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Zytostatika-Ausschreibungen

Ärzte und Apotheker wehren sich

14.09.2016  10:13 Uhr

Von Christina Müller, Berlin / Der Streit um die Zytostatika- Ausschreibungen einiger Krankenkassen droht zu eskalieren. Laut Ärzten und Apothekern gefährden diese das Versorgungsniveau von Krebspatienten in Deutschland. Daher fordern sie ein Verbot exklusiver Vereinbarungen zwischen Kassen und einzelnen Apotheken. Die Kostenträger wehren sich.

Aus der Sicht von Professor Stephan Schmitz, Vorsitzender des Berufsverbands der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO), setzen die Kostenträger die Qualität der Behandlung schwerkranker Menschen aufs Spiel: Die umstrittenen Ausschreibungen für individuell zubereitete Krebsmedikamente zerstörten die bestehenden Netzwerke zwischen Arztpraxen und Zytostatika herstellenden Apotheken. Bei der Vorstellung eines gemeinsamen Positionspapiers mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV), dem Verband der Zytostatika herstellenden Apotheker (VZA) sowie weiteren Verbänden und Fachgesellschaften forderte er am vergangenen Mittwoch in Berlin den Gesetzgeber auf, solche Ausschreibungen zu unterbinden.

 

Das Bundessozialgericht hatte in einem Urteil vom November 2015 die freie Apothekenwahl für Krebspatienten eingeschränkt. Demnach sind Exklusivverträge zwischen Krankenkassen und Apotheken zur Belieferung der Versicherten mit Krebsmedikamenten zulässig. Bislang macht bundesweit etwa die DAK von der Möglichkeit Gebrauch, ihre Mitglieder von einer Vertragsapotheke exklusiv versorgen zu lassen. Immer mehr Kassen, wie zuletzt einige AOKen, folgen diesem Beispiel.

 

Losgebiete zu weit gefasst

 

Laut VZA-Präsident Klaus Peterseim sind jedoch die Losgebiete, um die sich Apotheken bei den Ausschreibungen bewerben können, geografisch so weit gefasst, dass Zubereitungen mit kurzen Haltbarkeitsspannen von zum Teil wenigen Stunden aufgrund der langen Transportwege die Betroffenen nicht rechtzeitig erreichen. »Es ist unglaublich, dass bei dieser Gefährdungslage die Krankenkassen ihre Ausschreibungen rücksichtslos durchziehen«, sagte er in Berlin.

 

Auch für Schmitz sind diese Zustände untragbar. Oft seien die Zubereitungen gemäß Fachinformation schon abgelaufen, wenn sie beim Arzt ankämen. »Die Verantwortung für den Medikationsprozess trägt aber allein der Onkologe«, betonte er. Viele seiner Kollegen weigerten sich, die verfallenen Arzneien im Wert von oft mehr als 1000 Euro am Patienten anzuwenden. Diese würden daraufhin ungenutzt entsorgt – zu Recht, findet Schmitz.

 

Darüber hinaus würden durch die langen Transportwege sogenannte Ad-hoc-Verschreibungen unmöglich gemacht. Demnach entscheiden manche Onkologen erst nach einer Untersuchung des Patienten darüber, ob er an dem betreffenden Tag therapiefähig ist und verordnen gegebenenfalls kurzfristig die Medikamente. »Die AOK will uns jedoch zwingen, alle Bestellungen am Tag zuvor aufzugeben. Dadurch greift sie in den gesamten Medikationsprozess ein«, kritisiert Schmitz. Dies gefährde letztlich die Therapiehoheit des Arztes.

 

Komplexe Zusammenarbeit

 

Neben den logistischen Problemen fürchtet der Onkologe auch um die Unterstützung der Ärzte durch die umliegenden Offizinen. Die Zusammenarbeit zwischen Onkologen und Zytostatika herstellenden Apotheken sei komplex und Teil der individuellen Gesamtversorgung des Patienten. »Der Prozess ist als Netzwerk zu begreifen, zu dem auch der Apotheker gehört.« Dessen klinisch-pharmakologische Kompetenz spiele für den Erfolg der Therapie eine wesentliche Rolle – nicht zuletzt, weil er etwa auf Wechselwirkungen zwischen Zytostatika und Begleitmedikation prüfe und patientenindividuell berate.

 

Die AOK wehrt sich gegen die »falschen Behauptungen« der Onkologen und Apotheker. Der Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, wirft den beteiligten Verbänden und Fachgesellschaften vor, gezielt Ängste bei den Patienten zu schüren. Es sei »kompletter Unsinn, dass durch Ausschreibungen Chaos entsteht oder die Versorgungsqualität sinkt«, sagte er laut einer Mitteilung der Kasse vom Mittwoch. Das Gegenteil sei der Fall: Sie schafften mehr Transparenz und Ordnung in einem bislang weitgehend undurchsichtigen Markt. »Zudem verkürzen wir damit die Lieferwege, heben die Qualitätsstandards gegenüber der Regelversorgung und kappen die Riesen-Gewinnspanne der Apotheker, auch der Krankenhausapotheken, für die Versichertengemeinschaft.«

 

Für DAV-Chef Fritz Becker ist die Sache klar: Er forderte die Politik auf, die Ausschreibungen auszusetzen. Mit dem geplanten Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung, das derzeit im Entwurf vorliegt und im Herbst in erster Lesung im Parlament beraten werden soll, sei »genau der richtige Zeitpunkt« gekommen, den Praktiken der Kostenträger einen Riegel vorzuschieben. Gemeinsam mit den anderen Unterzeichnern des Positionspapiers werde er auf ein entsprechendes Verbot drängen. »Wir führen bereits Gespräche mit Vertretern des Gesundheitsausschusses und werden diese in den nächsten Tagen fortsetzen.«

 

Zahlreiche Unterstützer

 

Neben DAV, VZA und BNHO haben sich auch der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker, der Berufsverband niedergelassener gynäkologischer Onkologen, die Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie, die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin sowie die Deutsche Krebsgesellschaft der Initiative angeschlossen. /

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