Biologika ohne Wirkstoff |
10.09.2014 09:56 Uhr |
Von Ulrike Holzgrabe / Nicht nur aus Afrika erreichen uns immer mehr Meldungen über Arzneimittelfälschungen. Auch in Europa und Amerika häufen sich die Fälschungsfälle, in jüngster Zeit insbesondere von Biologika, die keinen Wirkstoff enthalten.
In den letzten Monaten ist ein Paradigmenwechsel von Fälschungen zumeist billiger Arzneimittel – vor allem Lifestyle-Präparate wie Viagra®, Cialis® und Levitra® – zu sehr teuren Arzneistoffen wie Biologika zu beobachten. Begonnen hat diese Entwicklung 2012 mit Avastin® (Genentech/Roche), das in Gainsboro, Tennessee, ohne den Wirkstoff Bevacizumab aufgefunden wurde (lesen Sie dazu auch Arzneimittelfälschungen: Von wirkungslos bis gefährlich).
Beim Transport von Arzneimitteln ist die Gefahr von Diebstählen besonders groß.
Foto: imago/imagebroker
Die Spur des im Krankenhaus verwendeten Medikaments ließ sich von Kanada, Großbritannien, Dänemark und der Schweiz bis nach Ägypten zurückverfolgen, wo sie sich dann aber verlor. Dies scheint die typische »Karriere« einer Arzneimittelfälschung zu sein, wie die Fälle aus den letzten Monaten zeigen.
Im August und September des vergangenen Jahres wurde das in der Onkologie verwendete Sutent® (Sunitinib, Pfizer) von CC Pharma importiert; es war für den rumänischen Markt hergestellt worden. Das Krebsmittel enthielt keinen Arzneistoff. Einem Patienten war aufgefallen, dass die Kapseln und das darin enthaltene Pulver eine andere Farbe hatten als das Produkt, das er bis dahin eingenommen hatte.
Abbildung 1: Sowohl die gefälschten Sunitinib-Kapseln (unten) als auch ihr Inhalt unterschieden sich vom Original (oben), unter anderem in der Farbe.
Foto: CC Pharma
Außerdem unterschied sich der Blister vom Originalpräparat (Abbildung 1). Das mutmaßlich gefälschte Siegel war auch dem Reimporteur aufgefallen. Es konnte nicht festgestellt werden, an welcher Stelle die Fälschungen in den Distributionsweg gekommen waren. Das von Pfizer Pharma für den deutschen Markt hergestellte Produkt war zu jeder Zeit sicher. Im Juni 2014 warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wiederum vor einigen gefälschten Sutent-Chargen der Reimporteure CC Pharma und Orifarm und gab den Hinweis, die Kapseln genau anzuschauen. Die Fälschungen haben eine andere Größe und Farbe als das Original.
Gefälschtes Herceptin
Im Oktober 2013 wurde Pegasys® (pegyliertes Interferon, Roche) ohne jeden Wirkstoff sichergestellt. Die aus Rumänien stammenden und von einem Reimporteur auf den Markt gebrachten Injektionen, die in der EU, in Pakistan und Australien vertrieben wurden, hatten ein vom Original abweichendes Aussehen (Abbildung 2) und enthielten nur Glucose-Lösung. Interessanterweise war dem Auftauchen der Fälschung ein Lieferengpass im April und Oktober 2012 vorausgegangen.
Abbildung 2: Original Pegasys®-Glasfertigspritze (oben) und gefälschte Plastikspritze (unten).
Foto: Roche
April 2014 war der Blockbuster Herceptin® (Trastuzumab, Roche) betroffen. Einige Durchstechflaschen enthielten eine Flüssigkeit anstatt eines gelb-weißen Pulvers. Es wurden Vials gefunden, die weniger Wirkstoff enthielten oder Ceftriaxon statt Trastuzumab. Die Verschlusskappe war teilweise unterschiedlich, und es wurden Verpackungen gefunden, bei denen das Verfallsdatum und die Batchnummer auf den Vials und Schachteln sich unterschieden (Abbildung 3).
Abbildung 3: Auch von dem Krebsmedikament Herceptin® waren Fälschungen im Umlauf. Die Vials enthielten statt des gelb-weißen Pulvers eine Flüssigkeit.
Foto: Roche
Italienische Großhändler hatten das gefälschte Herceptin, das nicht von Roche stammte, nach Großbritannien, Deutschland (zusätzlicher Parallelimport aus Großbritannien), Schweden und Finnland geliefert.
Das von Roche direkt distributierte Herceptin war sicher. Aber es traten zusätzliche Probleme bei anderen reimportierten Roche-Produkten wie Avastin® (Bevacizumab) und MabThera® (Rituximab) sowie bei weiteren reimportierten Medikamenten, zum Beispiel Alimta® (Pemetrexed), Humatrope® (Somatropin) und Remicade® (Infliximab), auf. Die Arzneimittel waren für den italienischen Markt hergestellt und offensichtlich gestohlen und manipuliert worden, um dann illegal in die Lieferkette eingeschleust zu werden.
Im Mai dieses Jahres lieferte eine Person, die sich nicht zu erkennen gab, in einer Berliner Apotheke eine Fälschung von Norditropin® SimplXx ab. Chargenbezeichnung und Verfallsdatum auf der Infektionspatrone waren falsch; Wirkstoffgehalt, Reinheit und Sterilität können nicht garantiert werden. Der Distributionsweg des Wachstumshormons ist nicht bekannt.
Weiterhin wurde das in Deutschland nicht gehandelte Xanax® (Alprazolam) von Pfizer ohne Wirkstoff am Züricher Flughafen auf dem Weg nach Ägypten sichergestellt, eine Kreuzkontamination von Buccolam® (Midazolam) bei ViroPharma berichtet und 1,2 Millionen gefälschte Packungen Aspirin®, versteckt in Teecontainern aus China, in Le Havre vom Zoll gefunden. Es sollte an eine Firma auf den Balearen geliefert und von dort nach Spanien, Südfrankreich und Nordafrika verteilt werden.
Fälscher werden immer dreister
Obgleich die hier geschilderten Fälle keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, kann man doch zwei Trends ablesen. Zum einen machen sich die Fälscher häufig nicht einmal die Mühe, eine perfekte Nachahmung herzustellen, die man nur schwer erkennen könnte (und die gegebenenfalls auch in vielen Fällen nicht erkannt wurde). Sie gehen also offensichtlich das Risiko ein, dass ihre Fälschungen aufgedeckt werden, scheinen aber nichtsdestoweniger viel Geld damit zu verdienen. Zum anderen gehen die Fälschungen zumeist mit unübersichtlichen Transportwegen einher. Lange Transportwege entstehen durch die Wirkstoffherstellung in China und Indien, die Arzneimittelherstellung und -verpackung irgendwo in Europa und die Distribution der Fertigprodukte in verschiedene EU-Länder. Re- beziehungsweise Parallelimporte erleichtern weiterhin die Einschleusung von gefälschter Ware in die Warendistribution.
Diebstahl beim Transport
Welche Gefahr davon ausgeht, sieht man beispielsweise am Rückruf von circa 130 italienischen Chargen von 56 lebensrettenden Arzneimitteln von Afinitor® bis Zytiga® – Originalpräparate, vorwiegend Virustatika und Onkologika – der Firma CC Pharma, der am 21. August 2014 von der PZ veröffentlicht wurde. Einfallstor für Fälschungen ist zum Beispiel Le Havre. Die Lagerung in Distributionszentren und der Transport sind gefährlich, da die Ware nicht nur an Flughäfen oder von beispielsweise auf Raststätten stehenden Lastwagen, sondern sogar von fahrenden Lastwagen entwendet wird. Der Diebstahl ist aus LKWs einfacher als aus Lagern, die häufig bewacht sind. Gestohlen werden nicht nur Fertigprodukte, sondern auch Komponenten wie Blister, Verpackungen et cetera, die für den Vertrieb von gefälschter Ware wichtig sind.
Besondere Gefahren lauern bei Lagerung und Transport in Südafrika, Brasilien, Mexiko und Italien, wo organisierte kriminelle Gruppen am Werke sind. Aber auch der Transport auf deutschen Autobahnen ist nicht sicher. Johannes Schön von Boehringer Ingelheim fasste die Lage auf einer Fachkonferenz zum Thema Arzneimittelfälschungen in Würzburg im April 2014 so zusammen: »Cargo at rest is cargo at risk.«
Arzneimittelfälschungen gehören heute genauso zu unserem Leben wie gefälschte Taschen, Uhren, T-Shirts und Maschinenteile von Autos. Überall besteht das Problem des sicheren Warentransports. Deshalb haben sich die Transportunternehmen zur Transported Asset Protection Association (TAPA) zusammengeschlossen, die auf dem gesamten Distributionsweg versucht, den Transport zu sichern (www.tapaonline.org). Für Arzneimittel gilt zusätzlich, dass neben den Netzwerken der Arzneimittelbehörden und Fälschungsrichtlinien Tracingsysteme wie beispielsweise Securpharm von großer Wichtigkeit sind, um die Sicherheit zu garantieren. Diese schützen aber nicht vor Ware schlechter Qualität. /