintergrund pharmazeutischer Bedenken kritisch überprüft werden. Eine Nicht-Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels kann aus einem schwerwiegenden Problem oder häufiger aus einer Kombination mehrerer Probleme aus verschiedenen Problemkategorien resultieren (siehe Problemkategorien A bis G in der folgenden Tabelle).
Problemkategorien | Beschreibung mit Beispielen |
---|---|
A | Problematische Arzneistoffe - geringe therapeutische Breite: zum Beispiel Opioide - hohes Nebenwirkungspotenzial: zum Beispiel Opioide |
B | Problematische Applikationsformen beziehungsweise Applikationssysteme bei Austausch - TTS/Pflaster (zum Beispiel Fentanyl) - ... |
C | Gefährdung des Therapieerfolgs oder der Arzneimittelsicherheit durch Non-Compliance -ältere Patienten mit Polypharmazie - ... |
D | Problematische Dosierung (mit Applikationshilfen) - Tropfen (Peroralia, ...) - Säfte (Peroralia) |
E | Problematische (lebensbedrohliche) Erkrankungen - maligne Tumorerkrankungen - ... |
F | Problematische Patientengruppen - Patienten mit neurologischen oder psychischen Krankheiten - ältere, multimorbide Patienten - ... |
G | Problematische Hilfs- und Zusatzstoffe für bestimmte Patienten - Allergie gegen Farb- oder Konservierungsstoffe oder Sulfite - Alkohol, zum Beispiel bei Alkoholikern |
Am Beispiel einer Verordnung eines Budesonid-Pulverinhalators ist nachfolgend dargestellt, wie in der Apotheke vorgegangen werden könnte: Für einen 66-jährigen Hausapothekenpatienten, der bei der AOK Stuttgart versichert ist, wurde Pulmicort® Turbo 200, 200 ED verordnet. Nach der Eingabe des verordneten Arzneimittels und der Krankenkasse prüft die Apothekensoftware, ob rabattbegünstigte Arzneimittel vorliegen, die den gleichen Wirkstoff, die gleiche Packungsgröße, die gleiche oder austauschbare Darreichungsform auf Basis der entsprechenden Angabe im ABDA-Artikelstamm und den gleichen Indikationsbereich aufweisen. Die Apothekensoftware zeigt bei der Eingabe von Pulmicort® Turbo 200, 200 ED für den Patienten der AOK Stuttgart fünf verschiedene Rabattarzneimittel mit dem gleichen Indikationsbereich an.
Die angezeigten Pulver-Inhalationssysteme weisen alle eine abweichende Inhalationstechnik zum verordneten Präparat auf. Die Software zeigt diese unterschiedlichen Inhalationssysteme an, da für die Gleichheit der Darreichungsform laut Rahmenvertrag die entsprechende Angabe im ABDA-Artikelstamm (auf Basis der IfA-Meldung des Herstellers) maßgeblich ist. Da alle aufgeführten Pulver-Inhalationssysteme als Inhalationspulver im ABDA-Artikelstamm geführt sind, werden diese von der Software aufgeführt.
In der Apotheke können gegen den Austausch eines rabattbegünstigten Applikationssystems mit abweichender Inhalationstechnik vom Vorgängerpräparat pharmazeutische Bedenken geäußert werden, wenn durch den Präparateaustausch der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit des Patienten gefährdet sind. Wie die VITA-Studie gezeigt hat, liegt die Fehlerquote bei der Anwendung inhalativer Arzneimittel bei etwa 80 Prozent (1). Dies zeigt, dass es sich hier um ein Fertigarzneimittel handelt, bei dem auch ohne Umstellung auf ein neues Inhalationssystem viele Fehler auftreten, die die sichere Wirkung der inhalativen Arzneimittel beeinflussen können. Um die mögliche Gefährdung des Patienten durch eine Umstellung auf ein Rabattarzneimittel mit anderer Inhalationstechnik zu erkennen, ist im ersten Schritt zu hinterfragen, ob es sich um eine Erst- oder eine Wiederholungsverordnung handelt. Bei einer Erstverordnung ist normalerweise keine Gefährdung des Patienten zu erwarten, es sei denn, besondere Patientenfaktoren (Fingerfertigkeit, Koordinationsschwierigkeiten) haben zur Auswahl dieses bestimmten Systems geführt. Bei einer Wiederholungsverordnung sind folgende Fragen zu klären:
Schafft der Patient die Umstellung auf ein anderes Inhalationssystem nach angemessener Erläuterung der Inhalationstechnik in der Apotheke?
Wie kommt der Patient mit dem bisherigen Inhalationssystem zurecht? Hat das Rabattarzneimittel gegebenenfalls sogar Vorteile?
Gab es Gründe, warum er dieses Inhalationssystem verordnet bekommen hat?
Wendet der Patient noch andere Arzneistoffe inhalativ an? Mit welcher Inhalationstechnik? Wie kommt er damit zurecht?
Im Verlauf des Beratungsgesprächs wird für das pharmazeutische Personal der Apotheke klar, dass die Umstellung auf ein anderes Inhalationssystem diesem 66-jährigen Patienten nicht vermittelt werden kann. Die Schulung der Inhalationstechnik war ein langer, aufwendiger Prozess. Die Apotheke entscheidet sich daher, pharmazeutische Bedenken gegen die Abgabe eines Rabattarzneimittels mit anderer Inhalationstechnik zu äußern und das verordnete Präparat abzugeben. Die nach dem Rahmenvertrag vorgeschriebene Dokumentation der pharmazeutischen Bedenken auf der Verordnung ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Dabei ist darauf zu achten, dass die Software das Faktorenfeld mit der Schlüsselzahl bedruckt, da dies für die Bearbeitung notwendig ist. Des Weiteren hinterlegt der bearbeitende Mitarbeiter elektronisch eine Notiz in der Patientendatei, sodass dieser Patient bei der nächsten Wiederholungsverordnung von Pulmicort® Turbo aus den benannten und dokumentierten Gründen erneut dieses Präparat bekommt und nicht Rabattarzneimittel mit einer anderen Inhalationstechnik. Es kann auch eine Rücksprache mit dem Arzt sinnvoll sein, da ja auch der verordnende Arzt durch das Aut-idem-Kreuz ein bestimmtes Arzneimittel vorschreiben kann, das der Apotheker dann nicht austauschen darf.
Dokumentationen von pharmazeutischen Bedenken auf dem Rezept
Foto: Lauer-Fischer/WINAPO
Bei der Verordnung von Inhalationssystemen sind zwei weitere Punkte beim Austausch von Rabattarzneimitteln in der Apotheke zu berücksichtigen:
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Handelt es sich um ein wiederbeladbares Inhalationssystem? Hat der Patient bei Nachfüllpackungen den richtigen Inhalator zu Hause?
Handelt es sich um die gleiche Packungsgröße?
Bekommt der gleiche Patient Pulmicort® Turbo 200, 100 ED verordnet, werden die gleichen Rabattarzneimittel wie bei einer Verordnung von Pulmicort® Turbo 200, 200 ED von der Software angegeben. Alle vorgeschlagenen Rabattarzneimittel enthalten 200 Einzeldosen und nicht 100 Einzeldosen wie die Verordnung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Packungsgröße momentan auf die Menge im ABDA-Artikelstamm bezieht. Diese ist bei den Inhalationssystemen auf die Anzahl der Inhalationssysteme und nicht auf die Einzeldosen bezogen. Daher kann es bei Inhalationssystemen vorkommen, dass die Packungsgrößen der angezeigten Rabattarzneimittel nicht gleich sind. Diese Prüfung muss daher durch den pharmazeutischen Mitarbeiter vorgenommen werden. Bei den meisten Darreichungsformen ist die Packungsgröße gleich, wenn die Menge im ABDA-Artikelstamm gleich ist und es muss nicht manuell in der Apotheke geprüft werden. Es gibt allerdings einige wenige Ausnahmen, wie Inhalationssysteme. In diesen Fällen muss bei der Prüfung der betroffenen Darreichungsformen zum Beispiel auch die Anzahl der Sprühstöße beachtet werden.
Das Beispiel zeigt, dass die Einführung der pharmazeutischen Bedenken ein wichtiger Schritt ist, um die Arzneimittelsicherheit und -wirksamkeit beim Austausch eines verordneten Arzneimittels gegen ein Rabattarzneimittel zu gewährleisten. Nicht jeder Austausch, der von der Apothekensoftware vorgeschlagen wird, ist unproblematisch und ohne Risiken. Die neue PZ-Reihe soll die Apotheke darin unterstützen, entsprechende Risiken zu erkennen. Durch die Möglichkeit, pharmazeutische Bedenken zu äußern, können arzneimittelbezogene Probleme identifiziert und verhindert werden. Daher stärkt die im Rabattvertrag verankerte Möglichkeit, pharmazeutische Bedenken zu äußern, die pharmazeutische Kompetenz und den freien Heilberuf des Apothekers. Es bedeutet daneben sicher auch wirtschaftliche Verantwortung. Diese gilt es nun verantwortlich und vertragsgemäß im Sinne der Patienten und des Systems in der Apotheke zu nutzen.
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Sauer, B., Bessere Anwendung dank Apotheker, Pharm. Ztg. 51-52 (2007) 30
Anschrift für die Verfasser:
Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP)
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin