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Fortpflanzungsmedizin

Experten fordern neues Verfahren

16.09.2008  14:51 Uhr

Fortpflanzungsmedizin

Experten fordern neues Verfahren

Von Bettina Sauer, Berlin

 

Experten fordern Änderungen im Embryonenschutzgesetz, insbesondere die Erlaubnis des sogenannten elektiven Single-Embryo-Transfers. Das schreiben sie in einem Gutachten, das sie nun in Berlin vorstellten.

 

Schätzungsweise 1,2 bis 1,5 Millionen Paare in Deutschland sind ungewollt kinderlos. Allein 2006 unterzogen sich 38.551 Frauen einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation oder IVF). Das geht aus dem jüngsten Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers hervor. Im selben Jahr kamen dem Bericht zufolge 6519 Kinder durch künstliche Befruchtung lebend zur Welt, darunter 2029 Zwillinge und 117 Drillinge. Diese hohe Rate an Mehrlingsschwangerschaften kommt dadurch zustande, dass Patientinnen meist zwei oder drei künstlich befruchtete Eizellen in die Gebärmuter gesetzt bekommen, um die Einnistungswahrscheinlichkeit zu erhöhen. In Deutschland dürfen bis zu drei Embryonen pro Behandlungszyklus entstehen, und die Patientin muss alle erzeugten Embryonen eingesetzt bekommen. So schreibt es das Embryonenschutzgesetz von 1991 vor, um der Entstehung überschüssiger Embryonen und ihrer möglichen missbräuchlichen Verwendung vorzubeugen.

 

An dieser Stelle möchten Experten das Gesetz ändern. Das steht in einem Gutachten, das sie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung verfassten und nun in Berlin vorstellten. Sie fordern darin die Einführung des elektiven Single-Embryo-Transfers (eSET). Dabei erzeugen Reproduktionsmediziner mehrere Embryonen und wählen darunter lichtmikroskopisch den besten aus. Nur diesen setzen sie in die Gebärmutter der Patientin ein. »Ein Embryo mit einem günstigen morphologischen Erscheinungsbild hat auch eine besonders hohe Chance auf eine erfolgreiche Einnistung«, erläuterte Privatdozent Dr. Georg Griesinger von der Frauenklinik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. »Zugleich sinkt natürlich die Wahrscheinlichkeit von Mehrlingsschwangerschaften.« Diese bezeichnete er als »Risikoschwangerschaften«: »Bei den Müttern führten sie vermehrt zu körperlichen und psychischen Belastungen, wie etwa Schwangerschaftsbluthochdruck oder postnataler Depression.« Und die Frühgeborenenrate von Zwillingen liege bei 50 Prozent, im Fall von Drillingen sogar bei 100 Prozent.

 

In einigen Ländern komme der eSET bereits erfolgreich zum Einsatz, heißt es in dem Gutachten. In Schweden etwa sei nach der Einführung die Inzidenz von Mehrlingsgeburten von 19,4 Prozent im Jahr 2002 auf 5,7 Prozent im Jahr 2004 gesunken. Die Lebendgeburtenrate pro Embryotransfer sei im gleichen Zeitraum relativ stabil geblieben. »Allerdings entstehen bei der Anwendung von eSET weitaus mehr entwicklungsfähige Embryonen als bisher«, sagte Griesinger. »Entsprechend kritisch werden Politiker unseren Vorschlag diskutieren.« Das Gutachten schlägt vor, überzählige Embryonen in flüssigem Stickstoff für mögliche spätere Behandlungen des Kinderwunschpaares einzufrieren oder sie dem »Absterbenlassen zuzuführen«. Eine »fremdnützige Verwendung« der Embryonen, etwa für Forschungszwecke, solle verboten bleiben.

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