Identifizierung von Ausgangsstoffen im Apothekenbetrieb |
04.09.2007 10:51 Uhr |
Identifizierung von Ausgangsstoffen im Apothekenbetrieb
Von Uwe Amschler
Arzneibuchmethoden sind immer weniger für eine Anwendung in Apotheken vorgesehen. Zudem sind sie oft recht arbeitsintensiv oder bedürfen einer gewissen handwerklichen Erfahrung. Der dritte Band des DAC bietet eine Reihe von Alternativ-Verfahren zur Identifizierung von Ausgangsstoffen an, die sich durch einen relativ geringen Arbeitsaufwand auszeichnen, aber trotzdem eine hohe Aussagekraft haben.
Über einen langen Zeitraum hinweg wurden Arzneibücher verfasst, um im Apothekenbetrieb angewendet zu werden. Das änderte sich mit zunehmender industrieller Fertigung von Arzneimitteln. Die Arzneibücher orientierten sich jetzt mehr an den Belangen der Industrie, führten aber gleichzeitig Verfahren auf, die auch im Apothekenbetrieb anzuwenden sind. Hier sind die Identifizierungsmethoden zu nennen, die alternativ (»Prüfungen der 2. Reihe«) angewendet werden dürfen. Weltweit ist die Tendenz zu beobachten, auf die Belange der Apotheke immer weniger einzugehen, sondern die Arzneibücher nur noch als Grundlage für eine industrielle Arzneimittelherstellung zu sehen und ausschließlich Verfahren einzusetzen, die in der Industrie üblich sind. Verstärkt wurde diese Tendenz zur apparativen Analytik durch hohe Lohn- und Lohnnebenkosten: Nasschemische Analysenverfahren sind meist arbeitsaufwendiger und dadurch entsprechend teurer als apparative Verfahren.
Aus dieser Entwicklung ergibt sich, dass immer mehr Substanzen im Apothekenbereich mit der üblichen Laborausstattung nicht mehr untersucht werden können. Zudem sind die Untersuchungen generell sehr zeitaufwendig und erfordern größere Substanzmengen. So benötigt man für die vollständige Untersuchung von Ethinylestradiol knapp zweieinhalb Gramm Wirkstoff, und das allein schon, wenn die Zahl der Titrationen bei der Gehaltsbestimmung nur n=3 beträgt.
Die Apothekenbetriebsordnung hat dieser Entwicklung in der Weise Rechnung getragen, dass sie den Bezug von Ausgangsstoffen mit qualifizierten Prüfzertifikaten erlaubt. Die Apotheke darf auf Reinheits- und Gehaltskontrollen verzichten, muss aber die Identität der gelieferten Ware bestätigen. Denn immer wieder geschehen Fehler bei der Abfüllung und Kennzeichnung. Dabei scheint es häufiger zu Missverständnissen zu kommen, wenn nicht chargenweise in die Endbehältnisse abgefüllt wird, sondern im Einzelfall für den jeweiligen Besteller.
Albert (1) gibt einen Überblick über die Verwechslungen bei Ausgangsstoffen, die in den vergangenen 25 Jahren im Prüflaboratorium des DAC bekannt geworden sind.
Aussagekraft von Arzneibuchmethoden
Aus Gründen der Arzneimittelsicherheit wird man es begrüßen, wenn die angewendeten Methoden zur Identifizierung sehr sicher sind. Zu bewerten ist jeweils, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein bestimmtes (negatives) Ergebnis nicht eintritt. Statistisch gesehen verbleibt jedoch stets ein Restrisiko. Versucht man, dieses Restrisiko gegen null zu führen, so steigt bei linear verlaufender Reduktion der dafür erforderliche Aufwand (Arbeitsaufwand, Zeitbedarf, Materialeinsatz) meist exponentiell an. Gesellschaftlich akzeptiert werden deshalb in allen Lebensbereichen immer wieder Kompromisse zwischen vertretbarem Aufwand und angestrebter Sicherheit.
Als Beispiel betrachte man die Aussagekraft der Arzneibuch-Monographie »Atropinsulfat«: Bei den Prüfungen der 1. Reihe wird die optische Drehung ermittelt: Die wässrige Lösung soll praktisch keine Drehung aufweisen. Das ist zwar nicht sehr aussagekräftig, da alle Racemate und optisch nicht-aktiven Substanzen sich gleich verhalten. Man kann dadurch aber zwischen Atropin und L-Hyoscyamin unterscheiden. Das Infrarot-Spektrum ist im Fingerprintbereich nicht sehr bandenreich, allerdings ist das schon wieder typisch für ein monosubstituiertes Benzolderivat. Die Prüfung auf Sulfat rundet die Prüfungen der 1. Reihe ab.
Die Prüfung der 2. Reihe besteht aus der Vitali-Reaktion, dem Schmelzpunkt des Pikrats, einem allgemeinen Alkaloid-Nachweis und dem Sulfat-Nachweis. Die Vitali-Reaktion beruht auf der Bildung von p-Apoatropin, das mit Aceton/Alkali ein blauviolettes mesomeriestabilisiertes Anion ergibt. In gleicher Weise reagieren auch andere Tropasäure-Derivate. Apomorphin, Strychnin und Veratrin ergeben vergleichbare Färbungen. Das Atropin-Pikrat schmilzt bei 174 bis 179 °C. Der Schmelzpunkt unterscheidet sich deutlich von dem der Pikrinsäure (122 °C) und dem des L-Hyoscyamin-Pikrats (164 bis 168 °C nach Arzneibuch, in der Praxis meist 162 °C). Das Homatropin-Pikrat schmilzt bei 182 bis 186 °C, ist also kaum vom Atropin-Pikrat zu unterscheiden. Atropin muss außerdem den allgemeinen Alkaloid-Nachweis geben, der allerdings relativ unspezifisch ist und mit vielen anderen stickstoffhaltigen Verbindungen positive Ergebnisse zeigt.
Das Beispiel zeigt, dass sowohl die Methoden der 1. als auch der 2. Reihe keine »todsicheren« Verfahren sind, die mit absoluter Sicherheit allein die Identität bestätigen. Vielmehr handelt es sich um eine Reihe von Maßnahmen, aus denen sich schrittweise und additiv eine hohe Wahrscheinlichkeit ergibt, dass tatsächlich die richtige Substanz geliefert wurde. Gleichzeitig kann man erkennen, dass eine einzelne Reaktion, willkürlich aus der Gesamtheit aller vorgegebenen Prüfungen ausgewählt, unter Umständen nur wenig zur Identität aussagt.
Beobachtungen in der Praxis
Überprüft man in Apotheken, wie die Verpflichtung zur Identifizierung befolgt wird, so findet man sehr unterschiedliche Vorgehensweisen. Manchmal verlässt man sich vollständig auf das mitgelieferte Zertifikat, häufig wird aus Kostengründen der Prüfaufwand erheblich reduziert. Eine vollständige Prüfung nach Arzneibuch ist eher selten zu beobachten.
Oft werden zeitaufwendige Prüfungen ohne Rücksicht auf ihre vielleicht hohe Aussagekraft ganz weggelassen oder durch andere mehr oder weniger geeignete ersetzt. Ein gut geeignetes Verfahren zur Identifizierung von Ausgangsstoffen in der Apotheke ist die Bestimmung von Schmelztemperaturen. Immer wieder beobachtet man aber, dass auch Substanzen über den Schmelzpunkt identifiziert werden sollen, die weit über 200 °C unter Zersetzung schmelzen, beispielsweise die Corticoide Prednisolon und Hydrocortison-21-acetat. Wer mutig aufheizt, wird bei solchen Stoffen deutlich andere Ergebnisse erzielen als der Prüfer, der eine kleine Aufheizrate wählte. Auch eine Unterscheidung von Prednisolon (240 bis 241 °C unter Zersetzung) von Prednisolon-21-acetat (237 bis 239 °C unter Zersetzung) ist nicht möglich.
Eine Aussage in einem Prüfprotokoll wie »Triamcinolonacetonid: weißes Pulver, Identität organoleptisch: okay.« zeugt nicht von der Befähigung des Prüfers, sondern beruht auf einer krassen Fehleinschätzung dessen, was man durch Ansehen, Riechen oder Fühlen erreichen kann.
Der Chlorid-Nachweis bei einem Hydrochlorid ist sicherlich sinnvoll, sagt als einzige Prüfung über die Identität aber zu wenig aus, wenn man die Fülle der infrage kommenden Hydrochloride berücksichtigt. Der Versuch, Ascorbinsäure allein über den pH-Wert einer wässrigen Lösung zu identifizieren, wird als nicht ausreichend sicher angesehen.
Alternativ-Verfahren zur Identifizierung
Sowohl das Arzneibuch als auch die Apothekenbetriebsordnung (§ 6 Abs. 1, § 11 Abs. 1) lassen zu, dass andere Verfahren und Geräte zur Untersuchung gewählt werden dürfen als im Arzneibuch vorgegeben. Auch das Arzneibuch der Schweiz (2) trägt der internationalen Entwicklung Rechnung, dass Arzneibuchmethoden immer weniger für die Apothekenpraxis gedacht sind und somit nach Alternativmethoden gesucht werden muss. Die Schweiz verlangt, dass alternative Verfahren bibliografisch belegt oder validiert sein müssen. Ihre Auswahl und Eignung ist von der »fachtechnisch verantwortlichen Person« zu verantworten, gegebenenfalls ist vorher eine Risikobewertung vorzunehmen. Der fachtechnisch verantwortlichen Person entspricht in der EU die »Qualified Person« (sachkundige Person im Sinne des § 19 Arzneimittelgesetz) beziehungsweise eine Person, die nach § 6 Abs. 3 der Apothekenbetriebsordnung berechtigt ist, Prüfzertifikate zu unterzeichnen. Die Auswahl geeigneter alternativer Methoden ist somit eine Führungsaufgabe.
Um den Apothekern die Auswahl der Methoden zu erleichtern, hat der DAC begonnen, in einem dritten Band des Werkes bewährte Alternativ-Verfahren zusammenzutragen (3). Dabei steht im Vordergrund, dass die Verfahren mit relativ geringem Aufwand durchzuführen sind und trotzdem ein beträchtliches Maß an Sicherheit bei der Identifizierung bieten. Der Apotheker muss keine große Risikobewertung vornehmen und auch nicht die Eignung der Methode belegen, dies wurde ihm bereits vom DAC abgenommen. Werden die Verfahren flächendeckend eingesetzt, ergibt sich zudem eine Identifizierung von Ausgangsstoffen auf gleichem Risikoniveau.
Zur Einführung in den dritten Band des DAC wird auf die Arbeit von Albert (1) verwiesen.
Die alternativen Verfahren sind oft sehr viel einfacher als die des Arzneibuchs. Sind sie deshalb, wie manchmal unterstellt, auch schlechter? »Schlechter« in diesem Sinne bedeutet doch »weniger sicher«, also mit einem höheren Restrisiko behaftet. Nehmen wir als Beispiel das alternative Verfahren des DAC für Atropinsulfat. Geprüft wird das Aussehen, der Sulfatnachweis muss positiv sein.
Die weitere Überprüfung erfolgt mithilfe der Dünnschichtchromatographie. Das gewählte Fließmittel unterscheidet zwischen Methylatropin, Atropin, Homatropin und Scopolamin. Die eventuell vorhandenen Zersetzungsprodukte Apoatropin oder Tropanol werden bei der Detektion mit Dragendorffs Reagenz R ebenfalls erfasst. Dieses Detektionsverfahren entspricht zudem einem allgemeinen Alkaloidnachweis.
Der Verzicht auf die Vitali-Reaktion ist nicht von Nachteil, denn immer wieder zeigt sich, dass manche Nachweise des Arzneibuchs von Ungeübten nur schwer zu reproduzieren sind. Wählt man die Reaktionsbedingungen bei der Nitrierung zu milde, entsteht kaum p-Nitroapoatropin, wählt man kräftigere Bedingungen, kann die gesamte organische Substanz durch Salpetersäure zerstört werden - der Nachweis fällt in beiden Fällen negativ aus. Das handwerkliche Können, eine Dünnschichtplatte zu beschicken und auszuwerten, kann heute als allgemein bekannt vorausgesetzt und als ausreichend eingeübt angesehen werden.
Bei den DAC-Alternativverfahren wird außerdem kein Atropin-Pikrat hergestellt. Aus Gründen des Arbeitsschutzes ist der Verzicht auf das giftige und in trockenem Zustand explosionsgefährliche Reagenz sehr zu begrüßen.
Vergleicht man die Aussagekraft des Alternativ-Verfahrens zur Identifizierung von Atropin mit dem oben genannten Arzneibuch-Verfahren der 2. Reihe, so ergibt sich kein Hinweis, dass das Restrisiko bei Anwendung des alternativen DAC-Verfahrens tatsächlich größer ist.
Risikobewertung
Die Untersuchung und Bewertung von Risiken im Bereich von Qualitätssicherungs-Systemen bei der Arzneimittelherstellung erfolgt heute nach Vorgaben der International Conference on Harmonization, ICH Q9 «Quality Risk Management« (4).
Zu einer Risikobewertung gehört zunächst die Identifizierung der bestehenden Risiken. Anschließend werden die Wahrscheinlichkeit des Eintritts (oder des Ausbleibens) und die mögliche Höhe eines Schadens quantifiziert. Dabei muss man sich mit der statistischen Wahrscheinlichkeit von Aussagen befassen, die sich umgangssprachlich zwischen »vermutlich« bis »todsicher« (5) bewegen. Vergleicht man die verschiedenen Situationen der Identifizierung von Ausgangsmaterialien, so ergeben sich mehrere Fallgruppen, die für den Verbraucher ein unterschiedliches Risiko darstellen:
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Die Apotheke verlässt sich ausschließlich auf das gelieferte Prüfzertifikat, die Substanz wird ohne weitere Prüfung in das Standgefäß gefüllt.
Man führt eine verkürzte Identitätsprüfung mit Methoden des Arzneibuchs durch. Die Methoden sind im konkreten Fall für dieses Problem aber nicht oder nur wenig geeignet.
Man führt eine verkürzte Identitätsprüfung mit Methoden des Arzneibuchs durch, die angewendeten Verfahren sind geeignet, aber allein nicht ausreichend für eine einigermaßen sichere Identifizierung.
Man wendet alternative Untersuchungsverfahren an, deren Eignung für den Einzelfall belegt ist.
Man führt eine arbeitsaufwendige, vollständige Untersuchung nach Arzneibuch durch, falls die Monographie auf die Belange der öffentlichen Apotheke noch Rücksicht nimmt.
Bei einer Bewertung der Wahrscheinlichkeit ist zu berücksichtigen, dass man Ausgangsstoffe mit Zertifikat erwirbt, also Ware, die schon vollständig untersucht worden ist. Bei der Abschätzung eines möglichen Schadens ist zu berücksichtigen, dass es sich im vorliegenden Fall um die »Herstellungspraxis für Arzneimittel in kleinen Mengen« handelt und unter Ausgangsstoffen nicht nur (arzneiliche) Wirkstoffe, sondern auch Hilfsstoffe, Konservierungsmittel oder Materialien für die Herstellung fester, flüssiger oder topischer Zubereitungen zu verstehen sind.
Die oben genannte Reihenfolge der Fallgruppen 1 bis 5 enthält eine Wertung. Dabei ist aber, wie am Beispiel des Atropins gezeigt, das Alternativ-Verfahren vom Prinzip her nicht als stets grundsätzlich schlechter einzustufen.
Akzeptanz von Alternativ-Verfahren
Von manchen Überwachungsbeamten werden Alternativ-Verfahren mehr oder weniger pauschal abgelehnt. Dies spricht vielfach für ein Verkennen der Arzneibuchproblematik und lässt vermuten, dass eine intensive Auseinandersetzung im Sinne einer Risikobewertung unter Berücksichtigung der Realität des Apothekenalltags noch nicht stattgefunden hat. Pragmatisch und somit praxisnah geht das Regierungspräsidium Darmstadt in seinen »Hinweisen zur ordnungsgemäßen Prüfung von Arzneimitteln und Ausgangsstoffen (§§ 6 und 11 ApBetrO)« (6) vor. Neben dem Arzneibuch werden auch Alternativ-Verfahren des DAC oder Methoden fremder Arzneibücher akzeptiert. Und auch hier gilt der von der Schweizerischen Pharmakopöe (Ph. Helv.) vertretene Grundsatz: Die angewendete alternative Methode muss bibliografisch belegt sein.
Fazit
Die Alternativ-Verfahren zur Identifizierung von Ausgangsstoffen im dritten Band des DAC sind geeignet, die Risiken von Verwechslungen und Kennzeichnungsfehlern zu minimieren. Konsequent und flächendeckend in ganz Deutschland angewendet, dürften sie die Arzneimittelsicherheit im Bereich der »Herstellungspraxis für Arzneimittel in kleinen Mengen« deutlich erhöhen.
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Albert, K., Pharmazeutische Zeitung 34/2006, Seiten 35-38
Ph. Helv. 10, Seite 162 (2006)
Deutscher Arzneimittel-Codex, Ergänzungsbuch zum Arzneibuch, Band 3, Stand 1. September 2007
European Medicines Agency Inspections, Doc. Ref.: EXT/24235/2006, London, 19. Januar 2006
Sachs,L., Angewandte Statistik, 4. Auflage, Seite 28, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York (1974)
Regierungspräsidium Darmstadt - Pharmazie - PRUEF 3 (Stand: Juli 2007)
Anschrift des Verfassers:
Dr. Uwe Amschler
Ruschsehn 15 E
24147 Klausdorf