Das Gesundheitswesen lockt |
31.08.2010 17:24 Uhr |
Von Egid Strehl und Christoph Winnefeld / Korruption als das Ausnutzen von anvertrauter Macht verursacht auch in Deutschland jedes Jahr hohe volkswirtschaftliche Schäden. Mangelnde Transparenz macht auch das deutsche Gesundheitswesen als Tatort lukrativ.
In den Medien ist die Korruption im Gesundheitswesen längst angekommen. »Krankes System – nie zuvor wurde im deutschen Gesundheitswesen so viel bestochen, gelogen und getäuscht. Das behindert Innovationen und verschlechtert die medizinische Versorgung. Eine Reise an die Tatorte des Gesundheitskrimis«, so startete die »Wirtschaftswoche« vor einiger Zeit einen Beitrag. Darin kamen die Autoren zu dem Schluss: »Die deutsche Gesundheitsbranche ist in sich derart verfilzt, dass keiner so recht weiß, wem er noch trauen kann.« Selbst für Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sei das deutsche Gesundheitssystem eine »versteckte Planwirtschaft«, die skurrile Blüten treibe.
Das Gesundheitssystem ist anfällig für Korruption. Laut Transparency International gehen dem deutschen Gesundheitswesen durch Betrug jährlich mehrere Milliarden Euro verloren.
Foto: Fotolia/Leopold
Tatsächlich ermitteln Staatsanwaltschaften in Deutschland zurzeit etliche Korruptionsfälle. Etwa gegen Ärzte, die für die Einschleusungen von Patienten in fragwürdige Anwendungsbeobachtungen mit teuren, noch nicht generikafähigen Arzneimitteln Flachbildschirme, Laptops oder Beamer erhielten; oder gegen Pharmaunternehmen, die Ärzte zu Kongressen eingeladen haben, weil sie besonders gern hochpreisige Arzneimittel verordnen. Manchmal erhalten Ärzte oder andere Wissenschaftler von Unternehmen für Vorträge fünfstellige Summen. 10 000 Euro und mehr für einen werblichen Vortrag, solche Fälle sind für Staatsanwälte keine Rarität.
Immer wieder kommt es auch vor, dass Studienergebnisse von professionellen Ghostwritern aus Pharmakonzernen positiv verzerrt dargestellt und unter dem Namen von dafür bezahlten Experten in möglichst unverdächtigen wissenschaftlichen Fachjournalen abgedruckt und über den pharmazeutischen Außendienst als vermeintlich objektive Untersuchungsergebnisse verbreitet werden.
In Anlehnung an die Begrifflichkeiten des deutschen Strafgesetzbuches können bei der Korruption zwei Tatbestände unterschieden werden:
§ 331 StGB Vorteilsnahme: Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wird (...) bestraft.
§ 332 StGB Bestechlichkeit: Ein Amtsträger (...), der für die Dienstausübung einen Vorteil (...) als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird (...) bestraft. (...) Bei Forderung/Versprechen/Annahme des Vorteils als Gegenleistung für eine künftige Handlung liegt Bestechlichkeit vor, wenn der Täter sich bereit gezeigt hat, 1. bei der Handlung seine Pflichten zu verletzen oder, 2. soweit die Handlung in seinem Ermessen steht, sich bei Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu lassen.
Gesundheitswesen sehr anfällig
Korruption lässt sich in zwei Gruppen einteilen: Als »situative Korruption« werden Vergehen bezeichnet, denen ein spontaner Willensentschluss zugrunde liegt, also die Tatbestandsverwirklichung keiner gezielten Planung oder Vorbereitung unterliegt. Ein Beispiel dafür ist der Autofahrer, der nach einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung einem Polizisten Geld anbietet, damit dieser kein Verfahren einleitet.
Bei planmäßiger »struktureller Korruption« dagegen handelt es sich um Fälle, bei denen die Korruptionshandlung auf der Grundlage längerfristig angelegter korrupter Beziehungen bereits im Vorfeld der Tatbegehung bewusst geplant wurde. Anfangs kleine Gefälligkeiten werden so allmählich gesteigert, bis eine Abhängigkeitssituation entstanden ist.
Das öffentliche Gesundheitswesen ist eine für Korruption überdurchschnittlich anfälliger Wirtschaftsbereich. Mehr als elf Prozent des Bruttosozialprodukts fließen in das Gesundheitswesen. Mit 260 Milliarden Euro liegen die Gesundheitsausgaben nicht weit unter dem Bundeshaushalt. Deshalb verwundert es kaum, dass 8 Prozent der im Jahr 2007 registrierten 1103 Tatverdächtigen sowie 5 Prozent der 1030 im Zusammenhang mit Korruptionsstraftaten polizeilich bekannt gewordenen Vorteilsgewährer laut Bundeskriminalamt im Gesundheitswesen arbeiteten.
Schwachstellen aufdecken
Strafbare Delikte wie Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme von Amtsträgern oder im Geschäftsverkehr werden durch Intransparenz begünstigt. Die mangelnde Transparenz hat viele Auswirkungen, etwa die Fehlallokation von Versorgungsleistungen durch korrumpierende Anreize, die Vorherrschaft von Anbieterinteressen vor gesundheitsrelevanten Patienteninteressen, Abrechnungsbetrug oder die manchmal undurchschaubare Auftragsvergabe.
Häufig werden die Schwächen des Systems ausgenutzt und das Gesundheitswesen geschädigt, indem Partikularinteressen vor den Gesamtnutzen gestellt werden. Laut Transparency International gehen dem deutschen Gesundheitswesen durch Betrug jährlich mehrere Milliarden Euro verloren.
Wer Korruption beseitigen will, muss die Schwachstellen des Systems kennen. Transparency International hat in einem Grundsatzpapier mit dem Titel »Transparenzmängel, Korruption und Betrug im deutschen Gesundheitswesen – Kontrolle und Prävention als gesellschaftliche Aufgabe« eine Liste veröffentlicht, in der auch das Fehlverhalten von Apothekern aufgelistet wird:
Krankenhausapotheken und Krankenhäuser versorgende öffentliche Apotheken können mit Herstellern Sonderkonditionen vereinbaren, die entweder den Beteiligten zugute kommen oder die tatsächlichen Kostenstrukturen des Krankenhauses verzerren. Außerdem können auf diese Weise preisgünstiger erstandene Arzneimittel teurer in Umlauf gelangen.
Über Scheinabrechnungen für verordnete, aber nicht erbrachte Leistungen kann das System der Krankenversorgung ausgebeutet werden. Häufig kooperieren hier Ärzte, Apotheker und Hersteller oder Zwischenhändler.
Es bestehen Vertriebsstrukturen, die einen halblegalen »grauen Markt« bei Arzneimitteln ermöglichen. Bedient wird der graue Markt von nach Deutschland zurückgeleiteten Arzneimittelspenden oder in die öffentliche Apotheke umgeleitete Krankenhausware. Der Hersteller-Abgabewert dieser Ware hat eine Größenordnung von etwa 250 Millionen Euro.
Unter Korruptionsprävention ist die Vorbeugung gegen und die Vermeidung von Korruptionsdelikten zu verstehen. Wirksame Kontrollen und ein geschärftes Bewusstsein als wirksamste Elemente einer funktionierenden Korruptionsbekämpfung (siehe Kasten) sollen dabei unterstützt werden durch gesetzliche Regelungen.
Durch das »Gesetz zur Bekämpfung der Korruption« vom 13. August 1997 wurden die Bestimmungen zur Vorteilsannahme und Bestechlichkeit im öffentlichen und privaten Rechtsverkehr erweitert und verschärft. Durch die Anhebung des Strafmaßes müssen deshalb heute die Täter mit deutlich härteren Strafen rechnen als vor einigen Jahren. Für die Vorteilsannahme wurde die obere Grenze der möglichen Freiheitsstrafe auf drei Jahre angehoben und kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Bestechlichkeit kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder mit einer Geldstrafe, in besonders schweren Fällen sogar mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahre geahndet werden. Bestechlichkeit ist bereits im Versuch strafbar.
Mit dem Inkrafttreten des Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetzes im Jahr 2004 wurden die Krankenkassen verpflichtet, organisatorische Einheiten zu schaffen, die Fehlverhalten im Gesundheitswesen bekämpfen sollen.
Korruption im Medizinbereich ächten
Der strukturellen Korruption im deutschen Gesundheitswesen ist aber allein mit neuen Gesetzen, reformerischen Maßnahmen, größeren Ermittlungsanstrengungen und besserer Strafverfolgung nicht beizukommen. Es muss eine Kultur entstehen, die Korruption im Medizinbereich ächtet.
Es ist unmoralisch und unanständig, sich an einem System zu bereichern, das Menschen mit geringem Einkommen immer mehr belastet und durch Fehlallokation zunehmend Lücken lässt in einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung. Verhaltensrichtlinien mit wirkungsvollen Sanktionen sind nötig, Vergabeordnungen müssen beachtet und Interessenkonflikte transparent gemacht werden. /
Versicherer
wirkungsvolle Kontrolle der Verwaltungskosten inklusive der Stellenpläne und Gehaltsstrukturen
obligates Ausschreiben von Beratungsleistungen
Verzichten auf bezahlte Lobbyistentätigkeit
Versicherte
verständliche Rechnungen für alle Behandlungen
Kostenvoranschläge für geplante Leistungen
Mithaftung der Versicherten bei offensichtlichem Betrug durch Leistungserbringer
Industrie
transparente Vertriebswege
Offenlegen der Kosten für Einführung und Vermarktung; Begrenzung derartiger Ausgaben
Leistungserbringer
marktwirtschaftliche Anreize für kostengünstige Leistungserbringung
Transparenz der Geschäftsbeziehungen zwischen Leistungserbringern und Zulieferern
unabhängige Aus- und Fortbildung von Ärzten
Transparente Beziehungen zwischen Industrie und Multiplikatoren
Zulassungsentzug bei Betrug
Apotheken
einheitliches Preisniveau innerhalb der EU
strikte Trennung der Vertriebswege