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Ausland

Arbeiten, wo andere Urlaub machen

07.09.2010  17:47 Uhr

Von Martina Janning / Schneebedeckte Berge, saftige Wiesen und klare Seen locken Deutsche winters wie sommers in die Schweiz und nach Österreich. Doch manche Apotheker wollen nicht nur ihre Ferien dort verbringen. Sie kommen, um zu bleiben. Über Bürokratieflucht, familiär geführte Apothekenketten und Schwyzerdütsch.

Wenn Thomas Schubert von seinem Arbeitsplatz in der Schweiz spricht, kommt er fast ins Schwärmen: »Mir ist noch nichts Besseres passiert.« Zwar lebe er erst seit knapp fünf Monaten in der Schweiz, räumt der 31-Jährige ein. Doch er sei sehr gut aufgenommen worden.

Thomas Schubert arbeitet in Chur, der Hauptstadt des größten schwei­zerischen Kantons Graubünden. Dort ist er Filialleiter einer Apotheke, die zur Pill AG gehört. Das ist ein Unter­neh­men, das mehrere Apotheken und Drogerien in der Schweiz be­treibt. Die Kette bezeichnet sich selbst als Familienunternehmen. Keine leere Floskel offenbar. »Das Arbeitsklima ist familiär«, urteilt Schubert.

 

Weniger Bürokratie

 

Der junge Pharmazeut entschloss sich, Deutschland den Rücken zu kehren, weil ihn die Bürokratie der Krankenkassen zusehends nervte. Im Zentrum seiner Arbeit als Apo­theker habe nicht mehr der Heilbe­ruf gestanden, sondern das Beschwich­tigen von Patienten, die sich über Rabattverträge ärgern, weil diese ihnen immer neue Medikamente bescheren. »In der Schweiz läuft die Abrechnung mit den Krankenversicherungen einfacher. Hier kann ich mich auf die Betreuung der Kunden konzentrieren«, sagt Schubert. Zudem haben Apotheker in der Schweiz mehr Freiheiten als in Deutschland. »Es besteht keine strikte Rezeptpflicht«, erklärt Schubert. In manchen Fällen dürfen Apotheker rezeptpflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abgeben.

 

Ein Unterschied zu Deutschland ist aber auch, dass Ärzte ihren Patienten Medikamente verkaufen dürfen. Dies ist niedergelassenen Medizinern erlaubt, wenn die ansässigen Apotheken sich vom Notdienst befreien lassen oder es keine Offizin im Ort gibt. Die Regelung soll die Versorgung der Bevölkerung in entlegenen Gebieten sichern. Schubert erlebt den Arzneiverkauf durch Ärzte in der jetzigen Form nicht als Konkurrenz. Das sei aber in manchen Kantonen möglicherweise anders, meint er. Von einem generellen Recht zur Medikamentenabgabe in Praxen, wie es in der Schweiz diskutiert wird, hält der Apotheker indes wenig. Damit werde der Bock zum Gärtner gemacht, glaubt Schubert: »Die Kosten für Arzneimittel steigen, wenn Ärzte sie verkaufen dürfen und damit ihre Einkünfte aufbessern können.«

 

Deutsche Apotheker, die wie Thomas Schubert in der Schweiz arbeiten wollen, haben gute Chancen. Es gibt mehr freie Stellen als Bewerber – besonders in ländlichen Gebieten. Die Löhne seien in der Schweiz nicht höher als in Deutschland.

 

Da aber weniger Steuern und Abgaben anfallen, bleibe am Ende mehr übrig vom Verdienst, sagt Ralf Ponader von der schweizerischen Personalvermittlung Workplanet. »Ein angestellter Apotheker verdient in der Schweiz 20 bis 30 Prozent mehr als in Deutschland.« Davon muss er allerdings auch höhere Lebenshaltungskosten als hierzulande bestreiten.

 

Hoher Freizeitwert

 

»Die meisten deutschen Apotheker treibt aber nicht die Aussicht auf mehr Geld in die Schweiz«, weiß Ponader. Sie kämen vor allem, weil das Gesundheitswesen entspannter sei, aber auch wegen des hohen Freizeitwerts des Landes mit seinen vielen Bergen und Seen.

 

Um in dem Alpenland als Apotheker arbeiten zu dürfen, muss das Schweizer Bundesamt für Gesundheit die Approbation anerkennen. Das ist in der Regel kein Problem. Das Verfahren dauert etwa drei Monate und kostet rund 700 Schweizer Franken, was etwa 511 Euro entspricht.

 

Um im Land wirklich Fuß zu fassen, empfiehlt Andrea Hopmann vom Schweizer Apothekerverband PharmaSuisse in Bern, mindestens eine zweite nationale Sprache zu lernen. Und natürlich »werden deutsche Apotheker in der französischen oder italienischen Schweiz Mühe haben, wenn sie die Ortssprache nicht beherrschen.« Aber auch mit ihrem Hochdeutsch stoßen deutsche Apotheker nicht auf offene Ohren und Arme, hat Thomas Schubert festgestellt. »Wer kein Schwyzerdütsch spricht, wird nicht für voll genommen.« Ähnlich mag es deutschen Arbeitskräften in Österreich ergehen, wenn sie sich nicht an Landessprache und Lebensart anpassen. Schnell sind sie dann als »Piefkes« verschrien – Deutsche, die sich als Wichtigtuer aufspielen. Anders als in der Schweiz herrscht in Österreich kein Mangel an Apothekern.

 

Offene Stellen auf dem Land

 

Statistisch gesehen halten sich Jobs und Bewerber die Waage. Außerhalb der Ballungszentren bestehe aber Bedarf an pharmazeutischen Fachkräften, sagt Jutta Pint, Pressesprecherin der Österreichischen Apothekerkammer.

 

Mehr offene Apothekerstellen als Bewerber gibt es derzeit in Vorarlberg, Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg. Dagegen ist es in der Steiermark, in Tirol und Wien genau umgekehrt, erläutert die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, das Sozial- und Wirtschaftsinstitut der Österreichischen Apothekerkammer, auf ihrer Internetsite.

 

Um Apotheker aufs Land zu locken, böten Arbeitgeber häufig sogar eine Wohnmöglichkeit an, berichtet die Gehaltskasse. »Auch die Bezahlung kann an solchen Orten überdurchschnittlich sein, da meist auch relativ viele Nachtdienste und Bereitschaftsdienste zu versehen sind«, heißt es. Das Gehalt eines Apothekers richtet sich in Österreich nach den Berufsjahren. Es gibt ein System mit 18 Gehaltsstufen und alle zwei Jahre rückt der Arbeitnehmer eine Stufe höher. Aktuell verdient ein Berufsanfänger 2322 Euro, jemand mit fünf Berufsjahren bringt es auf 2547 Euro. Zulagen können hinzukommen.

 

Ein deutscher Apotheker darf in der Regel problemlos in Österreich tätig werden. Dazu prüft die Österreichische Apothekerkammer, ob seine Ausbildung EU-konform ist. Wenn alle Unterlagen komplett vorliegen, dauere das nur wenige Tage, berichtet Pressesprecherin Jutta Pint. In der Praxis können daraus aber auch schon einmal sechs bis acht Wochen werden. /

 

Weitere Informationen zum Arbeiten in der Schweiz und in Österreich bieten folgende Internetsites:

 

www.pharmasuisse.org

www.workplanet.ch

www.apotheker.or.at

www.gehaltskasse.at

 

Auswanderungsland Schweiz

Wie viele Apotheker in den vergangenen Jahren aus Deutschland auswanderten, ist nicht bekannt. Der Zentrale Auslands- und Fachvermittlungsdienst (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit vermittelte von 2007 bis 2009 insgesamt bloß 27 Apotheker ins Ausland und bis Sommer 2010 noch keinen einzigen. Jedoch wenden sich viele auswanderungswillige Apotheker gar nicht an den ZAV, sondern kümmern sich selbst um eine Arbeitsstelle in der neuen Wunschheimat oder nehmen die Dienste eines privaten Personalvermittlers in Anspruch.

 

Insgesamt verließen im Jahr 2009 rund 788 000 Menschen Deutschland, darunter 155 000 Deutsche. Deren bevorzugtes Ziel war die Schweiz, in die 24 624 Personen auswanderten, gefolgt von den USA mit 13 446, Polen mit 12 049 und Österreich mit 11 818 Personen, ergeben vorläufige Zahlen des Statistischen Bundesamts.

 

Zum Wegzug trieben die Menschen vor allem die Steuern und die Bürokratie. Diese Einschätzung deckt sich mit einer Untersuchung von 2008 für das Bundeswirtschaftsministerium. Darin analysierte das Prognos-Institut, warum Fach- und Führungskräfte Deutschland verlassen. Die Ergebnisse: Über zwei Drittel der Auswanderer versprechen sich bessere Perspektiven für ihre Karriere und das Einkommen. In Deutschland kritisierten sie vor allem die hohen Belastungen durch Steuern, Abgaben und zu viel Bürokratie.

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