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Arzneimittelwerbung

Liberalisierung auf schmalem Grat

18.09.2007  16:57 Uhr

Arzneimittelwerbung

Liberalisierung auf schmalem Grat

Von Christian Lahm, Berlin

 

Das weitgehende Arzneimittelwerbeverbot in der EU wackelt. Längst können Patienten in den 27 Ländern der erweiterten Union etwa auf amerikanischen Websites mehr über verschreibungspflichtige Medikamente lesen als vielen Gesundheitspolitikern in der Europäischen Union lieb ist. Was davon seriös ist, erkennen Laien oft nicht.

 

Deshalb will die Europäische Kommission 2009 den Zugang zu Arzneimittelinformationen grundlegend neu ordnen. Seit sieben Jahren versuchen Politik und Industrie, sich dem heiklen Thema in zwei hochrangig besetzten Zirkeln anzunähern - bislang vor allem hinter verschlossenen Türen. Doch nun strebt das »Pharmaceutical Forum« an, in anderthalb Jahren Nägel mit Köpfen machen.

 

Das Forum wurde 2005 von der Europäischen Kommission als industriefreundliche Nachfolge-Institution des G-10-Prozesses gegründet. Die G-10-Arzneimittelgruppe war eingerichtet worden, um zu erarbeiten, welchen Beitrag der Pharmasektor leisten kann, um das 2000 in Lissabon formulierte strategische Ziel zu erreichen: nämlich die EU zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.

 

Eckpunkte für Richtlinie bis 2009

 

Das auf Initiative der EU-Kommissare Günter Verheugen (Erweiterung) und Markos Kyprianou (Gesundheit) etablierte Arzneimittelforum will bis 2009 Eckpunkte für einen Richtlinienvorschlag erarbeiten. Um Information von Werbung zu unterscheiden, werden vom Forum Qualitätskriterien entwickelt, die als juristische Grundlage dienen sollen. Am Ende sind angeglichene Informationsverhältnisse in Europa beabsichtigt.

 

Das Forum besteht aus den Ministern und Entscheidungsträgern der 27 EU-Mitgliedsländer, Vertretern der Brüsseler Kommission, des Europäischen Parlaments (EP) und wichtiger Stakeholder-Organisationen. Es soll die politische Richtung erarbeiten. Dabei muss es versuchen, ein Gleichgewicht zwischen der Stärkung der Pharmabranche auf der einen und dem Gesundheitsschutz auf der anderen Seite zu finden.

 

Denn die Schar der Kritiker ist groß. Sie befürchten, liberalisierte Arzneimittelinformationspolitik weiche nur das direkte Werbeverbot zum Schaden von Verbrauchern auf. 2004 lehnte das Europäische Parlament schon mal eine als »Information« getarnte Direktwerbung für rezeptpflichtige Medikamente ab.

 

Während die Politik die Patienten schützen und künstlich stimulierten Arzneikonsum nicht zuletzt wegen der Kosten für die ohnehin finanzschwachen gesetzlichen Krankenversicherungssysteme wie in Deutschland verhindern muss, stöhnt Europas Pharmaindustrie über die Fesseln der Reglementierung. Sie sieht die eigene Wettbewerbsfähigkeit wegen der in den USA erlaubten Direktwerbung für rezeptpflichtige Medikamente seit Jahren behindert. Im deutschen Lager der forschenden Arzneimittelhersteller wird geklagt, jetzt, da jeder und jedes Medium über einzelne Präparate in der Öffentlichkeit reden kann, hat die Pharmaindustrie aufgrund geltender Gesetz nicht mal die Möglichkeit, etwas öffentlich zu berichtigen oder klarzustellen. Es ergebe keinen Sinn mehr, dass jeder entsprechende Informationen via Internet aus allen Ländern sammeln könne, während hierzulande die speziellen Daten und Fakten für verschreibungspflichtige Medikamente immer noch Fachkreisen wie Apothekern und Ärzten vorbehalten seien. Diese Vorschriften zu ändern, wäre nach Auffassung der Hersteller schlicht ein Gebot von Gleichbehandlung und Fairness. Zumal der Ruf nach Informationen über Produkte umso lauter werde, je häufiger und anteilig höher Patienten Kosten für Arzneimittel selber bezahlen müssen.

 

Immense Vorbehalte

 

Gleichwohl sind die Vorbehalte gegen eine Lockerung der Arzneimittelwerbung bei Verbraucherschützern, Europaabgeordneten, aber auch Krankenkassen und nationalen Regierungen nach wie vor immens. Um sie zu zerstreuen, plädiert Verheugen für folgende Kompromisslinie: »Die Grenze zur Produkthaftung wird nicht überschritten. Und es wird klar festgelegt werden, an welchen Regeln und Kriterien sich die Informationen orientieren müssen.«

 

Ob solche Zusicherungen reichen, bleibt allerdings fraglich. Die deutschen Betriebskrankenkassen halten sie bisher für wenig glaubwürdig, erst recht, wenn sie an freiwillige Selbstverpflichtungen gebunden sein sollten. Sie erklären: Im Interesse der Versicherten muss das Ziel objektiver Arzneimittelinformationen verteidigt werden.

 

Genau dies, so beteuert Luxemburgs Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo als Forums-Insider, sei die Absicht der Kommission. Diese habe nicht vor, die Bestimmungen für die Medikamentenwerbung zu lockern. Vielmehr solle eine Strategie entwickelt werden, um Verbrauchern eine qualitative, objektive und zuverlässige Information zu bieten.

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